Franz Müntefering über Finanzinvestoren:"Dilettanten, Spieler und Gangster"

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Franz Müntefering über die Gier internationaler Finanzinvestoren, zynisches Verzocken von Kapital - und warum der Heuschrecken-Vergleich auch fünf Jahre nach seiner großen Kapitalismusschelte noch passt.

Melanie Ahlemeier und Johannes Bockenheimer

Der Mann mit der Heuschrecke: Fünf Jahre ist es her, dass der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering mit seiner scharfen Kritik an der "international wachsenden Macht des Kapitals" und den "international forcierten Profitmaximierungsstrategien" kurz vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen eine breite Kapitalismus-Debatte lostrat. Für seine Finanzinvestoren-Schelte erhielt Müntefering viel Zustimmung, aber auch viel Kritik. Retten konnte er die NRW-Wahl indes nicht - die Roten gingen baden.

Zum Jubiläum der Heuschrecken-Schelte blickt Müntefering nun zurück. Im Gespräch mit sueddeutsche.de erklärt er, warum die Finanzindustrie gebändigt werden muss, Deutschland alleine das nicht schaffen wird - und warum er sich freut, einer Debatte einen Stempel verpasst zu haben.

sueddeutsche.de: Herr Müntefering, seit Ihrer Schelte vor fünf Jahren plagt die gemeine Heuschrecke ein schlechter Ruf - haben Sie sich schon bei ihr entschuldigt?

Franz Müntefering: Nein, das ist auch nicht angemessen. Sie ist schon richtig tituliert. Wir brauchen keine Heuschrecken, wir müssen sie bekämpfen. Das ist keine verantwortungsvolle Wirtschafts- und Finanzpolitik, die da gemacht wird.

sueddeutsche.de: Wir hätten auch sagen können: Herzlichen Glückwunsch, Herr Müntefering - Sie haben Guido Westerwelle erfolgreich gezeigt, wie man Begrifflichkeiten prägt. Bei Ihnen waren es die Heuschrecken, Westerwelle suchte sich jetzt die spätrömische Dekadenz aus. Hat der FDP-Chef bei Ihnen abgekupfert?

Müntefering: Das glaube ich nicht. Meine große Sorge war weniger eine wirtschaftspolitische, ich bin kein Finanzpolitiker. Ich sah die Demokratie in Gefahr. Und diese Sorge ist nicht vorbei. Wenn die Finanzindustrie die Politik im Griff hat und nicht umgekehrt die Politik die Finanzindustrie, dann fragen sich die Menschen, wofür Demokratie denn gut ist. Das war damals mein Impuls mich zu melden und das ist in den Jahren danach bestätigt worden. Wir müssen den Primat der Politik zurückerobern.

sueddeutsche.de: Ihre Kapitalismus-Schelte war immens, die anschließende Debatte intensiv, doch an den Spielregeln der Finanzindustrie hat sich kaum etwas geändert. Warum nicht?

Müntefering: Es ist einiges passiert. Es war vorbildlich, was Peer Steinbrück Ende 2008 mit seinen 14 Punkten zur Bekämpfung dieser unverantwortlichen Finanzindustrie losgetreten hat. Aber das Allermeiste ist noch zu tun.

sueddeutsche.de: Bitte konkreter: Was genau muss getan werden? Das Kapital der Heuschrecken fließt nahezu ungebremst, und nur gelegentlich macht höchstens mal das Zauberwort "Devisenbesteuerung" die Runde.

Müntefering: Das Problem ist: Wir denken und handeln nationalstaatlich, aber die Globalität hat die Finanzindustrie voll erreicht. Wir bräuchten eine weltweite Gesetzgebung, die die Finanzindustrie an die Hand nimmt und ihr zeigt, wo deren Grenzen sind. Wir brauchen eine schärfere Finanzaufsicht, außerdem müssen die Verbraucher besser geschützt werden. Die Globalität wird missbraucht - das ist das Problem. Deshalb sind zum Beispiel G-20-Absprachen von so unendlicher Bedeutung. Kein Land alleine wird diese Finanzindustrie in den Griff bekommen - die ist weg, ehe man sie gefasst hat, sie agiert weltweit und lacht sich heimlich ins Fäustchen. Die europäischen Staaten müssen ein gemeinsames Vorgehen organisieren. Da liegt der Weg zur Lösung.

sueddeutsche.de: Die G 7 und die G 20 tagen immer mal wieder, doch die Konsequenzen sind marginal. Erst kürzlich wurde sogar auf die Pleite Griechenlands spekuliert. Warum ist die Politik so hilflos und die Finanzindustrie so mächtig?

Müntefering: Da hat sich eine Mischung aus Dilettanten, Spielern und Gangstern verbündet. Sie versuchen, die Politik auszumanövrieren. Es geht um Verantwortungsethik und die Frage, ob man sich verantwortlich fühlt für ein Gelingen der Gesellschaft und der Welt insgesamt. Das wollen diese Leute aber nicht. Die, die das betreiben, sind zynisch - und sie verleihen und verzocken das Geld, das sie selbst gar nicht haben. Es geht nur noch um das Goldene Kalb.

sueddeutsche.de: Sie selbst nennen es Verantwortungsethik. Ist es nicht zynisch, dass ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung hierzulande Private-Equity-Gesellschaften und Hedge-Fonds zugelassen hat?

