Zweierlei Maß bei Optionsgeschäften:Existenzvernichtende Besteuerung

Zweifel am Rechtsstaat sind erlaubt: Die Finanzämter besteuern Gewinne aus Optionsgeschäften, erkennen Verluste aber nicht an. Die fragwürdige Praxis beschäftigt nun hohe Gerichte.

Harald Freiberger, Frankfurt

Für den Aktienhändler Markus Scharhag, 39, aus München geht es um das eigene Haus, für den Finanzbeamten Jürgen Buchleither aus Überlingen am Bodensee um 14.000 Euro und für einen Rentner aus Augsburg um 350.000 Euro. Sie alle fiebern einem Gerichtsverfahren entgegen, das sich in den nächsten Monaten entscheidet. Und sie alle fürchten das Schlimmste. "Ich zweifle an unserem Rechtsstaat", sagt Scharhag.

Zweierlei Maß bei Optionsgeschäften: Handel mit Optionen an der Wall Street: Für Anleger fallen häufig gleichzeitig hohe Gewinne und hohe Verluste an. Das Finanzamt interessiert sich aber nur für die Gewinne.

Handel mit Optionen an der Wall Street: Für Anleger fallen häufig gleichzeitig hohe Gewinne und hohe Verluste an. Das Finanzamt interessiert sich aber nur für die Gewinne.

(Foto: AP)

Die drei Männer haben eines gemeinsam: Sie kauften nach dem Jahr 1999 privat Optionen. Im Prinzip geht es darum, dass ihre Finanzämter die Gewinne, die sie daraus erzielten, zwar besteuerten, ihnen die Verluste aber nicht anerkannten.

Die drei Männer sind nicht die einzigen, denen es so geht. Der Rentner aus Augsburg schätzt, dass ihre Zahl "fünfstellig, wenn nicht sechsstellig" ist. Betroffen sei fast jeder Privatanleger, der in Deutschland seit 1999 Gewinne aus Optionen deklariert habe. Um den Vorgang zu verstehen, muss man wissen, wie eine Option funktioniert.

Beschleunigte Gewinnchancen, aber auch drohender Totalverlust

Ein Beispiel: Der Kurs einer Aktie steht bei 90 Euro. Ein Anleger erwartet nun, dass die Aktie kräftig steigt. Er könnte die Aktie kaufen, er kann aber auch eine Option darauf kaufen. Diese beschleunigt die Gewinnchancen, kann aber auch schnell zu einem Totalverlust führen. Ursprünglich wurden Optionen geschaffen, damit Investoren Risiken, die sie mit Wertpapieren eingegangen sind, absichern können.

Die Option im Beispiel kostet fünf Euro. Sie hat eine Laufzeit von drei Monaten und ist so angelegt, dass sie bei 100 Euro "ins Geld läuft", wie die Experten sagen. Das heißt, solange die zugrunde liegende Aktie nicht über 100 Euro steigt, bleibt die Option wertlos.

Klettert der Kurs aber darüber, bringt die Option schnell viel Geld. Bei 105 Euro hat der Anleger schon seinen Einsatz wieder, bei 110 Euro hat er ihn verdoppelt. Nach drei Monaten verfällt die Option automatisch. Hat der Kurs dann nicht 100 Euro erreicht, ist der komplette Einsatz weg.

Fünf Fälle vor den Finanzgerichten

Bis zum Jahr 1998 waren Geschäfte aus Optionen in Deutschland steuerfrei. Danach wollte der Staat von dem boomenden Markt seinen Teil abhaben und besteuerte die Geschäfte. Im Gesetzestext heißt es, besteuert würden Wertpapiere, bei denen "zwischen Anschaffung und Veräußerung" nicht mehr als ein Jahr liegt. Entscheidend dabei ist das Wort "Veräußerung".

Denn in den folgenden Jahren stellten sich einige Finanzämter auf den Standpunkt, dass es keine Veräußerung ist, wenn eine Option ausläuft. Sie argumentierten, die Option werde schließlich nicht verkauft und sei deshalb nicht als Verlust zu behandeln. Also könnten verfallene Optionen auch nicht mit Gewinnen gegengerechnet werden.

Fünf Fälle landeten in den vergangenen Jahren vor Finanzgerichten. Die Richter gaben immer den Anlegern recht und entschieden gegen die Finanzämter. Doch eines der Finanzämter ging in die nächste Instanz und rief den Bundesfinanzhof an. Der entschied 2006: Verfallene Optionen können nicht mit Gewinnen gegengerechnet werden.

