Folgen der Finanzkrise:Das Wendejahr 2008

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Der Kapitalismus bedarf der Zähmung und das Vertrauen in den Markt weicht großer Staatsgläubigkeit: 2008, was für ein Jahr!

Nikolaus Piper

Ein furchterregendes Jahr geht zu Ende. Der 15. September 2008, an dem die Investmentbank Lehman Brothers unterging, markiert einen der großen schwarzen Tage in der Wirtschaftsgeschichte, vergleichbar mit dem Börsenkrach vom 24. Oktober 1929 oder dem Zusammenbruch der Wiener Credit-Anstalt am 11. Mai 1931, mit dem die letzte, katastrophale Phase der Wirtschaftskrise in Europa begann.

Die Skyline der "Bankenstadt" Frankfurt am Main im Dezember 2008 - mit einer Eislaufbahn im Vordergrund. (Foto: Foto: ddp)

In den dreieinhalb Monaten seither haben sich die Grundlinien der Wirtschaftspolitik mehr verändert als in den dreißig Jahren zuvor. Der Staat hat ein Ausmaß an Verantwortung übernommen, das bis zum Abend des 14. September unvorstellbar erschien. Die Regierungen haben sich Hunderte von Milliarden Dollar und Euro an Schulden aufgebürdet, weitere Milliarden werden dazukommen müssen, wenn der Absturz der Weltwirtschaft gestoppt werden soll. Niemand weiß heute, was dies auf lange Sicht für die Staatsfinanzen und den Geldwert bedeutet. Sicher ist nur: Eine Wiederholung der Weltwirtschaftskrise wäre so schlimm, dass im Vergleich dazu alles andere als erträglich erscheint.

Das Jahr 2008 wird das Denken der Menschen auf unabsehbare Zeit bestimmen. Der Kapitalismus gilt bei vielen als diskreditiert oder wenigstens als stark zähmungsbedürftig. Das Vertrauen in den Markt, in Deutschland ohnehin nie übermäßig ausgeprägt, ist großer Staatsgläubigkeit gewichen. Der Deutungs- und Empörungsbetrieb sucht jetzt nach einfachen Erklärungen: Schuld sei die Gier der Bankmanager, der Turbokapitalismus, oder sogar, wenn es nach dem EKD-Ratsvorsitzenden Bischof Wolfgang Huber geht, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann. Doch hinter der Entrüstungs-Rhetorik bleibt ernüchternd wenig Erklärungssubstanz übrig.

Natürlich gab es Gier, also besinnungsloses Gewinnstreben, an der Wall Street - wie immer in Boom-Zeiten. Natürlich haben Bankmanager versagt, bei Lehman Brothers, bei der Hypo Real Estate und bei den - wohlgemerkt staatlichen - Landesbanken in Deutschland. Und natürlich hat der langjährige amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan die Zinsen zu lange zu niedrig gelassen und so die Spekulation mit Häusern und Grundstücken begünstigt. Aber unverantwortliches Management, besinnungslose Spekulation und falsche Geldpolitik hat es immer wieder gegeben. Die Fehlleistungen wurden vom Markt bestraft, Manager verloren ihren Job und Aktionäre viel Geld. Warum blieb es diesmal nicht dabei, warum wurde 2008 alles so schrecklich anders?

Greenspans eigentlicher Fehler

Diese Frage wird erstaunlich wenig gestellt. Dabei ist die Antwort darauf entscheidend. Denn in ihrem Kern ist die Krise des Jahres 2008 keine Krise des Kapitalismus selbst, sondern eine des Übergangs von einer Form des Kapitalismus zu einer anderen. Sie ist die erste große Krise der Globalisierung, die erste eines möglicherweise postamerikanischen Zeitalters. Die globale Marktwirtschaft, also das, was heute gerne als Turbokapitalismus dämonisiert wird, hat seit dem Ende des Kommunismus Hunderten von Millionen Menschen aus Hunger und Elend verholfen; aber es gibt bis heute keine angemessene Finanzordnung dafür. Das Jahr 2008 ähnelt insofern dem Jahr 1907, als mit einem großen Bankenkrach die Phase des völlig unregulierten Finanzkapitalismus zu Ende ging. Oder dem Jahr 1931, als die Ordnung der Zwischenkriegszeit an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde ging.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie eine neue Finanzordnung aussehen müsste.

