Finanzmisere in Griechenland:Durchwursteln verboten

Für die Mittelmeerländer zahlen oder ein Ende des Euro in Kauf nehmen? Die griechische Krise offenbart eine fundamentale Schwäche der europäischen Finanzpolitik.

Joschka Fischer

"Nur bei Ebbe sieht man, wer nackt badet", lautete der Kommentar des amerikanischen Großinvestors Warren Buffett zur Lage, nachdem die Weltwirtschaftskrise begonnen hatte. Die lakonische Bemerkung gilt allerdings nicht nur für Unternehmen, wie wir mittlerweile wissen, sondern auch für Staaten. Das neueste Beispiel dafür heißt Griechenland.

Griechenland, Krise, afp

Die Finanzkrise in Griechenland zeigt ein grundlegendes Problem des Euro auf: Er wird nicht durch eine einheitliche Politik gestützt.

(Foto: Foto: AFP)

Nach Irland ist Griechenland das zweite Mitglied der Eurozone, das durch die Krise an den Rand des Staatsbankrotts geriet. Irland konnte seine Probleme durch eine gleichermaßen entschlossene wie schmerzhafte Sanierungspolitik selbst lösen, nicht zuletzt, weil die Wirtschaft an sich gesund war.

Irland ist mittlerweile auf dem Weg der Besserung. Die Lage Griechenlands ist eine andere. Eine Sanierung der Wirtschaft dieses Eurolandes wird sehr viel schwieriger sein und tiefer reichen müssen.

Denn nicht nur interne finanzielle Ungleichgewichte müssen abgebaut werden, sondern es bedarf ebenfalls eines Realitätsschocks für das gesamte politische System und das Sozialsystem, nachdem man dort über eine so lange Zeit die Realität ausgeblendet und über seine Verhältnisse gelebt hat. Das Land wird sich faktisch neu erfinden müssen.

Weitere Wackelkandidaten

Dennoch kann die EU ihr Mitglied Griechenland weder in den Staatsbankrott schlittern lassen noch dem Internationalen Währungsfonds überantworten, sondern sie wird ihm bei Sanierung und Neuanfang helfen müssen.

Denn Griechenland ist nicht der einzige Wackelkandidat in der Eurozone - Portugal, Spanien und Italien wären wohl die nächsten, die von den Finanzmärkten attackiert würden. Dem Euro würde dann aber das Scheitern drohen, und damit wäre zum ersten Mal in seiner Geschichte das gesamte europäische Integrationsprojekt ernsthaft gefährdet.

Das eigentliche, hinter der griechischen Krise stehende Problem ist ein sehr viel ernsteres, weil es dabei um die fundamentale Schwäche des Euro geht: Er wird nicht durch die Politik einer Regierung abgestützt.

Die sogenannten "Maastricht-Kriterien", die die Verschuldung eines Staates auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzen, haben sich bereits recht früh nur als bedingt praxistauglich erwiesen, ebenso die daran festgemachten Überwachungsinstrumente.

Auf jeden Fall waren die Regeln von Maastricht niemals für jenen "perfekten Sturm" ausgelegt, wie er am 15. September 2008 mit der Pleite von Lehman Brothers ausgelöst wurde.

Der Euro, der sich in dieser Krise als das entscheidende Instrument zur Verteidigung europäischer Interessen erwiesen hat, wird jetzt einem Härtetest unterzogen, der auf den weichen politischen Kern seiner Konstruktion zielt: die nicht ausreichende politische Integration der EU. Es geht also für die EU um sehr viel mehr als um die Zahlungsfähigkeit Griechenlands.

Antworten auf die Krise Griechenlands

Die europäischen Staats- und Regierungschefs - vorneweg die von Deutschland und Frankreich - müssen darauf schnell neue, kreative Antworten finden. Diese werden nicht billig und deshalb auch nicht ohne erhebliche politische Risiken sein.

