Flughafen Tegel:Harte Landung

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Airport oder Hightech-Zone: Was aus dem Flughafen Tegel wird, ist unklar. Unternehmen befürchten einen wirtschaftlichen Schaden, denn Büroflächen sind in der Hauptstadt knapp. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Auf dem Gelände des Flughafens sollten neue Büros entstehen. Doch nach dem Volksentscheid ist das ungewiss. Dabei könnte so der Bedarf an Gewerbeflächen gedeckt werden.

Von Steffen Uhlmann

Schließen oder nicht? Gegner und Befürworter des Weiterbetriebs des alten Berliner Flughafens liegen sich darüber schon seit Jahren in den Haaren. Nun haben die Bürger am 24. September im Volksentscheid dafür gestimmt, dass der Airport weiter genutzt werden soll. Der Streit um den 1974 eröffneten Stadtairport (TXL) aber wird weitergehen. Ob der Weiterbetrieb überhaupt möglich sein wird, ist nämlich völlig offen. Rechtlich bindend ist die Offenhaltung des Flughafens ohnehin nicht - der Senat muss lediglich die Angelegenheit nochmals prüfen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat dafür schon einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt.

Am Olivaer Platz in Berlin-Charlottenburg war die Sache eigentlich längst entschieden. Dort arbeitet ein 30-köpfiges Planungsteam der landeseigenen Tegel Projekt GmbH an der Entwicklung der demnächst größten Gewerbeansiedlungsfläche Berlins. Erste Planungs- und Abrissaufträge sind vergeben. Denn schließlich sollte spätestens sechs Monate nach der Eröffnung des BER der Flughafen Tegel schließen, dann sollten dort statt Jets die Bagger rollen. Jetzt ist die Zukunft des Areals wieder völlig offen. Hochfliegende Pläne hatte man für Tegel geschmiedet: Eine "Urban Tech Republic" soll dort entstehen - eine Hightech-Zone mit bis zu 800 Firmen, mit Hochschule, diversen Instituten und Forschungseinrichtungen, arrondiert von Wohnparks, Dienstleistungseinrichtungen, Büros und Landschaftsgebieten. Und das alles auf mehr als 300 Hektar Fläche, von denen etwa die Hälfte für die technologieorientierten Industrie- und Gewerbeansiedlungen reserviert sind. Ein potenzieller Befreiungsschlag für Berlin, denn die Investoren finden in der Stadt kaum noch freie Gewerbeflächen. Nicht nur in der Innenstadt explodieren die Kosten für solche Flächen, sogar am Stadtrand wird es immer teurer für sie. Nicht nur die hippe Hauptstadt mit ihren stetig steigenden Touristen- und Zuwanderungsströmen, auch die Berliner Wirtschaft wird nun von ihrem eigenen Erfolg überrollt.

Dabei sah es noch vor einem halben Jahrzehnt ganz anders aus. "Keine andere Hauptstadt Europas kann so viele Gewerbeflächen anbieten wie wir", verkündete die damalige Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) und verwies auf die 420 Hektar gewerbliche Baufläche, die zu jener Zeit kurzfristig in der Hauptstadt zur Verfügung stünden. Für sie "keine Brachen, sondern Assets für die Entwicklung Berlins". Yzer ist weg, ein Großteil der Flächen allerdings auch. Aktuelle Rechnungen des Senats gehen jetzt noch von etwa 260 Hektar Grundstücksreserve für ansiedlungs- und erweiterungswillige Unternehmen aus. Und diese vorhandenen Flächen reichen rechnerisch höchstens noch ein Jahrzehnt, weil der Bedarf an neuen Gewerbeflächen mittlerweile auf bis zu 25 Hektar pro Jahr angestiegen ist. Danach wäre die Hauptstadt so gut wie "ausverkauft". So führt nach Ansicht der Industrie- und Handelskammer (IHK) kein Weg an der Schließung des Flughafens Tegel vorbei. 150 Hektar, heißt es, seien ein gehöriges Pfund. Nicht zuletzt weil Tegel auch die Preise dämpfen würde, wie Jochen Brückner, Leiter der Abteilung für Stadtentwicklung bei der IHK, betont. Schließlich konkurriere das produzierende Gewerbe mehr und mehr mit dem Wohnungsbau um Flächen, aber auch mit Entwicklern von Bürogebäuden.

