Frankfurt:Wie es sich ganz oben wohnt

Frankfurt: Wer von seiner Wohnung aus eine Aussicht wie die vom Taunusturm auf Frankfurt am Main genießen will, muss schon ein Gutverdiener sein.

Wer von seiner Wohnung aus eine Aussicht wie die vom Taunusturm auf Frankfurt am Main genießen will, muss schon ein Gutverdiener sein.

(Foto: PR)

Frankfurt will das Banken-Viertel beleben, in den Wolkenkratzern entstehen Wohnungen. Normalverdiener müssen draußen bleiben. Normalerweise. Ein Besuch.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Dicke Stahlseile hieven den gläsernen Außenaufzug in wenigen Sekunden hinauf bis in den 29. Stock des Eurotheums. Mit jeder Etage wirken die Menschen und Autos in der Straßenschlucht des am Spätnachmittag noch lebendigen Bankenviertels immer kleiner. Jeannine Göbel arbeitet in diesem Hochhaus. Die Verkaufsassistentin öffnet mit einer elektronischen Karte die Tür zum "Innside Loft" und führt den zur Höhenangst neigenden Besucher zum makellos geputzten Fenster, das fast bis zum Boden reicht. Die Ferne und den Abgrund vor Augen berichtet die junge Frau mit den kurzen schwarzen Haaren fröhlich, dass man sich in 110 Meter Höhe befinde.

"Was man hier auch kann", sagt Frau Göbel in diesem Moment viel zu beiläufig, "ist - das Fenster aufmachen." Sie spricht's und reißt - ja, sie reißt - das Fenster mit aller Kraft auf. Es strömt kühle Luft in den Raum, und der Besucher ist sofort starr vor Schreck. Jeannine Göbel muss lächeln und beruhigt. "Dahinter ist doch noch eine Scheibe." Wirklich? Man streckt die Rechte ungefähr 30 Zentimeter nach draußen und fühlt: Glas. Sehr sauber und transparent.

Willkommen in einer der höchsten Wohnungen in Frankfurt. Die Monatsmiete für das 62 Quadratmeter große Loft beträgt 5800 Euro. Die Badewanne in Planschbeckengröße steht mitten im Raum. Wer die Körperreinigung gerne auf Augenhöhe mit den Zwillingstürmen der Deutschen Bank verrichtet, kommt hier auf seine Kosten. Ein diskreter Paravent teilt den Raum, das Parkett ist dunkel, das Ledersofa weiß, der Kleiderschrank großzügig und die Küche dezent verborgen.

Frankfurt trägt in Anspielung auf New York den Spitznamen "Mainhattan", weil die höchsten Wolkenkratzer fast 300 Meter messen. Die Banken der Welt haben dort ihre Residenzen. Tagsüber herrscht viel Trubel. Finanzprofis mit kurzen, nassgekämmten Haaren eilen mit geschäftigem Blick von einem Termin zum anderen. Doch nachts verändert sich die Gegend zu einer Geisterstadt. Das soll sich ändern. "Wir wollen das Bankenviertel beleben", sagt Mark Gellert, Sprecher des städtischen Planungsdezernats, der die Veränderung im Immobiliensektor schon spürt. "Früher war der Bürosektor die treibende Kraft in der Stadt, heute ist es der Wohnsektor."

"Urban, verdichtet und hoch"

Frankfurt baut um. In der Innenstadt verrichten an fast jeder Ecke Abrissbirnen ihre zerstörerische Pflicht. Wasser aus dicken Schläuchen bindet den aufsteigenden Staub. Es werden hohe Kräne aufgebaut und tiefe Löcher gebaggert. Jede Menge Beton fließt täglich in die Verschalungen. Einige ältere Hochhäuser lassen sich für eine Doppelnutzung als Büro und Wohnhaus umbauen.

Diese Renovierungsarbeiten bringen einen hohen Aufwand mit sich. Beispielsweise braucht man zwei Zugänge zu den Tiefgaragen und zwei örtlich getrennte Aufzüge. "Man will ja die Banker nicht im Bademantel im Büroaufzug sehen", sagt Gellert. Da sich teure Umbauten bei manchen Gebäuden nicht rentieren, werden die alten Immobilien oft abgerissen oder es wird neues Bauland erschlossen. Erst dieser Tage hat die Stadt die Baugenehmigung für den "Tower 2" im neuen Europaviertel erteilt. Der Wohnturm soll 160 Meter hoch werden. Auf den 47 Stockwerken sind 401 Eigentumswohnungen vorgesehen. Das ist ein neuer Rekord, denn bisher gilt das Colonia-Haus in Köln mit 155 Metern Höhe als bundesweit höchstes Wohngebäude.

Kaufpreis pro Quadratmeter zwischen 5000 und 10 000 Euro

"Im Frankfurter Bankenviertel gibt es derzeit rund 600 Wohnungen in Hochhäusern, weitere 600 sind geplant", sagt Thomas Beyerle, Direktor der Immobilienfirma Catella. Die Zielgruppe seien meist Singles und Leute mit Berufen, in denen man viel unterwegs sei. "Etwa 80 Prozent der Käufer finanzieren diese Apartments, die pro Quadratmeter zwischen 5000 und 10 000 Euro kosten, direkt von ihrem Girokonto", weiß Beyerle. Durch die Auswahl einer exquisiten Innenausstattung könne sich der Preis noch um 30 Prozent erhöhen, wobei die in Frankfurt geplanten Apartments im Schnitt mit 80 Quadratmeter eher klein seien. Dennoch steht fest: In der modernen Frankfurter City ist kein Platz für Normalverdiener.

