Süddeutsche Zeitung

Fleisch mit Tierschutz-Siegel:Sterne ohne Strahlkraft

Ein Zeichen für mehr Tierschutz sollte es sein, damit Verbraucher künftig mit gutem Gewissen Geflügel- und Schweinefleisch kaufen können. Agrarministerin Aigner feierte das neue Kennzeichen als Erfolg. Doch das Fleisch ist kaum zu finden.

Von Daniela Kuhr

Diesen Termin wollte Ilse Aigner sich nicht entgehen lassen. Als der Deutsche Tierschutzbund Mitte Januar auf der Grünen Woche in Berlin ein neues Tierschutz-Siegel für Geflügel- und Schweinefleisch-Produkte vorstellte, war die Bundeslandwirtschaftsministerin natürlich dabei. Schließlich hatte ihr Ministerium die Entwicklung des Siegels mit einer Million Euro unterstützt. Vor allem aber war das die Gelegenheit für Aigner, endlich zu zeigen, dass sie sich auch um das Thema Tierschutz kümmert.

Schon vom Tag nach der Vorstellung an sollten Produkte mit dem neuen Siegel, das aus einem oder zwei Sternen besteht, bei Edeka, Karstadt, Lidl, Kaufland oder auch Kaiser's Tengelmann erhältlich sein. So verkündete es die CSU-Ministerin damals gemeinsam mit dem Tierschutzbund stolz. Ein Stern zeigt an, dass der Bauer seine Tiere etwas besser hält als gesetzlich vorgeschrieben.

Zwei Sterne signalisieren, dass er sie deutlich besser behandelt. Eine gute Sache, fanden sogar Verbraucherschützer, die normalerweise sparsam mit Lob für Aigner sind. Endlich gebe es für die Käufer, die Wert auf Tierschutz legen, nicht mehr nur teure Bio-Siegel oder andere Spezialetiketten, sondern auch etwas, das eine Stufe darunter steht - Tierschutz light sozusagen.

Für Schweinefleisch seien gerade einmal 15 Höfe zertifiziert

Seither sind vier Monate vergangen. Zeit genug, um eine kleine Stichprobe zu wagen: ein Edeka-Markt in Hamburg, jede Menge abgepacktes Schweinefleisch und Geflügel - vom Siegel keine Spur. Gleiches gilt für den großen Edeka-Markt in Stuttgart. Die Verkäuferin dort hat von dem Siegel noch nie gehört. Und schließlich der kleine Kaiser's-Markt in Berlin. Auch dort blickt die Kundin in das ratlose Gesicht eines Verkäufers, als sie nach dem Siegel fragt. Je mehr man sich umhört, desto mehr verstärkt sich der Eindruck: So gut wie niemand hat das neue Siegel je gesehen. Wie hatte es Aigner im Januar formuliert? Sie setze auf die Macht der Verbraucher. Endlich könnten sie selbst entscheiden, ob sie bereit seien, für bessere Tierhaltung mehr zu zahlen. Klingt gut. Die Frage ist nur: Wo? Wo können sie diese Entscheidung treffen?

Nein, eine genaue Liste der Läden, die das Siegel führten, habe er nicht, sagt Aigners Sprecher. Es handele sich aber ja noch um ein sehr neues Angebot. Niemand habe erwartet, dass es sich über Nacht bundesweit einführen ließe. Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbunds, räumt ein, dass man noch weit davon entfernt sei, jeden Laden der beteiligten Ketten beliefern zu können. Was Schweinefleisch anbelangt, seien gerade mal 15 Höfe mit 20 Ställen zertifiziert. Hinzu kämen 49 Höfe für Masthühner. Allerdings hätten weitere Höfe Anträge gestellt, sich zertifizieren zu lassen. Das heißt: Sie wollen die höheren Standards erfüllen, die der Tierschutzbund fordert, also etwa Ferkel nur noch unter Betäubung kastrieren oder bei Masthühnern die tägliche Gewichtszunahme begrenzen.

Den Verdacht, das Siegel sei ein Flop, weist Schröder daher zurück. Allein im ersten Jahr des Siegels würden neun Millionen Masthühner und 40.000 Schweine von besseren Haltungsbedingungen profitieren, stellt er fest. "Für uns sind das 9.040.000 Gründe, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben."

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Quelle:
SZ vom 21.05.2013/kjan
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