Schon seit Jahren war klar, dass die Globalisierung zu großen Ungleichgewichten in der Welt geführt hatte: Riesigen Handelsüberschüssen in Asien standen ebensolche Defizite in Amerika gegenüber. Die Ungleichgewichte wurden überbrückt durch immer komplexere Finanzströme. Und selbst die Immobilienspekulation in den USA ist eine Fernwirkung dieser Finanzströme. Was man Alan Greenspan und den Seinen vorwerfen muss, ist dies: sich gefreut zu haben, wie die Finanzmärkte die Ungleichgewichte scheinbar ausbalancierten.

Es ist in der Politik wie in der Wirtschaft: Die USA sind zwar immer noch die dominierende Wirtschaftsmacht, sie können aber die großen Fragen nicht mehr alleine beantworten. Politische Fehler in einem winzigen Land wie Island können Folgen für den ganzen Globus haben. Die tektonischen Verschiebungen zwischen den Wirtschaftsblöcken wirken bis in die hintersten Winkel hinein. Es war die Explosion der Rohstoffpreise, verursacht durch die enorme Nachfrage Chinas, die in der ersten Jahreshälfte das Übergreifen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft beschleunigt hat.

Die richtigen Schlüsse ziehen

Viele Ökonomen waren überzeugt, dass die Ungleichgewichte zwischen China und Amerika auf Dauer unhaltbar sind, aber ihre Warnungen klangen reichlich akademisch, weil die globalisierten Finanzmärkte mit ihren modernen Instrumenten ja alles so reibungslos zu regeln schienen. Wenn eine Nation wie die USA praktisch aufhört zu sparen und sich gleichzeitig immer mehr im Ausland borgt, muss dies eigentlich über kurz oder lang zum Absturz der Währung führen. Dieser Absturz wurde verhindert, weil die Chinesen fleißig amerikanische Staatsanleihen kauften und weil sie ihre Exporte durch eine unterbewertete Währung fördern wollten. Dass das Unheil dann seine Bahn auf dem Umweg über eine gigantische Spekulation mit US-Immobilien nahm, war zum Teil Zufall, zum Teil Folge der chaotischen Marktregulierung in den USA und zum Teil den neuen Finanzinstrumenten geschuldet, deren Brisanz von erschreckend wenig Leuten verstanden wurde.

Die Rolle Chinas beim Entstehen der Finanzkrise wahrzunehmen, bedeutet nicht, das Versagen an der Wall Street, bei der Bayerischen Landesbank und überall sonst zu entschuldigen. Aber es hilft, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Es geht nicht darum, den Finanzsektor unter komplette Staatskontrolle zu stellen; die deutschen Landesbanken sind für diese Staatskontrolle ein abschreckendes Beispiel. Vielmehr brauchen die Finanzmärkte ein System von Sicherungen, das zu den völlig veränderten Bedingungen des 21. Jahrhunderts passt.

Die Formel von einem "neuen Bretton Woods" ist dabei durchaus hilfreich. Bei der Weltwährungskonferenz von Bretton Woods 1944 wurde eine internationale Finanzordnung geschaffen, die nach den Katastrophen der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts die Rückkehr zum freien Welthandel, zu Wachstum und Stabilität ermöglichte. Genauso geht es jetzt darum, eine Finanzordnung zu finden, die die Fortsetzung der Globalisierung ermöglicht und den Rückfall in allgemeinen Wirtschaftsnationalismus verhindert - eine Ordnung, die auf Kooperation und nicht auf einsame Entscheidungen baut. Nach allem, was bisher bekannt wurde, ist dem Wirtschaftsteam des künftigen US-Präsidenten Barack Obama die globale Dimension des Problems bewusst. Obamas Wahl war daher auch in einem sehr fundamentalen Sinne eine Antwort auf die große Krise. Und auch deshalb wird das Jahr 2008 als ein Wendejahr in die Geschichte eingehen.

© SZ vom 31.12.2008/1.12009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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