Berlin wächst um 40 000 bis 50 000 Einwohner im Jahr. Das heizt den Immobilienmarkt an

Gerade auf diesem Segment hat sich nach Jahren der Flaute immenser Druck aufgebaut. Derzeit stehen in Berlin nur noch zwei bis drei Prozent der Büroflächen leer. Von den 300 000 Quadratmetern Bürofläche, die sich gerade im Bau befinden, ist das Gros bereits vorvermietet. Ein Vermietungsrisiko besteht praktisch nicht. Topbüroprojekte kosten inzwischen mehr als das 25-Fache der Jahresmiete, was die Anfangsrendite unter vier Prozent drückt. Das aber reicht und bleibt angesichts von Negativzinsen am Kapitalmarkt für Investoren hochinteressant. Projektentwickler, Makler und Beratungsunternehmen schnalzen mit der Zunge. Berlin wächst am stärksten unter Deutschlands Großstädten, auch mit Blick auf die Höhe der Büromieten und Kaufpreise. Noch vor Jahren undenkbare Spitzenmieten von dreißig Euro pro Quadratmeter kommen in Sicht, weil die Nachfrage in den gefragten Lagen das Angebot um ein Vielfaches übersteigt. So hat allein der Berliner Bürovermietungsmarkt 2016 zum zweiten Mal in Folge alle Rekorde gebrochen. Und wird das nach allen Voraussagen auch 2017 wieder tun.

Auch in den anderen Segmenten das gleiche Bild. Der Bevölkerungszuwachs von 40 000 bis 50 000 Einwohnern pro Jahr heizt nicht nur den Wohnungsmarkt an. Zugleich wird die Dienstleistungsbranche befeuert. Einzelhandels-, Kultur- und Gastronomieeinrichtungen müssen weiter zunehmen. Die steigenden Touristenzahlen wiederum erhöhen die Nachfrage nach Übernachtungsmöglichkeiten. Allein bis 2020 sollen knapp 40 neue Hotels und Herbergen entstehen. So wächst auch durch diese Investoren die Konkurrenz für das produzierende Gewerbe. Der Wettbewerb um die Nutzung der noch vorhandenen Flächen ist längst entbrannt - mit allen Konsequenzen für die Preise. Der Gutachterausschuss für Grundstückswerte (GAA) hat unlängst errechnet, dass sich die Grundstücke für gewerbliche Nutzung in den vergangen drei Jahren drastisch verteuert haben. Demnach fallen die Preise, je nach Lage und zugelassener Bebauung, immer noch deutlich günstiger aus als für den Wohnungsbau, doch sie sind mittlerweile bis zu dreimal so hoch wie noch 2014. Und selbst einfache Gewerbeflächen verteuerten sich in diesem Zeitraum teilweise um mehr als 100 Prozent.

Einfache Flächen aber sichern nicht die wirtschaftliche Zukunft der Stadt. "Zukunftsfähige Gewerbegebiete sind weit mehr als eine Aneinanderreihung von Fabrikhallen", ist der IHK-Infrastrukturexperte Christof Deitmar überzeugt. Ihr Profil müsse sich ändern. Beispiele für die Plätze der Zukunft, auf denen sich Arbeiten, Forschen, Dienstleistungen, Kultur und Wohnen miteinander verbinden lassen, gibt es schon. Der weltweit anerkannte Forschungs- und Technologiepark Adlershof steht dafür.

Auch in Berlin-Schöneweide, wo sich einst Großbetriebe des vorigen Jahrhunderts an einer Straße entlang drängelten, ist diese Entwicklung in Gang gesetzt worden. Die Großen haben den Wechsel in die Marktwirtschaft nach dem Mauerfall nicht überlebt. Auf die damit entstandene Brache ziehen nach vielen Jahren des Stillstands nun mehr und mehr Technologiefirmen, Kleingewerbe-Betriebe, Start-ups und Kunsteinrichtungen. Auf der anderen Straßenseite aber sind frisch renovierte Wohnquartiere entstanden. Auf dem Verschiebebahnhof in Schöneweide auf der anderen Seite der Spree soll auf 45 Hektar Ähnliches entstehen. Auf dem Areal der Plattenbau-Großsiedlungen von Marzahn-Hellersdorf wiederum wächst auf rund 60 Hektar der Cleantech Business Park heran. Weitere Großflächen für das Gewerbe aber hat Berlin derzeit nicht zu bieten. Nur der Markt brummt weiter. Nach 2015 wurde mit 2,6 Milliarden Euro in den ersten sechs Monaten dieses Jahres für den Markt für gewerbliche Immobilien das zweithöchste Halbjahresergebnis der letzten zehn Jahre erreicht. Bleibt als Hoffnungsträger Tegel. Er könnte die wachsende Platzangst in Berlin ein ganzes Stück dämpfen.

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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