Frauen-Wohnprojekte:Auf der Suche nach Gemeinschaft

Die Anzahl von neuen Frauen-Wohnprojekten steigt. Die Idee hat eine lange Tradition.

Von Hannes Leonard

Nur Frauen kommen als Mieter des neuen Hauses in der Wiener Oswaldgasse in Frage. Männer sind zwar als Mitbewohner geduldet, können aber eben keine der 43 Wohnungen mieten. Das Vorhaben ist das erste Frauen-Wohnprojekt Wiens. Woanders haben solche Ideen eine lange Tradition.

Frauen-Wohnprojekte: Auf eine lange Tradition kann die christliche (Wohn-)Gemeinschaft der Beginen zurückblicken, die sich im Mittelalter in Europa ausbreitete. Einige Höfe - wie der abgebildete in Flandern - gehören heute zum Weltkulturerbe.

Auf eine lange Tradition kann die christliche (Wohn-)Gemeinschaft der Beginen zurückblicken, die sich im Mittelalter in Europa ausbreitete. Einige Höfe - wie der abgebildete in Flandern - gehören heute zum Weltkulturerbe.

(Foto: Foto: Tourismus Flandern)

Realisiert wurde das ambitionierte Wiener Vorhaben von einem örtlichen Bauträger und dem Frauen-Verein Kalypso. "Während der Planung haben wir uns intensiv in Deutschland umgeschaut", erzählt Ingrid Farag, Obfrau im Wiener Frauen-Verein. Hierzulande gibt es Frauenwohnprojekte nämlich schon länger. "Bereits 1916 entstand die Frauengenossenschaft Frankfurt am Main", erläutert Sabine Rebe.

Sie hat vor einiger Zeit in einer Studie alle aktuellen Projekte in Deutschland untersucht, in denen mehrheitlich Frauen zusammenwohnen. "Ziel der Frauen war es damals, einerseits ihre eigenen Vorstellungen vom richtigen Wohnen zu verwirklichen", erzählt Studienleiterin Rebe. Andererseits aber sollten vor allem bezahlbare Wohnungen für berufstätige Frauen geschaffen werden.

Wunsch nach Gemeinschaft

Es dauerte, bis die Idee des gemeinschaftlichen Frauen-Wohnens erneut angegangen wurde, und es verwundert kaum, dass dies in den siebziger Jahren geschah. "Planerinnen und Architektinnen wollten damals eine öffentliche Diskussion über hierarchisierte Grundrisse von Wohnungen anregen", erzählt Rebe. Unzählige Architekturwettbewerbe waren nötig, bis sich die neuen Kriterien herauskristallisierten. Etwa Wohnungsgrundrisse, die sich unterschiedlichen Lebenssituationen anpassen - beispielsweise durch versetzbare Wände. Oder Räume, in denen sich die Bewohner eines Hauses treffen können.

Inzwischen gibt es in Deutschland viele Projekte, in denen Frauen ihre Vorstellungen vom gemeinsamen Wohnen verwirklichen. Was sie vor allem eint, ist der Wunsch nach einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt. Wie weit der Beistand geht, ist aber durchaus unterschiedlich. Oft handelt es sich um kleinere Besorgungen oder Hilfe im Alltag. Selten wird verlangt, dass die Hausbewohnerinnen sich um Pflegebedürftige kümmern.

Traditionsreiche Beginen

Auf eine mehr als 900 Jahre lange Tradition blicken die Beginen zurück. Als Beginen wurden im Mittelalter Frauen bezeichnet, die christliche Laien waren und sich gegenseitig unterstützten. Sie führten außerhalb eines Klosters ein frommes Leben in einer ordensähnlichen Gemeinschaft, die sich bald Angriffen der katholischen Kirche ausgesetzt sah. Von Flandern breitete sich die Bewegung in Europa aus. Beginen waren wirtschaftlich selbständig und konnten die Gemeinschaft jederzeit verlassen.

Die ersten Beginen-Höfe in Flandern zählen inzwischen zum Unesco-Weltkulturerbe. "Bis 2010 werden wir voraussichtlich drei weitere Häuser eröffnen", erzählt Brita Lieb, Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Beginen. "Frauen, die heute als Beginen leben wollen, bezeichnen sich selbst als politisch-sozial engagiert, weltoffen und spirituell", meint Leib. Nur etwa zehn Prozent der Beginen seien kirchentreu.

Die meisten Beginen-Gemeinschaften findet man derzeit in Nordrhein-Westfalen. In Essen wurde zum Beispiel ein ehemaliges Finanzamt umgebaut. Entstanden sind 35 Wohnungen mit der für viele moderne Wohnprojekte typischen Ausstattung: Die Wohnanlage ist barrierefrei, es gibt Gemeinschaftsräume mit Küchen und Gästezimmer. Insgesamt leben in Deutschland derzeit etwa 300 Frauen und Kinder in Beginen-Wohnanlagen.

Heimwerkende Frauen

Auch das Haus in der Wiener Oswaldgasse soll kein anonymer Ort werden. "Wir haben Sitzecken in den Rundgängen vor den Wohnungen, um auch mal informell zusammenzusitzen", erzählt Farag. Das Haus in Wien steht grundsätzlich allen Frauen offen: "Ob migrantisch, lesbisch oder mit einer Behinderung - bei uns kann grundsätzlich jede Frau wohnen" erklärt Farag. Einzige Einschränkung: Sie müsse zur Gemeinschaft passen.

Probleme mit Schulden

Einen anderen Schwerpunkt hat dagegen ein Projekt in München. Dies verdeutlicht schon der Name des Vereins: "Nachbarschaftliches Leben für Frauen im Alter". Da Frauen im Durchschnitt immer noch deutlich älter als Männer werden, ist die Suche nach geeigneten Wohnformen für diesen Lebensabschnitt besonders wichtig. Außerdem erhalten die Bewohnerinnen so eine Alternative zum Altersheim.

Ein wichtiges, aber häufig schwieriges Thema der Gemeinschaften ist die Finanzierung der Wohnungen. "Frauen fällt es schwerer, Schulden zu machen", erläutert Anne Wulf. Sie betreibt in Berlin eine Finanzberatung, die sich auf Frauen spezialisiert hat. Beginen in Tübingen haben deshalb vor kurzem eine Stiftung gegründet. "Sofern sie das wünschen, unterstützt die Stiftung auch Frauen, eine Wohnung in einem Beginen-Haus zu bekommen", erklärt Lieb.

Dass Frauen zunehmend zu Hammer und Säge greifen, haben inzwischen auch die Marketing-Strategen einer Baumarkt-Kette erkannt. In einer Studie ließen sie untersuchen, wie sie auf diese Entwicklung reagieren können. Das Ergebnis: "Wir emotionalisieren unsere Werbung und befreien sie von Technik und Preisen", erläutert Wolfgang Garden, Gruppenleiter bei Hagebau. Ob diese simple Idee aufgeht, bleibt abzuwarten. Frauen-Wohnprojekte hingegen sind bereits aus den Kinderschuhen hinausgewachsen.

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