Entsetzte Anleger

Die betroffenen Anleger waren entsetzt. Denn Optionen haben es an sich, dass sich schon mit vergleichsweise niedrigen Beträgen hohe Summen bewegen lassen. "Wenn man gut ist, macht man vielleicht in einem Jahr 110.000 Euro Gewinn und 100.000 Verlust", sagt der Banker Scharhag. Unterm Strich bleibe also ein Gewinn von 10.000 Euro, der zu versteuern wäre.

Da das Finanzamt aber die Verluste nicht anerkennt, besteuert es 110.000 Euro. Auf diese Weise summierte sich die Steuerschuld bei Scharhag über die Jahre auf 350.000 Euro. "Wenn das auch in der letzten Instanz so entschieden wird, verliere ich meine Existenz", sagt der Banker. Sein Eigenheim, das er mit seiner Frau und zwei Kindern bewohnt, müsste er dann auf jeden Fall verkaufen.

Eine Hoffnung hat Scharhag noch: Es ist der Augsburger Rentner, der in derselben Sache klagt - und das, obwohl der Bundesfinanzhof eigentlich schon in letzter Instanz entschieden hat. "Ich konnte das Finanzgericht davon überzeugen, dass das Vorgehen des Finanzamts unplausibel ist", sagt der Rentner, bei dem 350.000 Euro auf dem Spiel stehen. Das Finanzgericht legte den Fall erneut dem Bundesfinanzhof vor, und der erließ im Juni einen Gerichtsbescheid: Er bleibt dabei, verfallene Optionen sind keine Veräußerung, also werden sie steuerlich nicht als Verluste anerkannt.

"Es ist der letzte Strohhalm, an den ich mich klammere"

Gegen den Bescheid hat der klagende Rentner Einwand erhoben. Der Bundesfinanzhof muss nun eine mündliche Verhandlung zulassen. Diese, so hat man dem Rentner versichert, könnte Ende des Jahres stattfinden. "Es ist der letzte Strohhalm, an den ich mich klammere", sagt er.

Mit ihm hoffen Tausende andere Anleger, zum Beispiel der Überlinger Finanzbeamte Jürgen Buchleither, bei dem es um 14.000 Euro geht. "Für mich ist das viel Geld", sagt er. Er versteht die Argumentation des Bundesfinanzhofs nicht. "Schließlich lassen sich Optionen, wenn sie nicht ins Geld kommen, kurz vor dem Verfall gar nicht mehr verkaufen, weil sie wertlos sind und man keinen Käufer findet", sagt er. Der Anleger handle also nicht mutwillig, es sei im Wesen der Option begründet, dass sie verfallen kann.

Als 2006 das Urteil des Bundesfinanzhofs bekannt wurde, führten die Emittenten von Optionen, zum Beispiel Banken, eine neue Praxis ein: Sie kauften den Anlegern kurz vor dem Verfall der Option diese zu einem Kleinstbetrag ab. Damit erzeugten sie einen Verkaufsvorgang. Die Finanzämter erkannten dies den Anlegern zunächst als "Veräußerung" an. Doch mittlerweile hat die Oberfinanzdirektion Münster die Praxis als "Gestaltungsmissbrauch" deklariert; damit ist es wieder unmöglich, verfallene Optionen mit Gewinnen zu verrechnen.

An den Haaren herbeigezogen

"Die derzeitige Interpretation des Gesetzes durch den Bundesfinanzhof und die Finanzverwaltung führt dazu, dass der Staat sich durch die volle Besteuerung der Gewinne einseitig am Vermögen des Steuerpflichtigen bedient, andererseits aber das Verlustrisiko voll auf den Steuerpflichtigen abwälzt", kritisiert ein Münchner Steueranwalt.

Selbst im Bundesfinanzhof gibt es Stimmen, die sich dieser Ansicht anschließen. Es existieren mehrere Gesetzeskommentare, die die Unterscheidung zwischen Verfall und Verkauf für an den Haaren herbeigezogen halten. Der klagende Rentner und mit ihm Tausende Anleger hoffen, dass sich die obersten Finanzrichter in der mündlichen Verhandlung noch umstimmen lassen. "Wenn nicht, bliebe mir nur noch der Gang vor das Bundesverfassungsgericht", sagt er.

Die Chancen stünden dabei nicht schlecht, hat der Rentner herausgefunden. Ein bekannter Verfassungsrechtler, den er zu Rate zog, kam zu dem Ergebnis, dass die Praxis dem grundgesetzlich festgelegten Nettoprinzip widerspricht.

Es besagt: Wenn der Staat eine Einkunftsquelle besteuert, greift er in das Eigentumsrecht des Steuerpflichtigen ein. Dann muss er es auch zulassen, dass die Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Einkunftsquelle entstehen, steuerlich geltend gemacht werden.

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