Finanzpsychologe Braun:"Die Märkte sind völlig irrational"

Finanzpsychologe Dirk Braun über die Hysterie der Händler, düstere Prophezeiungen und die Wirkung staatlicher Eingriffe in das Finanzsystem.

Tobias Dorfer

Dirk Braun, Jahrgang 1977, ist Dozent an der RWTH Aachen. Der Diplom-Kaufmann und Bankenexperte ist ein Vertreter der Behavioral-Finance-Bewegung. Diese noch junge wissenschaftliche Disziplin beschäftigt sich mit irrationalem Verhalten auf Finanz- und Kapitalmärkten.

Finanzpsychologe Braun: Händler an der New Yorker Wall Street.

Händler an der New Yorker Wall Street.

(Foto: Foto: AFP)

sueddeutsche.de: Herr Braun, in diesen Tagen erleben wir eine groteske Situation: Weltweit haben die Staaten Hilfspakete für die Finanzbranche geschnürt. Trotzdem fallen die Aktienkurse weiter. Warum reagieren die Märkte nicht?

Dirk Braun: Weil das Vertrauen fehlt. Die Pakete, die bislang lanciert wurden, haben nicht den Eindruck vermittelt, dass sie aktiv und vorausschauend sind. Daher haben die Teilnehmer diese Maßnahmen eher als eine weitere Verunsicherung wahrgenommen. Man muss sich nur einmal an die Rettung der Hypo Real Estate erinnern. In einer Nacht- und Nebelaktion wurde am Sonntagabend ein neues Rettungspaket geschnürt, weil um zwei Uhr nachts in Tokio die Börse öffnete.

sueddeutsche.de: Noch vor zwei Wochen hat bereits die Ankündigung des amerikanischen 700-Milliarden-Dollar-Plans ausgereicht, um Aktienkurse nach oben zu treiben.

Braun: Aber die Hoffnung ist enttäuscht worden. Die Amerikaner haben ja immer gesagt, die Maßnahme genügt nicht und Europa muss nachziehen. Das hat Europa zunächst abgelehnt. So ist klargeworden, dass der US-Hilfsplan lediglich eine Einzelmaßnahme war, die letztlich nicht hilft. Deshalb ist die Wirkung auch so schnell wieder verpufft.

sueddeutsche.de: Am Mittwoch haben sich die Zentralbanken besonnen und in einer konzertierten Aktion den Leitzins gesenkt. Haben die Notenbanken aus ihren Fehlern gelernt?

Braun: Sie haben zumindest erkannt, dass die Krise nur gemeinschaftlich bekämpft werden kann. Natürlich verschaffen die Notenbanken den Märkten so nur kurzfristig Luft. Aber mehr noch war die Maßnahme ein symbolischer Schritt. Ein Signal, das die Märkte beruhigen könnte.

sueddeutsche.de: Die Kurse vom Mittwoch zeigten aber keine Beruhigung. Der Dax schloss im Minus und ebenso der Dow Jones.

Braun: Zuerst ist der Dax deutlich gestiegen. Dann jedoch erschien eine Prognose des Internationalen Währungsfonds, wonach sich die Krise auf die Realwirtschaft durchschlagen wird. Sofort sind die Kurse wieder gefallen. Die Unsicherheit ist derzeit so groß, dass positive Meldungen schnell wieder verpuffen.

sueddeutsche.de: Trotzdem bleibt festzuhalten, dass eine großangelegte Aktion der Notenbanken die Börsen nicht stabilisiert hat.

Braun: Kurzfristig vielleicht. Langfristig wird die Zinssenkung ihre Wirkung entfalten, auch auf die Aktienkurse. Die Händler werden derzeit mit so vielen Entscheidungen konfrontiert, die können gar nicht alles vollständig realisieren. Es benötigt eine gewisse Zeit, um die Tragweite von Entscheidungen vollständig zu begreifen. Und heute steht der Dax im Plus.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum sich die Unsicherheit von Kleinanlegern und Profihändlern nicht unterscheidet - und wie wir selbst die Finanzkrise eskalieren ließen.

"Die Märkte sind völlig irrational"

sueddeutsche.de: Auch in den letzten Wochen sind die Kurse sehr stark geschwankt. Selbst Institute wie die Commerzbank, die vordergründig nicht so stark von den Turbulenzen betroffen sind, haben teilweise an einem Tag 20 Prozent ihres Börsenwertes verloren. Lassen sich solche Vorgänge noch anhand von Fakten erklären?

Finanzpsychologe Braun: Finanzpsychologe Dirk Braun: Die Hoffnung der Anleger wurde enttäuscht.

Finanzpsychologe Dirk Braun: Die Hoffnung der Anleger wurde enttäuscht.

(Foto: Foto: oh)

Braun: Die Bewegungen bei den Finanzwerten sind teilweise völlig irrational. So kursieren in Internetforen auch Gerüchte darüber, welche deutsche Bank als nächste in Schieflage gerät. Und es ist nicht abwegig, dass die Leute derartige Gerüchte in dieser Situation glauben.

sueddeutsche.de: Aber Aktienhändler sind doch Profis. Die lassen sich doch nicht von Einträgen in Internetforen beunruhigen.

Braun: Das stimmt natürlich. Trotzdem befinden wir uns derzeit in einer absolut irrationalen Marktphase. Außerdem sind auch die Profis letztlich nur normale Marktteilnehmer, die auf ihre eigenen Emotionen reagieren.

sueddeutsche.de: Die Verunsicherung eines Kleinanlegers und eines Profi-Brokers unterscheiden sich nicht?

