Finanzplatz London:"Wir haben das Fegefeuer überstanden"

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Während die britische Regierung mit den Folgen der Finanzkrise kämpft, spielen die Banker in London wieder mit dem Feuer. Jetzt gilt: "The Big Bonus ist back."

A. Oldag

Krise - welche Krise? Ed Pilling setzt ein feines Lächeln auf. "Die Luschen sind weg. Jetzt kommen die Asse zum Zuge", sagt der junge Londoner Aktienhändler. Er kippt seinen Whisky hinunter und schwenkt den Arm zur Seite. "Ich habe kein Problem mit der Krise. Hier geht die Post wieder ab", behauptet Pilling. Das Hemd hängt ihm lässig aus der Hose, die Krawatte hat er abgelegt. Im "Whisky Mist", der Schickeria-Bar in der Hertford Street in London-Mayfair, herrscht gute Stimmung. Manchmal vergnügen sich hier auch Prinz William und seine Entourage oder Chelsea-Fußballstar Michael Ballack. Doch Londons Reiche bleiben gern unter sich. Wer nicht dazugehört und in die Bar will, scheitert am Türsteher.

Banker im Londoner Finanzzentrum Canary Wharf: "The Big Bonus is back." (Foto: Foto: AFP)

Pilling und seine Kumpel gehören dazu, und der "Whisky Mist", sagen sie, ist ihre "Stammkneipe". An diesem Abend sind sie mit ihren Porsches und Ferraris direkt aus ihren Büros herübergefahren, es gibt etwas zu feiern. Die Fieberkurve der Aktiennotierungen an der Londoner Börse zeigt wieder nach oben, das hebt die Laune. Eine Flasche Scotch Whisky für 350 Pfund scheint da angemessen, und Whisky muss es sein. Denn Champagner, das sei "Brause für Weicheier", sagt Pilling. Für ihn funktioniert die Finanzwelt nach einem einfachen Muster: Die Starken setzen sich durch. Die anderen, die in den vergangenen Monaten im Sturm der Finanzkrise ihren Job verloren, haben Pech gehabt. In diesem Jahr werde er wieder eine "hübsche Prämie" erhalten, ist sich Pilling sicher.

Londons Banker und Broker scheinen die Krise wie einen schlechten Traum abzuschütteln. Dabei begann hier an der Themse und jenseits des Atlantiks in New York das Feuer, das sich zum weltweiten Flächenbrand entwickelte. Hier verpackten die vermeintlichen Meister des Universums ihre Derivate, Credit Default Swaps und Subprime Hypotheken so trickreich, dass am Ende niemand mehr sehen konnte oder wollte, dass es sich um große Schummelpakete handelte. Bis es dann für Warnungen zu spät war.

Es wird wieder geklotzt

Vor zwei Jahren, im September 2007, brach in der vergleichsweise kleinen britischen Bank Northern Rock Panik aus. Kunden, die Angst um ihr Erspartes hatten, stürmten die Filialen. Wenig später gerieten auch die Großbanken Royal Bank of Scotland, HBOS und Lloyds ins Taumeln. Der Staat musste der Finanzindustrie mit Milliardenhilfen unter die Arme greifen. Die Kapitalhilfen und Bürgschaften addieren sich inzwischen auf etwa die Hälfte der britischen Wirtschaftsleistung.

Es ist kurios: Während die Labour-Regierung und die Notenbank immer noch mit den Löscharbeiten zu kämpfen haben, sind die Brandstifter in der berühmten "Square Mile", dem alten Bankenviertel zwischen Bishopsgate, Victoria Embankment und Fleet Street, und im modernen Finanzzentrum Canary Wharf schon wieder am Zündeln. Vorbei scheint die kurze Phase der Bescheidenheit. Es wird wieder geklotzt. Die Banken in der Finanzmetropole melden steigende Gewinne. "Wir haben das Fegefeuer überstanden", sagt der Manager eines großen Kreditinstituts. So seien zwar von insgesamt 350.000 Jobs in der Londoner Finanzbranche 50.000 verloren gegangen, räumt er ein. Doch jetzt könne die "Beute" unter wenigeren aufgeteilt werden, lautet seine durchaus zynisch gemeinte Schlussfolgerung.

Die Beute, das sind vor allem die millionenschweren Bonus- und Prämienzahlungen. Nach Berechnung der Londoner Wirtschaftsberatung Centre for Economics and Business Research (CEBR) belief sich die Ausschüttungssumme für das Boomjahr 2007 noch auf 8,5 Milliarden Pfund. Allein 4000 Banker in der Londoner City erhielten eine Prämie von jeweils mindestens einer Million Pfund.

Dann kam der Kater: 2008 sank die Gesamtausschüttung auf 3,6 Milliarden. In dieser Saison erwarten die Experten aber wieder eine Steigerung. Mindestens vier Milliarden Pfund könnten es werden, schätzen die Auguren. Zu jenen, die das freut, gehört der Londoner Ferrari-Händler Nick Lancaster. Bei ihm sind in den vergangenen Wochen 160 Vorbestellungen für die neuen Modelle "Italia" und "California" eingegangen. "Das Geschäft brummt", sagt Lancaster.

Kritiker sind nicht willkommen

Kritiker sind da nicht willkommen. "Die Prämien treiben ein System der Gier an", warnt der ehemalige City-Banker Geraint Anderson. Er gilt als Nestbeschmutzer seiner Branche, weil er ein Buch mit dem Titel "Cityboy: Geld, Sex und Drogen im Herzen des Londoner Finanzviertels" geschrieben hat, in dem er die Zockermentalität in allen Facetten anprangert. Das Buch wurde ein Bestseller. Anderson, Cambridge-Absolvent und heute 38 Jahre alt, hat mehrere Jahre als Wertpapierhändler für ABN Amro und Dresdner Kleinwort gearbeitet. Doch irgendwann hätten ihn die Party- und Drogenexzesse nur noch angewidert, erzählt der schmächtige Ex-Banker. Heute finanziert er mit seiner üppigen Abfindung eine Schule in Kenya und reist um die Welt.

In der Bevölkerung aber treffen die Nachrichten von wieder steigenden Bonuszahlungen auf Empörung. "The Big Bonus is back", der große Bonus ist zurück, titelte vor kurzem die Sunday Times. Das Blatt monierte, dass ausgerechnet der neue Chef der in der Not verstaatlichten Royal Bank of Scotland, Stephen Hester, ein Gehalts- und Prämienpaket im Umfang von 9,6 Millionen Pfund für die nächsten drei Jahre ausgehandelt hat.

Das Boulevardblatt Sun nannte den Bankmanager, der immer gerne von einem neuen Aufbruch bei RBS spricht, "Stevie Wonga". Wonga ist ein englischer Slangausdruck für Geld beziehungsweise Kohle. Auch Politiker stimmen in den Chor ein, wenn auch nicht immer so extrem wie der finanzpolitische Sprecher der Liberalen im Unterhaus, Vince Cable. Man sollte Londons Banker "in Säcke voller Schlangen stecken und in die Themse werfen", sagte er.

Die Versuche der britischen Finanzaufsicht FSA, die Prämien-Exzesse zu begrenzen, gleichen indes hilflosen Schönheits-Reparaturen an einem System, das längst eine Eigendynamik entwickelt hat. Alle Vorgaben für die Vergütung "können nicht wirken, wenn sie nur für Großbritannien gelten", wand sich FSA-Chef Hector Sants im schönsten Amts-Englisch, als er nach weiteren Maßnahmen gefragt wurde.

Der Spitzenbeamte, dem beste Verbindungen zur Bankenszene nachgesagt werden, verweist gern auf die internationalen Bemühungen zur Regulierung. Diese sind bislang kaum vorangekommen, auch wenn Paris und Berlin nun den Druck verstärken wollen. Vorerst aber sind es mehr oder weniger unverbindliche Empfehlungen an die Banken. "Das ist ähnlich wie eine Polizei, die die Ampel auf Rot schaltet, aber gleichzeitig sagt, dass das Haltesignal nur eine Empfehlung für die Autofahrer ist", meint ein Analyst in London.

Hinter dem Lavieren und Zaudern steckt die Angst der Aufsichtsbehörden, im harten Konkurrenzkampf der Finanzstandorte Boden zu verlieren. London ist erpicht darauf, seine dominante Position zu sichern. Und schon gar nicht wollen sich die notorisch europaskeptischen Briten von Brüssel etwas vorschreiben lassen. "Wir müssen aufhören, auf die Banker einzuprügeln", sagt Ian Luder. Der Lord Mayor der City of London lächelt dabei ein wenig süffisant. Seine glänzende Stirn wirft kleine Falten. Der füllig wirkende Herr mit dem großen Orden auf der Brust hält in Vintners Hall einen Vortrag über die Zukunft der Finanzbranche. Es ist ein historisches Gebäude mit schweren Eichentäfelungen und mächtigen Kristalllüstern. Einst hatten hier die Weinimporteure ihren Sitz.

