Süddeutsche Zeitung

Förderungen für Familien, Angebote für Senioren:Ganz anders dahoam

Im oberbayerischen Brannenburg entsteht ein Wohnprojekt, das Generationen verbinden soll. Auf einem ehemaligen Kasernengelände werden einmal 800 Menschen miteinander leben, hoffen die Bauträger.

Von Johanna pfund

Es ist ein Anblick, wie ihn Bauträger vermutlich lieben. Mehrere Rohbauten erheben sich in einer Reihe, drinnen wird gehämmert und gebohrt, wird Boden verlegt, draußen fahren Bagger und Lastwagen. Und das noch dazu vor einer wunderschönen oberbayerischen Alpenkulisse, mit Heuberg, Riesenkopf und Wendelstein. Den Inn erahnt man irgendwo östlich des Montessori-Kinderhauses, das bereits in Betrieb ist und die Reihe der Wohngebäude - noch im Rohbau - beschließt. Brannenburg ist kein schlechter Wohnort, und bald werden noch mehr Menschen hier wohnen. Denn die Umwandlung der einstigen Karfreit-Kaserne in den neuen Ortsteil Sägmühle, die 2014 begonnen wurde, schreitet zügig voran.

So weit sind Investor Wolfgang Endler und Geschäftsführer Rupert Voß von der Innzeit GmbH auch zufrieden mit ihrem Projekt. So weit, denn Endler und Voß verfolgen ein ehrgeiziges Ziel, von dem sie nicht wissen, ob sie es erreichen: Sie wollen ein Mehrgenerationen-Viertel schaffen, in dem die etwa 800 Bewohner ein Miteinander leben, eine Art gallisches Dorf, in dem man vom Anfang bis zum Ende seines Lebens gut aufgehoben ist. Ob das so gelingt, das liegt an den Bewohnern. Der Wille ist jedenfalls da. "Es soll ein Leuchtturmprojekt sein", sagt Endler.

"Der Hunger der Menschheit nach echtem Kontakt wird immer größer."

Solche großen Ziele hat nicht jeder Bauträger, und Endler ist auch kein klassischer Bauträger. Der gelernte Schreiner wuchs in der Region München auf, arbeitete fünf Jahre lang als Surf-Lehrer, gründete in Südafrika vor fast 25 Jahren die Modefirma Timezone, die schon von Stephanskirchen nach Brannenburg umgezogen ist. "Irgendwann war Geld da", sagt der 58-Jährige, und das wollte er sinnvoll investieren.

Die Sinnsuche hatte ihn schon vorher zu Rupert Voß - übrigens auch Schreiner - geführt, der in Taufkirchen ein Projekt für straffällig gewordene Jugendliche, die "Work & Box Company", gegründet hat. Die Vorstellung, Wohnraum zu schaffen, in dem Senioren wie Familien, Alleinstehende wie Paare alle zu ihrem Platz kommen, fanden beide gut. So machten sie sich auf die Suche nach einem Grundstück. Nicht leicht in Oberbayern, wo Baugrund teuer und knapp ist, Bauträger aber zahlreich sind. "Ich habe mal in Stephanskirchen angefragt, ohne Erfolg", berichtet Endler. Zufällig stolperte er dann über die Karfreit-Kaserne in Brannenburg.

Die Kaserne ist - wie so viele andere in Deutschland - im Zuge des Truppenabbaus überflüssig geworden. Gebaut wurde sie wie ebenfalls so viele andere unter den Nationalsozialisten in den Jahren 1935 / 36. Zuletzt war dort das Gebirgspionierbataillon 8 mit etwa 1000 Soldaten und 200 Zivilbeschäftigten untergebracht, 2010 zogen die Soldaten ab, und das 16 Hektar große Gelände stand zur Disposition - vermarktet wurde es wie alle ehemaligen militärischen Liegenschaften von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima). Deren Aufgabe ist es, die Liegenschaften möglichst gewinnbringend zu verkaufen, was die Sache oft nicht leicht macht. Viele Gemeinden und Städte kennen das Problem.

Die Gemeinde Brannenburg entschied sich dagegen, das Gelände zu kaufen und erwarb nur das etwa einen Hektar große Sportgelände. Von der Kaufmöglichkeit der anderen 15 Hektar erfuhr Endler in letzter Minute und stieg als vierter Bieter in das Bieterverfahren der Bima ein. Ein Monat blieb Endler und Voß für die Vorprüfung - keine unwichtige Sache bei militärisch genutzten Arealen, die meist Altlasten im Boden und auch oft in der Bausubstanz verbergen. "Es gab natürlich eine Reihe von Überraschungen, aber sie blieben bisher im kalkulierten Rahmen von einer Million Euro Kosten", sagt Voß. Ein Gutachterbüro begleitet bis heute den Bau kontinuierlich. Den Zuschlag hatte Endler für gut sieben Millionen Euro erhalten. Zugute kam dem Investor sein Konzept.

Es ist ein Programm, das über das übliche Wohnungsbauen hinausgehen soll. Das deutet das Motto "Dahoam im Inntal. Lebensraum mit Herz" an, unter dem die Wohnungen vermarktet werden.

Von den Kasernengebäuden wird nur ein einziges erhalten bleiben, der Rest ist teils schon abgerissen oder wird es noch. Im Südwesten des Geländes sind bereits 50 Einfamilienhäuser entstanden, deren Grundstücke Endler frei verkauft hat. Ein Zug mit durch Garagen verbundenen, sogenannten sechs Kettenhäusern, die im Gegensatz zu den Einfamilienhäusern von der Innzeit gebaut wurden, schließt sich an das Einfamilienhaus-Areal an. Dazu kommen nun in mehreren Bauabschnitten drei- bis vierstöckige Gebäude mit Eigentums- wie Mietwohnungen, denn 26 Prozent der Wohnungen bleiben in Endlers Hand.

Zentrales Gebäude wird ein Wohnkomplex mit einem schindelgedeckten Uhrturm auf dem Dach - eine Reminiszenz an den Vorgängerbau. Davor entsteht ein kleiner Platz mit Spielplatz, der umschlossen wird von weiteren Wohnblöcken. Insgesamt entstehen hier 335 Wohneinheiten, vom Einzimmerapartment bis zur Familieneinheit mit 4,5 Zimmern reicht die Größenpalette. Parkettboden, Holz-Alufenster, Nahwärme und Warmwasserbereitung direkt in der Wohnung - das haben alle. Die Tiefgarage folgt spiegelgleich dem Straßenverlauf - somit sollte das Viertel weitgehend verkehrsberuhigt sein. Vom ersten Bauabschnitt, der im August 2017 abgeschlossen wird, sind 57 der 65 Wohnungen verkauft.

Dazu kommen noch einige Gewerbeflächen. Eine hat sich Endler für sein Modeunternehmen Timezone gesichert. Bis 2020, so die Vorstellung, ist alles abgeschlossen.

Um ihrem Motto "Dahoam" gerecht zu werden, haben Endler und Voß einiges unternommen. Zum Beispiel gibt es eine Lösung für das immer wieder neue und immer wieder schwierige Problem Kinderbetreuung: Das Kinderhaus hat täglich von 6.30 bis 22 Uhr geöffnet, zudem stehen Tagesmütter zur Verfügung. Für Senioren soll es Pflegeangebote geben. Eine Kooperation mit dem Christlichen Sozialwerk der Gemeinde Brannenburg ist etabliert, zudem fand man die Anthojo-Gruppe als Partner für stationäre Seniorenbetreuungsangebote und qualifizierte Demenzpflege. Kurzum, eine Art Dorf, in dem Menschen aller Altersstufen gut aufgehoben sind. "Man kann sein Leben lang hierbleiben", sagt Voß.

Damit das mit der bunt gemischten Bewohnerstruktur klappt, haben Endler und Voß über den Verkauf einen Filter gelegt. Das Alter der Käufer bewegt sich aktuell zwischen 20 und 83 Jahren, der Durchschnitt liegt bei 48, Zielgröße ist 50. Wer die Wohnung als Geldanlage nutzen will, ist bei der Innzeit fehl am Platz. "60 Prozent der Anfragen nehmen wir raus, weil die Leute die Wohnungen nicht selber nutzen wollen", erklärt Endler. Ziel sei, dass das Projekt mit Menschen erfüllt werde.