Braun: Nein, denn wir haben eine solche Krise seit Jahren nicht gesehen. Die letzte vergleichbare Finanzmarktkrise war Ende der achtziger Jahre. Man darf nicht vergessen: Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, da fehlt ein festes Entscheidungsmuster. Einen Plan B gibt es nicht.

sueddeutsche.de: Ist die Finanzkrise eine Krise im Kopf?

Braun: Nicht nur, aber weitestgehend. Die Ursprünge der Turbulenzen beruhen auf festen Fakten. Doch dann hat sich die Krise in unseren Köpfen durch den steigenden Vertrauensverlust verselbständigt. Die Unsicherheit ist der größte Treiber des Ganzen.

sueddeutsche.de: Das heißt aber auch, dass wir uns diese Krise selbst geschaffen haben.

Braun: Man spricht von einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Wenn alle von einer Krise reden und davon, dass es nur schlechter werden kann, dann handelt jeder entsprechend - so wird aus der befürchteten Krise eine reale Krise.

sueddeutsche.de: Wie reagieren die Kleinanleger? Die langen Schlangen vor den Bankfilialen sind bislang ja ausgeblieben.

Braun: Die Deutschen sind ein Volk, das nicht so stark am Kapitalmarkt aktiv ist. Und diejenigen, die doch Aktien und Zertifikate besitzen, haben gelernt, mit der Hilflosigkeit umzugehen. Viele verstehen diese Vorgänge nicht oder merken, dass sie selbst keinen Einfluss darauf haben. Sie sitzen das Problem einfach aus.

sueddeutsche.de: Viele Anleger haben das Platzen der Internetblase erlebt. Wirkt die Dotcom-Krise heute als beruhigendes Element?

Braun: In einer traurigen Zeit beruhigt es ungemein, dass es nach jeder Krise wieder einen Aufschwung gegeben hat. Nachdem die New-Economy-Märkte zusammenbrachen, erlebten die Märkte ja auch einen lang anhaltenden Aufschwung.

Lesen Sie im dritten Teil, welche Folgen der Kollaps einer weiteren Bank für das Finanzsystem hätte, wie die Märkte wieder das nötige Vertrauen bekommen - und ob die Welt nach der Finanzkrise besser sein wird.

"Die Märkte sind völlig irrational"

sueddeutsche.de: Die Hypo Real Estate konnte in der Nacht zum Montag nur um Haaresbreite gerettet werden. Welche Folgen hätte der Kollaps einer weiteren deutschen Bank, etwa der Commerzbank?

Braun: Zunächst haben die EU-Finanzminister ausgesagt, dass sie die Pleite einer systemrelevanten Bank verhindern werden. Dazu zählen auch Commerzbank und Deutsche Bank. Diese Aussage hat viel Unsicherheit aus dem Markt genommen.

sueddeutsche.de: Aber ist nicht schon die Tatsache beängstigend, dass eine Bank staatliche Hilfe in Anspruch nehmen muss?

Braun: Der Vertrauensverlust am Markt ist schon so groß, schlimmer kann es kaum noch werden. Im Moment glaubt niemand mehr einer Bank. Sollte ein Institut tatsächlich pleitegehen, hätte das schwerwiegende Folgen für das gesamte System. Daher ist es unwahrscheinlich, dass es dazu kommen wird.

sueddeutsche.de: Letztlich bezahlen die Bürger die Zeche. Ist das nicht ein Freibrief für die Banker, wenn die Regierungen sie im Zweifel aus der Klemme holen?

Braun: Im Moment sind die Maßnahmen leider nötig. Wir können das Finanzsystem nicht sich selbst überlassen. Eigentlich hätte die Politik schon längst eingreifen müssen. Wenn sie es jetzt nicht tut, dann wäre das absolut fahrlässig.

sueddeutsche.de: Aber in der Bevölkerung wächst der Unmut.

Braun: Das kann ich verstehen. Die Aktionäre haben die Gewinne eingefahren und für die Verluste haftet jetzt der Staat. England versucht das zu umgehen, indem der Staat parallel auch Eigentümer der kriselnden Banken wird. So kann der Steuerzahler von künftigen Erträgen wieder profitieren.

sueddeutsche.de: Was kann die Politik jetzt noch machen, um das Vertrauen in das Finanzsystem zu stärken?

Braun: Die Staaten müssen jetzt Geschlossenheit zeigen. Die kurzfristigen Maßnahmen sind weitgehend ausgeschöpft: Kapitalbeteiligungen, Verstaatlichungen, Bürgschaften, Zinssenkungen, Zuführung von liquiden Mitteln - alles passiert. Es kann höchstens noch mehr Geld ins System gepumpt werden.

sueddeutsche.de: Das heißt, jetzt sind die Banken dran?

Braun: Die Banken müssen jetzt wieder anfangen, in diesem System zusammenzuarbeiten. Dazu ist es wichtig, dass sie einander als Geschäftspartner akzeptieren und transparenter werden. Jetzt müssen die Karten auf den Tisch. Denn wir wissen noch immer nicht, welche Gefahren noch in den Bilanzen der Geldhäuser schlummern.

sueddeutsche.de: Kein Tief dauert ewig. Aber wie wird sich die Finanzwelt durch die aktuelle Krise verändern?

Braun: Das hängt davon ab, ob die Turbulenzen auf die Realwirtschaft übergreifen. Wenn die Krise ein Finanzphänomen bleibt, dann wird das Vergessen schneller einsetzen.

sueddeutsche.de: Werden die Anleger künftig vorsichtiger sein?

Braun: Das ist möglich. Aber der nächste Aufschwung kommt bestimmt. Und dann werden die Anleger ihrer Euphorie folgen. Der Mensch ist ein Herdentier - das Krisen gerne wieder vergisst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: