Finanzmärkte:Die Angst vor der Angst

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Braut sich an den Finanzmärkten ein Gewitter zusammen, das auch über Deutschland niedergeht? Staat und Banken mahnen zur Gelassenheit - das hat etwas Beunruhigendes.

Ulrich Schäfer

Es braut sich etwas zusammen an den Finanzmärkten. Noch hört man nur ein Grollen in der Ferne, ab und zu zucken ein paar Blitze: Da trudelt eine amerikanische Hypothekenbank, weil die Kunden ihre Immobiliendarlehen nicht mehr bedienen können; dort wackeln ein paar hochriskante Fonds, die sich mit Krediten verspekuliert haben; hier kippelt eine unbekannte deutsche Bank namens IKB. Der deutsche Normalbürger könnte sich fragen: Was geht mich das an?

Er könnte sich zurücklehnen und sich von den schönen Zahlen des Aufschwungs hierzulande begeistern lassen: Die Arbeitslosen werden seit Jahren weniger, die Firmen verdienen prächtig, das Loch im Staatshaushalt schließt sich. Ach, welch feines Wirtschaftswunder.

Doch aus dem fernen Grollen könnte schon bald ein Sturm werden, ein gewaltiges Gewitter, das auch über Deutschland niedergeht - an den Börsen, aber ebenso im ganz realen Wirtschaftsleben. Noch weiß niemand, wann dieses Gewitter losbrechen könnte: morgen? Nächste Woche? Oder erst in ein paar Monaten? Und noch weiß niemand, wie lange es anhalten würde. Doch wenn es so kommt, werden nicht nur die Börsianer leiden, sondern auch Handwerker und Sparer, private Bauherren und Unternehmen.

Das Unwetter kann dazu führen, dass aus Daimler-Chrysler doch nicht wieder schnell ein deutsches Daimler und ein amerikanisches Chrysler wird - weil die Käufer des US-Autobauers niemanden finden, der ihnen den Milliardendeal finanziert.

Es kann dazu führen, dass deutsche Mittelständler von ihrer Bank keinen Kredit bekommen - weil all jene, die in den letzten zwei, drei Jahren an den Finanzmärkten das große Rad gedreht haben, plötzlich merken, dass dieses Rad viel zu groß war. Der Sturm, der aus Amerika heranzieht, weil dort die Wirtschaft schwächelt, kann dazu führen, dass auch in Deutschland die neuen Jobs nicht so schnell entstehen, wie alle glauben.

Das Problem besteht darin, dass es billiges Geld auf Pump seit einiger Zeit nicht mehr im Überfluss gibt. Wer ein Haus bauen wollte, bekam den Baukredit bis vor kurzem oft hinterhergeworfen. Und wer ein Unternehmen kaufte, zumal ein großes, konnte sich die Milliarden dafür größtenteils anderswo leihen; eine ganze Branche, die der Finanzinvestoren, vulgo: Heuschrecken, lebte davon.

So entstanden mehrere Blasen in der globalen Wirtschaft: Millionen Amerikaner erwarben eine Immobilie, obwohl sie kein Vermögen besaßen; Dutzende Finanzinvestoren kauften riesige Konzerne, obwohl ihnen das Eigenkapital dafür fehlte; und Hunderte Banken rund um den Globus vergaben Kredite, obwohl die Sicherheiten fehlten. Möglich war dies, weil - von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt - in den vergangenen Jahren eine ganze Industrie entstanden ist, die diese Kredite aufkauft und den Banken die Risiken wieder abnimmt.

Die IKB ist im Vergleich zur Deutschen Bank eine Klitsche

Dieses Geschäft funktioniert, solange alle mitmachen. Die Fonds, welche die Kredite übernehmen, schnüren daraus neue Pakete und reichen diese wiederum an andere Investoren weiter.

Solange es genug Anleger gibt, die in solche Geschäfte investieren, muss sich niemand sorgen. Im besten Fall, argumentiert man an den Börsen, werden die Risiken im globalen Finanzsystem auf immer mehr Schultern verteilt. Im schlimmsten Fall können die Risiken aber auch wachsen: Alle an den Finanzmärkten glauben, sie könnten sich Dinge leisten, die sie sich gar nicht leisten können; alle wähnen sich in einer Welt ohne Gefahren, obwohl die Gefahren wachsen, wenn auch im Verborgenen.

Wohin dies führen kann, war dieser Tage erstmals in Deutschland zu beobachten, als die IKB-Bank an den Rand des Konkurses geriet. Die Bank ist, ohne ihr allzu nahezutreten, im Vergleich mit der Deutschen Bank eine Klitsche. Sie hatte riskante Immobilienkredite in den USA aufgekauft und fand plötzlich niemanden mehr, der ihr diese wieder abkaufen wollte.

Hätte die Bundesregierung nicht flugs eine Rettungsaktion organisiert, wäre die IKB pleite. Mehr noch, Deutschland wäre nach Ansicht der staatlichen Finanzaufsicht in die größte Bankenkrise seit 1931 gerutscht.

Wie aber muss es, sollte es tatsächlich so ernst gewesen sein, um die Stabilität des deutschen Bankensystems bestellt sein, wenn ein kleines Geldhaus wie die IKB alles ins Wanken bringen kann? Und was passiert, wenn eine weitere Bank ins Straucheln gerät, weil am anderen Ende der Welt ein Kreditinstitut zusammenbricht? Springt dann wieder die Staatsbank KfW ein? Muss die Bundesregierung dann sogar Steuergelder einsetzen?

Derzeit versuchen alle Beteiligten, die Gefahren herunterzureden. Sie sprechen vom Einzelfall, von einem isolierten Problem. In einem verwobenen Finanzsystem lassen sich Probleme aber nicht isolieren. Wenn eine Bank in Not gerät, hängen stets auch andere mit drin. Es ist verständlich, wenn Regierung, Bundesbank und Bankenverbände versuchen, die Märkte zu beruhigen.

Denn letztlich geht es auch um ein psychologisches Problem: Sollte an den Finanzmärkten die Angst vor dem Absturz wachsen, würde dies in der Wirtschaft generell die Angst nähren. Am Ende könnte die Panik stehen. Die vielen beruhigenden Worte haben daher auch etwas Beunruhigendes.

© SZ vom 03.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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