Luder nippt nur kurz an einem Glas Wasser und setzt seine Rede fort. Klar, angesichts der Krise brauchten die Märkte klare Spielregeln, räumt er ein. Aber man müsse die Kirche im Dorf lassen, sagt der 58-Jährige, der so etwas wie der Chef-Lobbyist der Finanzbranche ist. Er weiß, dass er sein Publikum nicht verschrecken darf. Man könnte auch sagen: Eine Krähe hakt der anderen nicht die Augen aus. Der gelernte Steuerprüfer ist der 681. Lord Mayor in der Geschichte der Stadt. Es ist ein Ehrenamt. Jedes Jahr wählen die Banker, Makler, Versicherungskaufleute und Anwälte einen aus ihrer Mitte, der ihre Interessen vertritt. Zur Amtseinführung rollt der frischgebackener Lord Mayor in einer goldenen Kutsche zum königlichen Gerichtshof, um den Eid auf die Monarchie zu schwören.

Knallharter Konkurrenzkampf

Tradition und Modernität - nach diesem Konzept hat London schon immer seine Bankerelite gepflegt. Das ist an diesem sonnigen Spätsommertag auch in der kleinen Kirche St. Helen's am Bishopsgate zu spüren. Das anglikanische Gotteshaus, dessen Gründung ins 13.Jahrhundert zurückreicht, wirkt fast so, als würde es von den Hochhäusern der umliegenden Bankenpaläste erdrückt. Doch St. Helen's ist ein beliebter Treffpunkt. Jeden Dienstag kommen hier Geschäftsleute aus den nahen Büros zusammen, um in der Mittagspause am Gottesdienst teilzunehmen. Anschließend gibt es mit Schinken und Käse belegte Baguettes.

Der Gottesdienst ist auch diesmal gut besucht. Auf den einfachen Plastikstühlen vor der hohen Kanzel drängeln sich die Anzugträger. Der junge Prediger Wes Illingsworth spricht vom Apostel Paulus, der mit seinen Freunden Glück und Leid geteilt habe. Illingsworth Finger tanzen auf der Kanzel-Balustrade. Dann hebt er die Arme. "Gottes Liebe ist überall", ruft er und schlägt dann den Bogen zum Alltag seiner Zuhörer. Er spricht vom "Chaos in der City", in der es an Orientierung mangele - eine sanfte Ermahnung, nicht alles im Leben dem schnöden Mammon unterzuordnen.

Später, nach dem Gottesdienst, als er in lockerer Runde mit den Gästen spricht, sagt er, er habe den Eindruck, dass viele Banker den Glauben an Gott in diesen schwierigen wirtschaftlichen Zeiten suchten. Er wolle den Kirchenbesuchern helfen, den richtigen Weg zu finden. "Der Konkurrenzkampf im Büro ist knallhart. Hinter den schönen Fassade lauert oft die Angst, im Job zu versagen", sagt der Kirchenmann.

Im Abseits

Wer nicht mithalten kann, landet schnell im Abseits. Kein Zufall, dass sich viele im Finanzdistrikt in Alkohol und Drogen flüchten. Und manchmal endet das alles auch tödlich, wie das Schicksal des jungen Carl Pereira zeigt. Im Frühjahr diesen Jahres hat sich der 36-Jährige Banker an seinem Wohnort in London-Wimbledon vor den Zug geworfen. Er war sofort tot. Pereira arbeitete für die Allied Irish Bank in London. Er galt als Spezialist für Übernahmefinanzierungen. Am Morgen seines Todestags hatte sich Pereira bei seinem Arbeitgeber krank gemeldet und seiner Ehefrau erzählt, er würde kurz spazieren gehen. Sein Weg führte ihn direkt zur Station Wimbledon. Der Zug traf ihn frontal. "Der Mann schaute mich an. Dann sprang er vom Bahnsteig - direkt in den Triebwagen", berichtete der unter Schock stehende Zugführer Mike Cullen.

Schnell machten Gerüchte die Runde, Pereira habe Alkoholprobleme gehabt. Doch ob dies Ursache für seine Verzweiflungstat war, konnte nicht geklärt werden. Auch eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung des Falls brachte keine Ergebnisse. Der Tod Pereiras bleibe ein "Mysterium", schrieb der Evening Standard.

An dem Tag, an dem der Untersuchungsrichter in Westminster die Akten über den Fall Pereira schließt, geht es abends im "Whisky Mist" wieder einmal hoch her. Die Geschäfte laufen blendend. Die Banker feiern. "BAB", nennen sie das. BAB steht für: "Bonuses are back", Boni sind wieder da.

© SZ vom 29.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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