Man verlässt das Eurotheum nach links und erreicht schon nach 150 Metern eine Brache. Hier, auf dem Gelände der Großen Gallusstraße 18, ließ die feine Privatbank Metzler nach dem Krieg einen schmucklosen Flachbau errichten. Die letzten Reste des Bankhauses sind erst vor ein paar Wochen entsorgt worden. Jetzt kommen die Tiefbauexperten. Die amerikanische Immobilienfirma Tishman Speyer, die auch schon den Messeturm und Opernturm in der Stadt gebaut hat, zieht an dieser Stelle einen 185 Meter hohen Wolkenkratzer hoch. Im "Tessuto", so der Arbeitsname, sind sowohl Büros als auch Wohnungen vorgesehen. "Im Erdgeschoss gibt es öffentliche Einrichtungen mit Bank, Fitnessstudios oder Restaurants, darüber Büros, dann folgen Wohnungen, darüber wieder Büros", so der städtische Bauexperte Gellert. "Es entsteht das in Deutschland erste vertikal gemischt genutzte Hochhaus."

Schräg gegenüber, in Sichtweite dieser Großbaustelle, steht der mächtige Taunusturm. Auch dieses 170 Meter hohe Bürogebäude entstand unter der Regie von Tishman Speyer. Direkt daran angedockt liegt der 70 Meter hohe Taunus Turm Residential. Ein Wohnturm. An der Eingangstür sind Klingelknöpfe. Auf den kleinen Schildern stehen die Namen von Privatpersonen. Einige der 40 Wohnungen haben Balkon mit Blick auf die Skyline. Unten befindet sich der Eingang zum Museum für Moderne Kunst. Draußen stehen Stühle, ein Café versorgt die Besucher. In der lauen Oktoberluft genießen Passanten das letzte Eis der Saison, Fahrradfahrer nutzen den breiten Fußweg. Ein neues Wohnquartier entsteht. Edel und riche.

Deutschland fremdelte mit Wohntürmen

"Die Idee vom Wohnturm wird weltweit umgesetzt", sagt Immobilienprofi Beyerle. Er nennt als Beispiele New York, Tokio und Hongkong. Nur Deutschland habe lange damit gefremdelt, weil man mit Wohntürmen soziale Brennpunkte verknüpfe. "Ursprünglich waren Wohntürme in den 1960er- und 1970er-Jahren wie in Köln- Chorweiler oder in der Berliner Gropiusstadt für die Mittelschicht konzipiert", sagt Beyerle. "Doch die Familien zogen es vor, ein Haus mit Garten zu haben. Danach sind diese Siedlungen sozial erodiert."

Die modernen Wohntürme von heute entstehen nicht mehr in der Peripherie, sondern mitten in der Stadt. Deutschlandweit gebe es 47 Projekte, so Beyerle. Im Frankfurter Stadtteil Bockenheim entsteht das Campus Bockenheim, im Europaviertel plant man den Tower 2 und den Porsche Design-Turm, in Sachsenhausen wächst der neue Henninger Turm. Auch Berlin, Stuttgart, München und Köln forcieren den Bau von Wohntürmen. Die Menschen zieht es zurück in die Städte. Der Platz ist knapp, also geht man in die Höhe. "Wenn man sich Science-Fiction-Filme wie 'Metropolis' oder 'Blade Runner' anschaut, immer war der Wohnraum der Zukunft als urban, verdichtet und hoch dargestellt", sagt Beyerle. "In einem Apartment zu wohnen gibt Schutz wie in der Höhle."

Das Rockefeller kennt jeder. Aber das Eurotheum?

Schon im Mittelalter gab es Türme, die als Wohnsitz dienten und gleichzeitig Schutz boten vor feindlichen Angriffen. Einige dieser alten Gebäude sind renoviert und werden noch genutzt. So beherbergt das Trierer Dreikönigenhaus ein Café. Mit seinen 22 Metern ist die alte Patrizierresidenz kein wirkliches Hochhaus. "Man spricht erst ab 27 Meter von einem Hochhaus, denn ab dieser Höhe kann die Feuerwehr keine Leitern mehr ausfahren", sagt Gellert, der Gebäuden erst von 100 Meter Höhe an eine "Fernwirkung" attestiert.

In Frankfurt gibt es etwa 30 Hochhäuser, die mindestens 100 Meter messen. Wer mit dem Flugzeug landet oder mit dem Auto auf der A5 anreist, der spürt, dass diese Skyline die Mainmetropole mit ihren 700 000 Einwohnern größer wirken lässt, als sie ist. Bislang verband man den Anblick von Wolkenkratzern vor allem mit Arbeit und Geldverdienen. Jetzt also soll man dort privat einziehen. Das Frankfurter Bankenviertel - bald ein Kiez? "Ich denke nicht, dass sich ein richtiger Kiez zwischen den Hochhäusern entwickelt", sagt Beyerle. In Deutschland gebe es keine Kultur, sich mit einem Gebäude und mit einer Adresse zu identifizieren. "Beim Rockefeller in New York hat jeder sofort ein Bild im Kopf, beim Eurotheum bin ich mir da nicht so sicher."

Die letzten Momente im Innside Loft des Eurotheums. Der Helikopterblick auf die Stadt wirkt wie ein Privileg. Wer es sich leisten kann, hier zu wohnen, könnte abheben. Neulich erlebte Frankfurt eine Inversionswetterlage. In den Straßenschluchten der Stadt staute sich ein Wattemeer aus Nebel, oben im Wolkenkratzer aber sah man die Sonne aufgehen. So aufzuwachen, das hätte schon was.

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