Folgen der Finanzkrise:Crash-Kurs fürs Leben

Fortbildungsprogramm für entlassene Spekulanten: Die Wall-Street-Banken entlassen Zehntausende Mitarbeiter - zwei Betroffene erzählen, wie schwer ihnen das Umdenken fällt.

Moritz Koch, New York

Deal Killer nannten sie ihn im Büro, nicht aus Spott, sondern voller Anerkennung. Weil er so penibel war und kein Geschäftspartner ihn blenden konnte. Daniel Clark sitzt bei Starbucks und schlürft Kaffee. Ein kleiner Mann, 40 Jahre alt, mit raspelkurzen Haaren. Er blättert im Economist, so lange schon, dass das Heft ganz zerfleddert ist. Die Mittagspause in Manhattan geht zu Ende. Männer in Wall-Street-Uniformen greifen ihre Pappbecher und hetzen zurück in die Hochhäuser. Auch Clark trägt seine Finanzmontur, ein blaukariertes Oxford-Hemd steckt faltenfrei in seinen Khaki-Hosen. Aber er bleibt sitzen. Er gehört nicht mehr dazu. Im Januar hat man ihn aussortiert. Der Beteiligungsfonds, für den er arbeitete, bekam keine Kredite mehr. Sechs Mitarbeiter beschäftigte die Firma, einer musste gehen.

Wall Street, dpa

Zentrum des Geldes: An der Wall Street fallen als Folge der Finanzkrise Zehntausende Jobs weg.

(Foto: Foto: dpa)

Clark teilt das Schicksal der Arbeitslosigkeit mit Zehntausenden an der Wall Street - die plötzliche Gewissheit, entbehrlich zu sein. Ach, die Krise, haben sie noch vor einem Jahr gedacht, das ist doch nur ein Hysterie-Anfall. So schlimm kann es gar nicht werden. Konnte es doch. Und die arbeitslosen Banker ahnen inzwischen: So sehr sie sich auch bemühen, so viele Jobmessen sie auch besuchen, so viele Visitenkarten sie auch verteilen, es gibt keinen Weg zurück in ihre alte Arbeitswelt. Aber wohin dann?

Es sind Zeiten der Orientierungslosigkeit in New York, und die Stadt versucht zu helfen. Sie hat gemeinsam mit dem Levin Institute das Projekt Jump Start NYC ins Leben gerufen, ein Fortbildungsprogramm für entlassene Spekulanten, ein Crash-Kurs für das Leben ohne sechsstellige Bonuszahlungen und Bloomberg-Terminal.

Entbehrlich ja, nutzlos nein

Die Idee: An der Wall Street mögen die Angestellten entbehrlich geworden sein, nutzlos aber sind sie nicht. Andere Branchen könnten von ihrem Arbeitseifer profitieren. Doch sich ein Berufsleben ohne die Wall Street vorzustellen, fällt vielen Finanzprofis schwer. Und nicht nur ihnen: Die ganze Stadt muss sich umstellen. Die Steuereinnahmen New Yorks sind drastisch gefallen, weil die Wirtschaft in den vergangenen Jahren zur Monokultur geworden war. Alles war auf das Wohl der Wall Street ausgerichtet. Nun wird das Geld für öffentliche Schulen knapp, für die Metro und die Buslinien. Andere Sektoren müssen wachsen, damit die Stadt das Schrumpfen der Finanzbranche verkraften kann. Und Clark soll seinen Teil dazu beitragen.

Gerade ist die erste Seminarreihe zu Ende gegangen. Die Jobsucher haben Vorlesungen besucht, Fallbeispiele am Computer durchgespielt und ein unbezahltes Praktikum in einer Start-up-Firma gemacht. Es war eine bunte Gruppe.

Da war Ed Keever, der vergangenen September bei der Investmentfirma Oppenheimer & Co. entlassen wurde und sich zeitweise als Gebäudesanierer durchgeschlagen hat. Und Jacqueline Maduneme, die als Risikomanagerin für die Citigroup gearbeitet hat und über eine Model-Karriere nachdenkt. Und Kevin Stocklin, der für die Schweizer Großbank UBS Kreditderivate verschnürt hat und jetzt eine Dokumentation über die Krise drehen möchte. Keiner der Teilnehmer hätte gedacht, noch einmal umsonst zu arbeiten oder sich Chefs unterzuordnen, die weniger qualifiziert sind als sie selbst. Doch die Arbeitslosigkeit hat die gestrauchelten Spekulanten bescheiden werden lassen.