Und die können sich auch einbringen, so die Vision. Es gibt eine Plattform, auf der sich die Neubürger vernetzen können, Dienste wie Babysitten anbieten oder sich einfach zum Bergsteigen verabreden können. Ein sanfter Anschub zum Austausch also. "Jeder kann, aber niemand muss", so erklärt es Voß. Oder Endler: "Der Hunger der Menschheit nach echtem Kontakt wird immer größer. Und echter Kontakt ist das, was wir zur Verfügung stellen wollen."

Bei allem Bekenntnis zum Sozialen spielt die Wirtschaftlichkeit für beide eine wichtige Rolle. "Wir machen eine Mischung aus Sinnhaftigkeit, Gemeinwohl und Wirtschaftlichkeit", sagt Voß, der drei eigene Unternehmen hat. Wirtschaftlich gut lief bereits der Verkauf der 50 Parzellen für Einfamilienhäuser, trotz des Preises von etwa 420 Euro pro Quadratmeter. Auch die Eigentumswohnungen sind nicht billig: eine 4,5-Zimmerwohnung im Erdgeschoss kostet 434 000 Euro, ein Tiefgaragenplatz schlägt mit knapp 20 000 Euro zu Buche. Dafür erhalten Familien pro Kind einen Rabatt von 15 000 Euro. Ein Punktesystem soll zusätzlich sicherstellen, dass etwa Familien mit Kindern mit Behinderungen weniger zahlen. Der Großteil der bisherigen Käufer kommt aus dem Umkreis von bis zu 80 Kilometern. Insgesamt 130 Millionen Euro beträgt die Investitionssumme. Kein Pappenstiel, aber der Markt hat sich bekanntlich wesentlich besser entwickelt als noch vor vier Jahren vorhergesehen. "Die Gewinnmaximierung steht aber nicht im Vordergrund", betont Endler.

Die Einwohnerzahl steigt innerhalb von vier Jahren um 13 Prozent

Wobei das Bauprojekt für das Dorf Brannenburg mit seinen derzeit 5700 Einwohnern durchaus eine maximale Herausforderung ist. "Vielen Bürgern ist die enge Bebauung ein Dorn im Auge", sagt Bürgermeister Matthias Jokisch. Während im Dorf 20 Prozent der verfügbaren Fläche bebaut sind, sind es im neuen Ortsteil bis zu 30 Prozent. "Das Viertel hat eine städtische Prägung, und viele mögen das nicht." Auch hätten sich so manche Brannenburger günstigere Gewerbeflächen gewünscht. Zufrieden seien aber viele angesichts der Tatsache, dass der Bau schnell voranschreite. Diese Leistung, da ist sich Jokisch sicher, hätte die Gemeinde nie erbringen können, hätte sie das Areal gekauft und entwickelt, so wie es manche Bürger gefordert hatten.

Nun bleibt der Gemeinde die Aufgabe, innerhalb von vier Jahren einen Einwohnerzuwachs von 13 Prozent zu verkraften. Der Investor musste daher für einen Kindergarten sorgen und Rückstellungen für eine Schul- und Friedhofserweiterung bilden. So weit der Infrastruktur-Teil. Aber auch die soziale Integration sieht der Bürgermeister als Aufgabe. Kürzlich organisierte die Gemeinde einen Abend für die seit 1. Januar 2015 zugezogenen Neubürger, gut 500 an der Zahl. Die Vereine stellten sich vor, die Neubürger kamen. "Das war eine schöne, lockere Atmosphäre, das möchte ich wiederholen", sagt Jokisch.

Grundsätzlich lobt der Bürgermeister die Kooperation mit Endler und Voß. "Wir sind nicht immer einer Meinung, aber wir können immer gut und konstruktiv miteinander reden." Eine Einschätzung, die Investor Endler und sein Geschäftsführer Voß ihrerseits uneingeschränkt teilen. Über die Höhe der Gebäude hat man etwa diskutiert und eine Lösung gefunden. Derzeit geht es darum, eventuell ein Hotel zu bauen, bisher eine Diskussion ohne Ergebnis. Bis spätestens 2020 soll die Baustelle abgeschlossen sein, und bis dahin kann sich einiges finden im Vorhaben "Dahoam im Inntal". Für Investor Endler gilt: "Es ist ein schöpferischer Prozess." Und die Konversion einer Kaserne in ein Wohnviertel ist auch kein einfacher Prozess.

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Quelle:
SZ vom 16.12.2016
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