Finanzkrise:In Las Vegas geht die Sonne unter

Die amerikanische Spielerstadt war immer immun gegen Rezessionen - jetzt leidet sie auf einmal unter der Finanzkrise.

Jörg Häntzschel

Noch vor hundert Jahren war Las Vegas nicht mehr als eine Bahnstation in der Mojave-Wüste. Heute ist es eine der am schnellsten wachsenden Städte der USA. Allein zwischen 1990 und 2006 verdoppelte sich die Zahl der Bewohner. Rechnet man die Vororte hinzu, wohnen heute knapp zwei Millionen Menschen dort. Angefeuert wurde diese explosionsartige Entwicklung nicht zuletzt vom Tourismus. Seit 1989 der Vegas-Visionär Steve Wynn das "Mirage" am Strip, der Hauptstraße, eröffnete, schoss dort ein Megahotel nach dem anderen empor, jedes märchenhafter als das vorangegangene.

Finanzkrise: Die Spieler und Showstars wandern weiter: Las Vegas leidet unter der Finanzkrise.

Die Spieler und Showstars wandern weiter: Las Vegas leidet unter der Finanzkrise.

(Foto: Foto: Reuters)

Heute gibt es in der Stadt nicht weniger als 130.000 Hotelzimmer. Bislang standen sie selten leer. Die Amerikaner lebten in den letzten Jahren auf großem Fuße, und zu den vielen Einheimischen kamen immer mehr neue Besucher hinzu: aus Europa, vor allem aber aus China und Russland.

Doch seit einigen Wochen kommt Las Vegas' atemberaubende Expansion ins Stocken. Die Stadt, die sich gerne für immun hielt gegen die Rezessionen, die das übrige Land heimsuchten, wurde von einer Serie schlechter Nachrichten aus ihrer scheinbar grenzenlosen Expansionswut gerissen.

Erst trübten sich die Zahlen bei der Hotelauslastung ein: Um 1,5 Prozent lag sie am Jahresanfang niedriger, und das, obwohl die Zimmerpreise bereits leicht reduziert wurden. Und die Spieler gaben vier Prozent weniger Geld bei Texas Hold'Em, Poker und an den Slot machines aus. Das allein wäre noch nicht dramatisch, auch wenn schon jetzt hunderte von Angestellten entlassen wurden. Was den Casino-Managern in Las Vegas Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass weitere 40.000 Hotelzimmer samt Casinos geplant oder im Bau sind.

Vulgär wie eh und je

Nun wird die Stadt von der Kreditkrise, die sich gemeinsam mit der Rezession schon bei den Besucherzahlen bemerkbar gemacht hatte, auch direkt getroffen. Das "Crown Las Vegas", ein gigantisches Casinoprojekt, sollte das höchste Gebäude der Stadt werden. Nun wurde der Plan vorerst aufgegeben: Die Entwickler des Projekts konnten keine ausreichenden Kredite auftreiben. Der Bau des am Strip gelegenen "Cosmopolitan Resort and Casino" wurde kürzlich gestoppt, als die Deutsche Bank einen Kredit von 760 Millionen Dollar zurückverlangte. Und Tropicana, einer der alteingesessenen Casino-Betreiber, meldete Gläubigerschutz an.

Seit Mitte der neunziger Jahre hat Las Vegas einen erstaunlichen Wandel durchgemacht. Die Hauptstadt von Frivolität und Trash, in der die Mafia ihr Geld wusch, die Prostitution blühte und Hotelbetten und Cocktails wenig oder nichts kosteten, erfand sich als Spielplatz für die ganze Familie neu. Vulgär ist es wie eh und je, aber auf eine bizarre Weise respektabel.

Wurde früher in billigen Betonburgen hinter grellem Neonzierat gezockt, heute erwarten den Besucher tropische Strände, italienische Gassen, ägyptische Pyramiden und Nachbauten von Venedig, Paris und New York: die idealen Panoramen für verlängerte Wochenenden mit Entertainment, Essengehen und vor allem Shopping. Das vereinende Thema der Stadt ist der Luxus geworden, Konsum in seiner reinsten, krassesten Form. Messen und Kongresse sind das andere neue Standbein geworden.

Spieler wandern ab

Das Glücksspiel selbst, früher die wichtigste Einnahmequelle der Stadt, verlor kontinuierlich an Bedeutung und macht heute nur noch 41 Prozent der Einnahmen am Strip aus. 1990 waren es noch 58 Prozent. Las Vegas und Atlantic City, lange die einzigen Orte, an denen das Spielen legal war, haben mit den Casinos in Indianerreservaten heute in etlichen amerikanischen Bundesstaaten Konkurrenz bekommen.

Auch das chinesische Macao, wo Platzhirsche von Las Vegas wie Sheldon Adelson (Venetian) oder Steve Wynn (Wynn Las Vegas) weit größere Casinos gebaut haben als in ihrer eigenen Stadt, trug in den letzten Jahren zum leicht sinkenden Casinogeschäft bei. Die Profite aus dem Glücksspiel sind dort schon heute höher als in Las Vegas.

Die neuen Einnahmequellen haben sich für Las Vegas überaus bezahlt gemacht. Doch die Stadt ist damit weniger resistent gegen das Auf und Ab der Konjunktur geworden. Die "High Roller", die ganz großen Spieler also, die in Las Vegas hofiert werden wie der Adel im Absolutismus, kommen immer, egal wie hoch die Arbeitslosenzahlen oder der Benzinpreis gerade stehen.

Bauboom geht weiter

Doch die Familie, die ihrem glanzlosen amerikanischen Provinzkaff entflieht, um zwei Flugstunden entfernt ein bisschen große Welt zu schmecken, die tags durch die Boutiquen schlendert, abends im Restaurant gut isst, danach in eine von fünf Shows des Cirque du Soleil geht, um anderes zu erleben als Fernsehen oder Schultheater, hat das Geld womöglich schon für Benzin ausgegeben.

Doch auch wenn hier und dort ein Projekt gestoppt wird: Zumindest der Bauboom wird weitergehen. Der nächste große Wurf wird das Acht-Milliarden-Dollar-Vorhaben CityCenter von MGM Mirage, mit dem man sich am Strip von der Nachäfferei europäischer Wahrzeichen verabschieden will. Namhafte Architekten wie Norman Foster und Daniel Libeskind bauen hier; Skulpturen von Künstlern wie Frank Stella, Jenny Holzer und Henry Moore, mit denen die öffentlichen Plätze bestückt werden, sollen Gediegenheit und Ernst verbreiten, wo noch vor kurzem für mexikanische Prostituierte, Billigsteaks und Drive-Through-Hochzeiten Reklame gemacht wurde. 4500 Hotelzimmer werden hier entstehen, daneben Büros und Apartments.

"Do it without thinking!" - mach es, ohne nachzudenken, lautet der etwas neue offizielle Slogan der Las-Vegas-Werbung. Das scheint auch das Motto in Las Vegas selbst zu sein. Bisher hat es ja immer funktioniert.

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