Flughafen BER:Neue Achse

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Startbereit: Auch am Flughafen selbst sollen in den kommenden Jahren neue Quartiere entstehen. (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Schon vor seiner Eröffnung verändert der Berliner Flughafen die Stadtentwicklung. Im Südosten entstehen bereits Büros und Wohnungen. Ob es deswegen wirklich einen Boom geben wird, ist aber ungewiss.

Von Steffen Uhlmann

Die Zeit der Witze scheint vorbei zu sein. Der neue Berliner Airport wird (voraussichtlich) am 31. Oktober seinen regulären Betrieb aufnehmen. Auswirkungen hat das nicht nur auf den Flugverkehr, sondern auch auf die Stadt - insbesondere den Südosten Berlins. Der neue Airport verändert das Wohnumfeld und zieht neue Unternehmen an.

Begonnen hat die Geschichte des neuen Airports und seines Umfelds bereits kurz nach dem Mauerfall. Demnach sollte Baubeginn für "Berlin International" 1995 sein. Doch was damals vollmundig verkündet wurde, verkam schnell zur provinziellen Kabale zwischen Regional-, Landes- und Bundespolitikern, potenziellen Investoren und Lobbyisten, die alle zusammen ganze sechs Jahre lang um Standorte, Beschäftigungseffekte und natürlich auch ums Geld stritten. Erst im Mai 1996 herrschte einigermaßen Klarheit. Doch es sollte noch einmal zehn Jahre dauern bis die Beteiligten den ersten Spatenstich im September 2006 feiern konnten.

Gestritten und auch gejammert wird dennoch weiter, heute nicht wegen vergangener Pleiten, Pech und Pannen, sondern wegen aktueller Zustände und künftiger Aussichten des Flughafens. Schließlich beschert das Corona-Virus dem Luftverkehr die bislang größte Krise in seiner Geschichte - mit offenem Ausgang auch für den neuen Flughafen Berlin Brandenburg (BER) und seine Umgebung. Die Betreibergesellschaft (FBB) rechnet in diesem Jahr mit höchstens noch zehn Millionen Fluggästen (Vorjahr 35,6 Millionen). Auch im nächsten Jahr werden es voraussichtlich nur 17 bis 18 Millionen Fluggäste sein.

Vor allem Bauland ist rund um den Flughafen deutlich teurer geworden

Auch der bislang viel gepriesene Jobmotor stottert. Vor der Corona-Krise ergaben diverse Rechnungen, dass der Luftverkehr in der Hauptstadt-Region bislang etwa 40 000 Arbeitsplätze sicherte. Bis 2035, hieß es, würde sich diese Zahl auf bis zu 85 000 erhöhen können. Dieses Rechnung hat derzeit viele Unbekannte, schließlich bauen allein die Flughafengesellschaft und die in Berlin stationierten Airlines drastisch Beschäftigte ab. Und niemand kann sagen, wann oder ob überhaupt der Luftverkehr Vor-Corona-Zeiten erreichen wird. Und auch aus der einst vollmundig angekündigten Flut von Immobilien-Investoren, die sich rundum des Flughafens ansiedeln sollten, ist bislang nicht viel mehr als ein Rinnsal geblieben.

Also warten auf bessere Zeiten, mit der Hoffnung, dass die Hauptstadtregion mit ihrem neuen Flughafen über kurz oder lang dennoch einen wirtschaftlichen Höhenflug erleben wird. Seit Tesla-Chef Elon Musk "gleich um die Ecke des Flughafens" in Grünheide mit Hochdruck seine Gigafactory für Elektroautos hochziehen lässt, ist neue Zuversicht unter den Landes- und Kommunalpolitikern gewachsen. Oliver Igel (SPD), der Bürgermeister des unmittelbar an den Flughafen angrenzenden Berliner Bezirks Treptow-Köpenick, jedenfalls ist überzeugt, dass Tesla und natürlich der BER mit seiner Eröffnung spürbare wirtschaftliche Impulse in die Region bringen wird - mit allen Folgen für Immobilienpreise beziehungsweise Büro- und Gewerbemieten. Igel stützt sich dabei auf Marktanalysen, die einen schnellen Anstieg nach oben bei der Büronachfrage und steigendes Tempo bei Projekt- und Grundstücks- Entwicklungsvorhaben aufzeigen. So sind nach einer von der privaten Vermögensverwaltungs-Gesellschaft PRS Family Trust in Auftrag gegebenen Studie die Baulandpreise allein in der Gemeinde Schönefeld seit 2018 um 60 Prozent gestiegen. Und nach Prognosen von Marcus Buder, Immobilienexperte der Berliner Landesbank, dürfte sich Schönefelds Einwohnerzahl von derzeit 17 000 in den nächsten Jahren nahezu verdoppeln. Igel rechnet mit mindestens 40 000 neuen Einwohnern im Radius von 30 bis 35 Kilometern um den Flughafen. Auch werde sich an den in diesem Einzugsgebiet vorhandenen 34 Gewerbestandorten ein starkes Wachstum entfalten.

