Finanzkrise: Irland:Hilfe, die Deutschen kommen

Irland hat gute Gründe, für die deutsche Hilfe dankbar zu sein. Doch im Verhältnis der Insel zu seinem wichtigsten Retter dominieren Scham, Furcht - und eine Verschwörungstheorie.

Derek Scally

Wer hätte gedacht, dass Irland so tragisch enden würde wie Blanche DuBois, jene pathetische Heldin aus Endstation Sehnsucht, die aus einer angesehenen, aber über ihre Verhältnisse lebenden Familie kam, was eines Tages zur Katastrophe führen musste? Ähnlich wie Blanche sind wir Iren jetzt auf das Wohlwollen von Fremden angewiesen.

Deutschland Irland Flagge

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Irland ist ein ganz besonderes.

(Foto: Fotograf: AFP, istock)

Gewiss, uns geht's besser als der Heldin des Dramas: Sie landet in einer geschlossenen Anstalt, Irland im Schoß des Internationalen Währungsfonds (IWF). Aber für eine junge Demokratie wie Irland, in der Nationalstolz und Souveränität untrennbar verbunden sind, ist die Beaufsichtigung durch den IWF eine nationale Katastrophe.

Jetzt wird das Skalpell an einen Patienten gelegt, der sich emotional seit dem Beginn der Krise 2008 ohnehin schon in die Kühltruhe gelegt hatte. Nur so war der Schock zu ertragen. Nach 15 Jahren Party platzte damals nicht nur Amerikas, sondern auch Irlands Immobilienblase mit einem Knall. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: fast 14 Prozent Arbeitslosigkeit (so hoch wie seit einer halben Generation nicht mehr) und Immobilienpreise, die um fast die Hälfte eingebrochen sind.

Der Schock war deshalb so heftig, weil die Iren sich gerade erst daran gewöhnt hatten, Europas Musterland zu sein. Zum ersten Mal in der Geschichte hatten wir an uns selbst geglaubt - und auch guten Grund dazu: Den neuen Reichtum konnte man überall riechen, sehen, spüren. Gemessen daran sah Deutschland richtig alt aus. Im Nachhinein wissen wir, dass die irische Volkswirtschaft schon seit 2005 nicht viel mehr war als ein Hütchenspiel aus Immobiliengeschäften, Steuersubventionen und ganz viel Hoffnung.

Und nun? Seit dem Hilferuf der Regierung an den IWF und den EU-Rettungsfonds ist es mit dem Schock vorbei. Jetzt dominiert etwas anderes: Scham, in guter katholischer Tradition. Scham darüber, dass ein angeblich so reiches Land auf einmal zahlungsunfähig sein soll. Scham darüber, dass wir Iren wieder die Bettler Europas sind. Scham darüber, dass nach einer kurzen historischen Pause wieder Tausende Iren auswandern müssen, um Arbeit zu finden.

Vor zehn Jahren witzelte ich bei meiner Abschiedsfeier in Dublin, dass ich zur ersten Generation von Iren gehörte, die das Land freiwillig verlassen, und nicht aus Not. Und mit der Scham kommt die Angst vor einer Zukunft, die in den Händen anonymer IWF-Mitarbeiter liegt. Und obwohl die Mehrheit der Iren unsere Krise für hausgemacht hält, geht auch ein seltsames Gerücht um: Stecken nicht doch vielleicht "die Deutschen" dahinter?

Diese Verschwörungstheorie geht so: Die Deutschen haben, neben den Briten, den Iren am meisten Geld geliehen. Um die eigene Banken zu schützen, muss Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt ihre Gesandten nach Dublin schicken, um das deutsche Geld zurückzuholen. Dahinter steckt etwas Tieferes, nämlich Irlands traditionelle Bewunderung und Furcht vor der German Efficiency.