Joschka Fischer, dpa

Joschka Fischer, 61, Bündnis 90/Grüne, war von 1998 bis 2005 Vizekanzler und Bundesaußenminister. Er schreibt exklusiv für "Project Syndicate" und die "Süddeutsche Zeitung". Fischer hat mittlerweile eine eigene Beratungsgesellschaft. Zugleich fungiert er als politischer Berater beim geplanten Bau der Nabucco-Pipeline.

(Foto: Foto: dpa)

Finden sie solche Antworten nicht, könnte es angesichts des globalen wirtschaftlichen Umfeldes, das wenig nachhaltiges Wachstum in den kommenden Jahren verspricht, sehr schnell sehr ernst werden.

Hoffnung auf europäische Wirtschaftsregierung

Diese Antworten müssen über Maastricht hinausgehen, ohne dass sie jedoch zu neuen institutionellen Debatten führen, die im Nirgendwo enden werden. Und es wird neuer Instrumente bedürfen - zum Beispiel Eurobonds -, welche die Zinslast der betroffenen Euroländer reduzieren können.

Dazu müssen die sich aber ernsthaft an einen schmerzhaften und erfolgversprechenden Sanierungsprozess gemacht haben, der einer wirksamen Kontrolle zu unterstehen hat. Es wird also auch der Reform der Kontrollmechanismen bedürfen.

Es hat sich in dieser Krise auch gezeigt, dass der Rat der EU-Finanzminister nicht ausreicht, um die Finanzpolitik der EU-Mitgliedstaaten wirksam - sprich: politisch - zu kontrollieren. Ohne die direkte Führung durch die Staats- und Regierungschefs wird es nicht gehen, zumindest nicht in diesen Zeiten einer außergewöhnlichen Krise.

Nach dem jüngsten deutsch-französischen Gipfel hat sich Kanzlerin Angela Merkel zum ersten Mal öffentlich nicht mehr ablehnend gegenüber der Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung gezeigt; ein hoffnungsvolles Zeichen. Die neue Struktur, Aufgaben sowie Entscheidungs- und Kontrollmechanismen jetzt möglichst schnell auszubuchstabieren, ist deshalb das Gebot der Stunde, denn es eilt!

Vor allem die deutsche und die französische Regierung gehen zudem ein sehr großes innenpolitisches Risiko ein, wenn sich die Krise des Euro im Mittelmeerraum verschärft und eine finanzielle Rettungsaktion dort notwendig wird, um den Euro zu erhalten. Denn eine solche Aktion würde teuer und für die zahlenden Regierungen deshalb innenpolitisch hochriskant sein, wenn kein überzeugender europäischer Ausweg aus einer solchen Krise vorbereitet wurde.

Aber selbst mit einem oder zwei oder drei Schritten nach vorn bleibt ein sehr großes innenpolitisches Risiko. Die Öffentlichkeit ist auf diese Krise politisch kaum vorbereitet, ja, schlimmer noch, seit Jahren macht sich eine die politischen Lager übergreifende Euroskepsis breit. Dies gilt auch für Deutschland.

Staatsfrauliche Führung

Zahlen für die Mittelmeerländer oder ein Ende des Euros in Kauf nehmen? Allein diese Frage macht zweifelsfrei klar, worum es tatsächlich geht: um die Zukunft des gesamten Projekts Europa. Und diese Frage lädt zu jeder Form von Populismus und nationalistischen Affekten ein.

Die Kanzlerin und ihr Finanzminister können sich wohl auf eine Debatte um den Euro vorbereiten, die absehbar ist. Ein Durchwursteln - jene typisch europäische Antwort, welche die politischen Risiken begrenzt, aber nicht wirklich etwas ändert - wird angesichts der weltwirtschaftlichen Lage, die keine kurzfristige Besserung verspricht, schwierig werden und birgt deshalb ebenfalls hohe Risiken.

Was jetzt Not tut, ist staatsmännische und vor allem staatsfrauliche Führung. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy stehen vor der Herausforderung ihrer Amtszeit. Sie müssen das europäische Schiff durch diesen Sturm steuern, ohne dass es Schiffbruch erleidet, und das macht mutiges Denken und Handeln unabweisbar.

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