Müntefering: Wir haben das in Maßen getan, das ist richtig. Wenn sich ein großes wichtiges Land, das viel Geld in die Welt schickt und das viel Geld aus der Welt transferiert bekommt, verweigert, dann wird es an den großen Transaktionen nicht beteiligt sein. Das kann man nicht wollen. Es geht nicht um Verweigerung von internationaler Finanzindustrie in eigener Isolation, sondern um Beherrschung internationaler Finanzindustrie durch die Politik. Wir müssen uns von der Vorstellung trennen, dass unser Land isoliert diese Probleme lösen kann. Wir müssen es gemeinsam mit den anderen Ländern tun. Da ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig.

sueddeutsche.de: Echte Überzeugungsarbeit im Auftrag der rot-grünen Regierung leistete die Agentur "Invest in Germany". Für 5,5 Millionen Euro pro Jahr bestand ihre Aufgabe aus nichts anderem, als um das Geld ausländischer Investoren zu buhlen. Haben Sie bei Ihrer Heuschreckenschelte mit gespaltener Zunge gesprochen?

Müntefering: Es bleibt richtig, ausländisches Kapital hierherzuholen und auch deutsches Kapital in die Welt zu bringen. Es kommt darauf an, mit welcher Attitüde und mit welchem Verantwortungsbewusstsein man das macht. Geldverdienen ist nicht unsittlich, wenn es sich auf bestehende Werte ausrichtet. Wenn spekuliert wird, zum Beispiel in Form der ungedeckten Leerverkäufe, dann ist das nicht in Ordnung und zugleich ein großes Risiko für alle Beteiligten.

sueddeutsche.de: Etliche ehemals staatlich kontrollierte Unternehmen wurden unter Rot-Grün an Private-Equity-Gesellschaften veräußert. Tank & Rast ging im Oktober 1998 an ein Konsortium, dem auch der Finanzinvestor Apax angehörte. 64.000 Eisenbahnerwohnungen wurden an ein Bieterkonsortium abgegeben, hinter dem der japanische Investor Nomura steckte. Sie hatten den Verkauf als Bau- und Verkehrsminister vorangetrieben - zum Leidwesen der eigenen Genossen.

Müntefering: Das war damals alles vor dieser Diskussion. Ich habe die Entscheidungstiefe nicht so gesehen wie heute. Die Erfahrung damit war damals allerdings eine gute. Das zeigt auch, dass es unter diesen Unternehmen solche und solche gibt. Es gibt Unternehmer, die eine andere Firma kaufen, die sich aber sehr wohl ihrer Verantwortung bewusst sind. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Das habe ich auch nie getan.

sueddeutsche.de: Der Verkauf der Bundesdruckerei, ebenfalls an Apax, ging gründlich schief.

Müntefering: Keiner kann sagen, dass er das vor 20 Jahren schon alles durchschaut hat, und ich vor fünf Jahren ganz sicher nicht. Ich habe damals das berechtigte Bauchgefühl gehabt, dass da etwas nicht stimmt, dass da etwas schiefläuft, daraufhin habe ich mich geäußert. Und ich glaube es ist aller Ehre wert, wenn man klüger wird anhand von konkreten Dingen, die man erlebt. Dann muss man allerdings die Konsequenzen ziehen und für die Zukunft Vorsorge treffen.

sueddeutsche.de: Seit Beginn der Finanzkrise haben Unternehmen deutlich mehr Schwierigkeiten an frisches Kapital zu gelangen, denn die Banken halten ihr Geld zusammen. Wäre es nicht an der Zeit, Private Equity in Deutschland willkommen zu heißen?

Müntefering: Na ja, es ist nicht so, dass es keine Kredite gibt für kleinere und mittlere Unternehmen. Wir haben mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau ein vernünftiges Projekt gestartet - das ist in den letzten zwei Jahren besonders gut gelaufen. Das Problem ist, dass sich vor allem die größeren Banken nicht mehr um die kleineren Unternehmen gekümmert haben. Viele Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben gut und vorbildlich gehandelt und sie haben sich auch mit weniger Gewinn zufriedengegeben.

sueddeutsche.de: Mit Ihrer Kapitalismuskritik haben Sie vor fünf Jahren den Wahlkampf von NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück torpediert: Aus einer Doppelstrategie wurde eine doppelte, aber uneinheitliche Strategie und Sie fanden einfach mehr Gehör als der Wahlkämpfer in Düsseldorf. Würden Sie heute abermals so agieren wie damals?

Müntefering: Das unterstellt, dass ich die Heuschrecken-Diskussion angestoßen habe, weil in NRW gewählt wurde und ich Wahlkampf damit machen wollte. Das war aber nicht so. Wenn ich heute noch einmal in derselben Situation wäre, würde ich meine Kritik eher lauter äußern.

sueddeutsche.de: Und welches Tier würden Sie heute bemühen?

Müntefering: Die Heuschrecken sind schon ein gutes Beispiel. Wenn man sie einzeln sieht, wirkt sie unproblematisch. Aber sie kommen im Verbund, unangemeldet, ohne Rücksicht auf Verluste und fressen die Felder leer. Das ist ja auch nicht zufällig eine Geschichte aus der Bibel. Ich glaube, das Beispiel sitzt, das ist eine immerwährend gültige Parabel - und daran halte ich fest.

sueddeutsche.de: Sind Sie ein bisschen stolz darauf, einer Debatte Ihren Namen verpasst zu haben? Wer heute das Wort Heuschrecke hört, der denkt sofort an Franz Müntefering.

Müntefering: ( lacht) Na sehen Sie! Da habe ich nichts dagegen.

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