Gut für die Kassen, schlecht für die Kneipen

In seinem Buch "Western Germany" schrieb der irische Autor Monk Gibbon im Jahr 1955: "Kein Land ist effizienter als Deutschland. Aber wie bei dem Mann der sich selbst rücksichtslos vorantreibt, kommt mit diesem unermüdlichen Fleiß auch eine gewisse Tadelsüchtigkeit - sich selbst und auch dem Ausländer gegenüber." In Irland geht die Angst um, ein EU-Rettungsplan werde die Handschrift der Deutschen tragen. Ob die Effizienz, mit der Deutschland Autos baut, geeignet ist, ein Land wie Irland zu sanieren?

In der Debatte um Irlands berühmte Körperschaftsteuer ist es genau diese Angst, die die Iren besonders umtreibt. Vielen Iren gilt der niedrige Steuersatz von 12,5 Prozent nach wie vor als Schlüssel des irischen Erfolgs, als unantastbare Säule ihres Wirtschaftsmodells. Jetzt könnte man meinen, diese Säule trage nur noch die Ruinen eines ohnehin wackeligen Bauwerks.

Aus Berlin wird nun die Kritik lauter, ein solcher Steuersatz sei mit der Inanspruchnahme von EU-Hilfsgeldern nicht vereinbar. Wie könne Irland zuerst deutsche Firmen samt ihrer besteuerbaren Gewinne mit niedrigen Steuersätzen nach Irland locken - nur um dann später deutsche Steuergelder als Nothilfe in Anspruch zu nehmen? Und sich dann auch noch zu weigern, selbst beim Steuersatz Zugeständnisse zu machen? Es ist verständlich, wenn Irlands EU-Partner die Gunst der Stunde nutzen wollen, um einen höheren Steuersatz durchzusetzen. Dabei wird aber übersehen, dass dieser Steuersatz in Irland weniger von fiskalischer als von nationaler symbolischer Bedeutung ist.

Irland hat gute Gründe, für europäische Hilfe dankbar zu sein. Aber Auflagen, die den ohnehin schmerzlichen Verlust der Finanzhoheit nur noch verstärken, können unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben. Deutschland mag mit seiner Kritik am irischen Steuersatz sogar recht haben. Aber Rechthaberei bringt uns nicht weiter. Ein EU-freundliches Land, das sich gemobbt fühlt, könnte auf Dauer ein euroskeptisches Land werden - und vielleicht, aus Scham und Verzweiflung, eben jene Hand beißen, die es bis auf weiteres durchfüttert. Die Deutschen hatten immer ein Herz für die kleinen EU-Länder. Jetzt warten wir Iren auf ihren Kompromissvorschlag.

Es sind traurige, sehr traurige Zeiten in Irland. Dass Irland nicht betrogen hat wie Griechenland, tröstet kaum jemanden. Die Iren haben seit 1997 konsequent jene Partei gewählt, die die Wirtschaftslehre von niedrigen Steuern und lockerer Finanzaufsicht so konsequent umgesetzt hat, dass liberale Ökonomen auf der ganzen Welt vor Freude die Tränen kamen. Irlands vermeintliches ökonomisches Wunder wurde aber nun vom Regenschauer der Finanzkrise entzaubert: Wir hatten es in Wirklichkeit nie mit Gold zu tun, sondern nur mit bemaltem Blei.

Nach einer Geschichte von Hungersnot und Besatzung wird Irland auch diese Krise überleben. Ein starker Stabilitätspakt wird allen guttun, viele Iren begrüßen auch Kanzlerin Merkels Vorstoß, private Staatsgläubiger künftig stärker zur Kasse zu bitten. Aber eines ist wichtig: Die Iren werden weiterhin mit den Deutschen den Euro teilen, doch wir werden nie ganz deutsche Einstellungen zum Geld übernehmen.

Eine grüne Insel voller schwäbischer Sparfüchse würde zwar die Kassen füllen - aber keine Kneipen! Irland muss jetzt einen beispiellosen Sparkurs durchziehen. Dabei wird Deutschland wohl unser größter Spender sein - von verzinsten Anleihen, nicht jedoch von deutschem Knochenmark.

Derek Scally, 33, ist seit 2000 Deutschland-Korrespondent der Tageszeitung Irish Times aus Dublin.

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