Flüchtlingsbauten:Solide Hilfe

Flüchtlingsbauten: Für Flüchtlinge, aber auch für andere Bevölkerungsgruppen hat die Gemeinde Sögel im Emsland mehrere Gebäude errichtet.

Für Flüchtlinge, aber auch für andere Bevölkerungsgruppen hat die Gemeinde Sögel im Emsland mehrere Gebäude errichtet.

(Foto: OH)

Es müssen nicht immer Container sein: Eine Bürgergenossenschaft hat für Menschen in Not Häuser gebaut. Davon soll die ganze Gemeinde profitieren.

Von Joachim Göres

Leonie Palm berät bei der Caritas in Sögel in Niedersachsen Flüchtlinge. Dabei geht es um Asylverfahren, Familienzusammenführung, den Besuch von Kindergarten und Schule oder auch um Umzüge. "Gerade für große Familien gibt es in unserer Gegend nicht viele Angebote. Manche Vermieter wollen nicht an Flüchtlinge vermieten. Und dann sind da noch die Kosten: Für eine Person darf die Warmmiete nicht über 323 Euro plus Heizkosten im Monat liegen", sagt Palm. Probleme, wie sie viele Gemeinden und Städte bei der Unterbringung von Flüchtlingen kennen. Und doch ist in der mehr als 16 000 Einwohner zählenden Samtgemeinde Sögel im Landkreis Emsland etwas anders: Hier an der Grenze zu den Niederlanden entschied man sich 2015, keine Container für Geflüchtete aufzustellen, sondern gründete eine Genossenschaft, die bis heute 23 Wohnungen geschaffen hat.

Die "Willkommen in Sögel eG - Bürgergenossenschaft für Menschen in Not" ist bis heute bundesweit ein einmaliges Projekt. Jeder Interessierte kann Anteile à 100 Euro erwerben, die den Grundstock des Kapitals bilden. "Wir hatten optimistisch mit einer Million Euro gerechnet, die wir so einnehmen können. Innerhalb von wenigen Monaten haben 250 Bürger 1,4 Millionen Euro gegeben. Dazu trägt vielleicht auch bei, dass es auf der Bank praktisch keine Zinsen gibt", sagt Günter Wigbers (CDU), Bürgermeister der Samtgemeinde. Dabei habe nicht die vage Aussicht auf ein paar Prozent Zinsen auf die Genossenschaftsanteile, für die eine Kündigungsfrist von fünf Jahren besteht, die Menschen zum Kauf der Anteile motiviert - bisher ist noch kein Geld geflossen -, sondern der Wunsch zu helfen. Der drückt sich auch in der Präambel der Genossenschaftssatzung aus: "Wir wollen den Menschen, die vor gewaltsamen Konflikten fliehen, auf der Flucht ihr Leben riskiert haben und es oft nur durch Glück bis an unsere Grenzen geschafft haben, zeigen, dass sie bei uns willkommen sind. ..."

Kirchen, Unternehmen und Parteien hatten die Gründung vorbereitet. Bei der Vorstellung der Pläne kamen 400 Menschen zur Bürgerversammlung. "Die Leute fühlten sich miteinbezogen, das hat dem Zusammenleben mit den Flüchtlingen gutgetan. Es gab nur Zustimmung sowie Unterstützung quer durch alle Parteien", sagt Wigbers.

Zur Samtgemeinde Sögel gehören acht Ortschaften mit dem 7800 Einwohner zählenden Sögel als Zentrum. "Uns war klar, dass die Gebäude an zentraler Stelle in Sögel und nicht in den kleineren Nachbargemeinden entstehen müssen. Die Flüchtlinge sind ohne Auto, sie müssen Schulen und Kindergärten, Ärzte, Läden gut zu Fuß erreichen können", sagt Irmgard Welling, CDU-Bürgermeisterin von Sögel und eine von zwei ehrenamtlichen Vorständen der Genossenschaft.

Die Kaltmiete beträgt zwischen fünf und sechs Euro je Quadratmeter

Die Gemeinde Sögel stellte die Bauplätze zur Verfügung. "Das war eine wichtige Voraussetzung, damit dieses Projekt gelingen konnte. Zudem war der frühe Zeitpunkt günstig, zu dem wir aktiv geworden sind, als die Hilfsbereitschaft besonders groß war", sagt Welling. Er nennt weitere Umstände, die den Erfolg erleichterten: In Sögel und Umgebung sind die Einwohner an Zugezogene gewöhnt - seien es die US-Soldaten, die hier lange stationiert waren, seien es Tausende Aussiedler in den 90er-Jahren, seien es Menschen vor allem aus Polen und Rumänien, die heute hier in großer Zahl leben und in der Fleischindustrie arbeiten. Wichtig sei zudem, dass die Neubauten für alle Menschen offenstehen, die angesichts steigender Mietpreise auch auf dem Land Probleme haben, eine erschwingliche Wohnung zu finden.

Die meisten der 83 Bewohner in den vier Genossenschaftsgebäuden - für 2,8 Millionen Euro wurde ein Haus gekauft, drei wurden gebaut - stammen aus Syrien, gefolgt von Afghanen und Irakern, auch acht Deutsche leben hier. Die Kaltmiete liege zwischen fünf und sechs Euro pro Quadratmeter, am unteren Ende der in der Samtgemeinde üblichen Mieten. "So gibt es erstmals in Sögel sozialen Wohnungsbau", betont Welling. Zusätzlich entstand ein besonderes Angebot für pflegebedürftige Menschen: In dem zuletzt fertiggestellten Neubau bietet das Deutsche Rote Kreuz im Erdgeschoss 16 Tagespflegeplätze an.

Der Architekt Patrick Grossmann hat dieses dreigeschossige Gebäude im für die Region typischen Klinkerstil entworfen; es wurde innerhalb von zehn Monaten für 1,1 Millionen Euro errichtet. In den 70 bis 90 Quadratmeter großen Wohnungen, die ohne Mobiliar vermietet werden, leben Familien beziehungsweise bis zu sechs Einzelpersonen. "In den Wohngemeinschaften ist für jeweils zwei Personen ein Schlafzimmer vorgesehen, und es gibt zwei Toiletten. Der größte Raum ist eine Wohnküche", sagt Grossmann. Durch flexible Wände kann der Grundschnitt der Wohnung schnell verändert werden. Auch der spätere Einbau von Fahrstühlen ist relativ einfach möglich, falls hier mal Seniorenwohnungen entstehen sollten.

Preiswert und nachhaltig - das sei das Ziel gewesen. "Bei den Energiestandards haben wir entsprechend den Vorschriften so gebaut wie bei jedem anderen Gebäude auch. Bei den Materialien kann man teilweise sparen und dennoch Qualität bieten", sagt Grossmann und ergänzt: "Die Flüchtlinge sind dankbar, dass sie hier wohnen können und von der Bevölkerung viel Hausrat geschenkt bekommen haben."

Anfänglich lebten in Sögel 260 Flüchtlinge, heute sind es noch 160. Wigbers: "Menschen aus dem Mittleren Osten kennen aus ihrer Heimat nur arme Dörfer, deshalb wollen viele von ihnen in größere Städte. Unser Anliegen ist es, sie hier in unserer ländlich geprägten Region zu halten, denn wir haben fast Vollbeschäftigung und es fehlen bei uns viele Fachkräfte. Dazu beitragen kann eine Wohnung, in der sie sich wohlfühlen." Bisher geht die Rechnung auf: Aus den Häusern der Bürgergenossenschaft für Menschen in Not ist noch niemand ausgezogen.

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