Finanzmarktreform in den USA:Vorbild für die ganze Welt

Die Finanzmarktreform der USA hat viele große Mängel. Sie ist trotzdem ein Fortschritt - und wird die Wall Street dauerhaft verändern. Hoffentlich zum Besseren.

Nikolaus Piper

Wer sagt, dass Politiker nicht lernfähig sind? Der US-Kongress hat am Donnerstag nach einem mühseligen Verfahren die Finanzmarktreform von Präsident Barack Obama beschlossen. Es ist der größte Umbau der Bankenregeln seit den dreißiger Jahren; er wird die Wall Street dauerhaft verändern - hoffentlich zum Besseren. Amerika hat die richtigen Konsequenzen aus der Finanzkrise gezogen.

The Manhattan skyline is seen from a helicopter in New York City

Die Reform geht weiter, als Skeptiker geglaubt hatten. Sie bringt Fortschritte von historischer Dimension.

(Foto: Reuters)

Das Gesetz ist alles andere als perfekt. Vieles wurde verwässert, viele hässliche Kompromisse waren notwendig, um eine Mehrheit zu bekommen; der Kongress baut zu wenig auf klare Regeln und zu viel auf Einzelentscheidungen von Behörden. Ausdruck dieser Mängel ist der unglaubliche Umfang des Gesetzes: 2300 Seiten. Als Präsident Franklin Roosevelt 1933 die Banken neu regulierte, kam er mit 34 Seiten aus.

Trotzdem geht die Reform weiter, als Skeptiker geglaubt hatten. Sie bringt Fortschritte von historischer Dimension: Erstmals hat die US- Regierung die Möglichkeit, Großbanken bei einer drohenden Pleite unter Kuratel zu stellen und geordnet abzuwickeln. Gläubiger der Banken können nicht mehr darauf bauen, dass der Staat ihr Geld sichert und werden entsprechend Vorsicht walten lassen. Das Gesetz zwingt die Banken, sich von riskanten Geschäften zu trennen. Obama hat damit international die Führung beim Thema Finanzreform übernommen.

Die EU dagegen hinkt klar hinterher. Das hat zum einen damit zu tun, dass Entscheidungen in Brüssel länger brauchen als in Washington. Zum Teil ist der Rückstand aber auch der Tatsache zu schulden, dass die europäische und besonders die deutsche Politik viel Energie auf Unnützes (Verbot von Leerverkäufen, Finanztransaktionssteuer) und weniger Wichtiges (Bankenabgabe) verschwendet hat. Das führt konkret dazu, dass die US-Regierung jetzt mit der Macht ausgestattet wird, einen zweiten Fall Lehman Brothers zu verhindern, die Bundesregierung dagegen immer noch Probleme hätte, mit einem Desaster à la Hypo Real Estate umzugehen. Das wird sich hoffentlich mit dem neuen Bankeninsolvenzrecht in Deutschland ändern.

Zwei Lösungen

Auch nach der US-Reform ist jedoch das zentrale Problem hinter der Finanzkrise nicht endgültig gelöst. Es heißt "Too Big to Fail": Banken sind so groß geworden, dass sie nicht pleitegehen können, ohne das Weltfinanzsystem zu gefährden. Sie besitzen daher eine implizite Staatsgarantie, unter deren Schirm sie munter weiter Risiken eingehen können. Auf nationaler Ebene haben die USA das Problem zwar entschärft - für große, international verflochtene Banken gibt es aber kein entsprechendes Verfahren.

Theoretisch sind zwei Lösungen denkbar: Entweder alle Regierungen schwören, diesen Banken niemals und unter keinen Umständen zu helfen. Oder die Institute werden in Einheiten zerlegt, mit denen nationale Behörden umgehen können. Modell eins ist illusorisch, weil diesen Schwur niemand glauben würde. Für Modell zwei fehlt der politische Wille.

Bleibt Modell drei: internationale Vereinbarungen, welche die Banken zwingen, so hohe Reserven zu bilden, dass sie im Krisenfall ihre Verluste auch selber tragen können. Tatsächlich verhandeln Experten aus den wichtigsten Ländern derzeit in Basel über genau solche Vorschriften. Die Verhandlungen sind für die Zukunft mindestens ebenso wichtig wie Obamas Finanzreform, sie bergen nur ein Problem: Die Materie ist so kompliziert, dass das Ganze praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Das könnte fatale Folgen haben.

Nach jüngsten Berichten aus Basel sind die Regierungen in einen Wettbewerb darüber eingetreten, wer die eigenen Banken am besten vor zu strengen Regeln schützt. Es ist also gut möglich, dass das, was Washington beschlossen hat und was Brüssel und Berlin vielleicht noch beschließen werden, in Basel wieder entwertet wird.

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