Lebenshilfe und Seelenmassage

Wahrscheinlich war das Angebot an hochqualifizierten Arbeitskräften in Manhattan noch nie so groß wie jetzt. Jahrelang hatten die Finanzkonzerne Talente gehortet. Sie schickten ihre Personalscouts an die besten Universitäten, lockten Betriebswirte, Physiker und Mathematiker mit Geld und Prestige. Zehntausende Eliteabsolventen verfielen dem Traum, innerhalb weniger Jahre Multimillionär zu werden. Nun spucken die Hochhäuser die Talente wieder aus. Schätzungen zufolge wird die Rezession in New York 50.000 Finanzjobs fordern.

Folgen der Finanzkrise: Daniel Clark

Daniel Clark

(Foto: Foto: Schulte-Hillen)

Wie ein Trauma

Für Wall-Street-Angestellte, die dachten, es bis ganz nach oben zu schaffen, kommt das einem Trauma nah. Und so geht es bei Jump Start auch um Seelenmassage.

Tom Moebus, Direktor des Programms, sagt: "Wir fangen damit an, den Teilnehmern klarzumachen, dass sie nicht entlassen wurden, weil sie schlecht waren." Niemand war mehr sicher, als die Krise eskalierte. Die Banken hatten schon nach dem Platzen der Internet-Blase Stellen gestrichen, Dead Wood, alte Äste abtragen, heißt das. Den Entlassenen spendet das Trost: "Ich sage mir immer wieder: Du hast nicht versagt, es liegt nicht an dir", sagt Clark.

Jump Start hat ihm eine Perspektive eröffnet. Er hat während seines Praktikums bei der Softwarefirma Schoolnet ein Programm entwickelt, das Berufsschulen hilft, die Lernerfolge ihrer Schüler zu messen. Clark will sich in den nächsten Tagen mit den Schoolnet-Chefs zusammensetzen. "Ich würde gern als Berater weitermachen, ein-, zweimal die Woche", sagt er. "Vielleicht ist das das neue Modell. Mehrere Projekte betreuen, von unterschiedlichen Arbeitgebern womöglich, ohne eine feste Stelle zu haben." Die Experten von Levin Institute stimmen zu: Die Arbeitswelt verändert sich.

Christopher Dawes kann kaum verhehlen, wie glücklich ihn das macht. Auch er hat seinen Job verloren und bei Jump Start mitgemacht. Jetzt schlendert er durch den New Yorker Dauerregen. "Kennen Sie den Film Fired?", fragt er. "Darin heißt es: Entlassen zu werden, ist die Art des Universums dir zu sagen, dass du etwas anderes machen sollst." Lange schon trug sich Dawes mit dem Gedanken, in die Medienbranche zu wechseln. Das Erzählen von Geschichten ist seine Leidenschaft, nicht Wertpapiere. Aber er zauderte. "Da hat das Universum wohl die Geduld mit mir verloren." Dawes klingt vergnügt, als er das sagt. Nun will er seinen Traum verwirklichen. Er hat sich mit einem Regisseur zusammengetan. Sie wollen gemeinsam einen Film drehen. Von homosexuellen Indianern soll er handeln. "Die waren oft Schamanen", sagt Dawes. Eine Kündigung kann auch Erleichterung sein.

Nicht für Clark. Für ihn bedeutet sie Verlust. Er schwärmt von seinem alten Arbeitgeber. Man spürt es schnell: Am liebsten würde er zurück zu dem Beteiligungsfonds. Der Kaffee ist alle, und der Economist fesselt ihn nicht mehr. Clark macht sich auf dem Weg in sein altes Büro, das man ihn noch benutzen lässt. Er will noch eine Online-Bewerbung rausschicken. Ein ehemaliger Kollege kommt ihm im Foyer entgegen. Clark grüßt überschwänglich, bleibt stehen, aber der Ex-Kollege muss weiter. Keine Zeit. "Hey! Es war schön, dich zu sehen", ruft Clark ihm nach. Jeder für sich, so war es immer an der Wall Street.

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