Was Igel positiv stimmt: Einige von den Standorten verzeichneten schon vor Fertigstellung des Flughafens ein dynamisches Wachstum. Etwa in Igels Stadtteil Adlershof, wo auf einer gut vier Quadratkilometer großen Fläche eine ganze Wissenschaftsstadt mit jetzt schon fast 1200 Unternehmen und mehr als 23 500 Beschäftigten sowie rund 6500 Studenten entstanden ist - Tendenz steigend. Mareike Lechner, Vorständin der Berliner Immobilien-Experten AG, ist überzeugt, dass sich das an der Achse Flughafen-Innenstadt gelegene Areal schon jetzt als "weltweit attraktive Lage" für Unternehmensansiedlungen erwiesen hat. Ihr Unternehmen ist in Erwartung des neuen Flughafens schon seit 2010 in Adlershof aktiv. Man habe sich damals nicht vorstellen können, dass die Eröffnung von BER so lange auf sich warten lassen würde, sagt Lechner. "Wir sind dennoch dabei geblieben." Und jetzt auch froh darüber. Das Unternehmen ist derzeit in Adlershof an drei Projekte mit zusammen 150 000 Quadratmetern dran. Dazu gehört mit dem Oktogon ein ganzer Campus für Gewerbe und Technologie, der 2025 fertiggestellt sein soll.

Investoren sind noch vorsichtig. Denn niemand weiß, wie sich die Luftfahrt entwickeln wird

Aktuell sind etwa 2400 Firmen im Umfeld des Flughafens angesiedelt. Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup ist überzeugt, dass sich mit der Inbetriebnahme des BER der Flughafenstandort zum wichtigsten Infrastrukturknotenpunkt in Deutschland entwickeln wird - mit vielfältigen Chancen für Projektentwickler. Diverse Business- und Gewerbeparks, die zunächst vor allem für Logistik- und Dienstleistungsunternehmen prädestiniert sind, befinden sich im Aufbau und teilweise schon in Betrieb.

Auch der Wohnungsbau plus Infrastruktur für die Gemeinde Schönefeld ist längst in Gang gekommen. Lütke Daldrup aber hat andere Projekte im Auge. Seine Flughafengesellschaft ist nicht nur der größte Flächenanbieter, sondern will auch eigenständiger Projektentwickler werden. Man werde also nicht nur Flächen verkaufen oder zur Pacht anbieten, sondern über Joint Venture auch Projekte mit entwickeln, sagt er. So wurde eigens für den Ausbau der Infrastruktur zwischen den Start- und Landebahnen ein Masterplan 2040 erarbeitet, der Szenarien für zwei vierzehn beziehungsweise zehn Hektar große Gebiete beinhaltet. Mit den Quartieren "Airgate" und "Midfield Gardens" sollen Areale mit "hochwertiger Aufenthaltsqualität" entstehen, sagt der Flughafenchef. Was er sich darunter vorstellt, bleibt vorerst noch im Vagen. Urbane Quartiere schweben ihm vor, ein Mix aus Büro-, Hotel- und Gastronomieeinrichtungen, verbunden mit Hochhäusern für Firmensitze und Hauptniederlassungen sowie naturnahe Bereiche für Wohnen, Freizeit, Erholung und Weiterbildung. Alles andere als langweilig sollen die beiden Quartiere werden, erklärt Lütke Daldrup und drängt auf Tempo: "Wir haben viele angebissene Brötchen, die jetzt nur darauf warten, fertiggestellt zu werden." Was immer das heißen mag.

Sicher ist, das sehen die Stadtplaner unisono, die gesamte Hauptstadtentwicklung bekommt mit dem Flughafenstandort im Südosten eine neue Ausrichtung - eben nach Südosten mit Ausstrahlung bis weit in das Land Brandenburg hinein. Dabei profitieren Regionen wie die Landkreise Teltow-Fläming oder Dahme-Spreewald (LDS) längst vom Flughafenprojekt. So gehört etwa LDS dank seiner Nähe und seiner direkten Anbindung zum Airport per Schiene, Autobahnen und Wasserstraße mittlerweile zu den gefragtesten Standorten in der Metropolregion Berlin. Mit Königs Wusterhausen, mit inzwischen fast 40 000 Einwohnern die größte Stadt des Landkreises, und den Kommunen Schönefeld und Wildau verfügt der Landkreis zudem über Wachstumskerne, die ihn hinsichtlich wirtschaftlicher Leistungskraft schon jetzt an den bundesrepublikanischen Durchschnitt herangeführt haben. Luft- und Raumfahrt, Logistik, Tourismus und Metallverarbeitung prägen die Wirtschaftsstruktur genauso wie Forschungsinstitute und zwei Hochschulen sowie der Wissenschafts- und Technologiepark in Wildau. Doch mit dem Wirtschaftsaufschwung, der Nähe zu Berlin und dem Flughafen steigen Grundstückspreise, Büro-, Gewerbe- und Wohnungsmieten - in schnellem Tempo auf Berliner Niveau.

Also Aufschwung überall? Die Immobilienbranche zögert noch mit einem eindeutigen Ja dazu, weil die Corona-Pandemie Luftfahrt- und Flughafengeschäft besonders hart getroffen hat und niemand voraussagen kann, was das für Folgen für die Branche haben wird. Zumal in Berlin, wo der neue Flughafen kaum internationale Anbindungen aufweist. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verbreitet dagegen Zuversicht. "Corona wird uns nicht dauerhaft im Griff halten", sagt Müller.

© SZ vom 24.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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