Finanzkrise in Deutschland:Die Erpressten

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Die Finanzmärkte haben eine ganze Nation als Geisel genommen haben. Jetzt müssen Merkel und Steinbrück eine Krise bewältigen, die in keinem Koalitionsvertrag stand.

Ulrich Schäfer

Es sollte ein Akt der Stärke sein - doch es war ein Zeichen der Schwäche, ja der Verzweiflung: Angela Merkel und Peer Steinbrück verkündeten am Sonntag, dass der Bund die Guthaben aller Sparer garantiert. Die Bundesregierung steht dafür gerade, dass niemand sein Geld verliert - selbst dann nicht, wenn die Welt untergeht. So wie Merkel und Steinbrück dabei dreinblickten, so hilflos, wie sie in dieser Krise agieren, könnte man den Eindruck haben, als ob der Untergang unmittelbar bevorstünde.

Die Kanzlerin wirkte fahl, der Finanzminister fahrig. Die historische Nachricht, die sie überbrachten, die höchste Garantie, die ein Staat je übernommen hat, erklärten sie so schlecht, dass die Weltöffentlichkeit erst gar nicht begriff: Eineinhalb Stunden lang sendeten die Nachrichtenagenturen nur, was die beiden zur Rettung der Hypo Real Estate zu sagen hatten. Merkels Satz, dass die Einlagen aller Sparer sicher seien, hatten die Journalisten nicht verstanden. Und Steinbrücks Erläuterungen dazu auch nicht.

Mangelnde Führungsstärke

Die Kanzlerin und ihr Finanzminister sind Getriebene. Sie wirken wie die Opfer einer beispiellosen Erpressung, in der die Finanzmärkte eine ganze Regierung, eine ganze Nation als Geisel genommen haben. Sie versuchen eine Krise zu bewältigen, die in keinem Koalitionsvertrag stand, in keinem Lehrbuch über Politik, ja nicht einmal in theoretischen Papieren, die die Beamten der Regierung eigentlich für alles vorbereitet haben.

So einen Notfall wie die Finanzkrise hat niemand für möglich gehalten. Merkel und Steinbrück werden in diesen Tagen von den Ereignissen überrollt. Was sie als Politiker erleben, ist ähnlich unkalkulierbar wie im "Deutschen Herbst" des Jahres 1977. Damals wurde die Regierung Helmut Schmidt von den Terroristen der RAF erpresst. In solch einer Ausnahmesituation machen Politiker auch Fehler.

Historiker werden irgendwann darüber entscheiden, wie die Bundesregierung diese Krise gemanagt hat. Sie werden darüber richten, ob es Merkel und Steinbrück gelungen ist, das Desaster teilweise abzuwenden - oder ob sie dazu beigetragen haben, es noch zu verstärken.

Am Ende wird dabei alles auf eine Frage hinauslaufen: Hat die Regierung in einer Zeit, in alle nur noch dem Staat vertrauen, Führungsstärke gezeigt? Hat sie leadership bewiesen, wie die Amerikaner es nennen und wie es Finanzminister Henry Paulson derzeit eindrucksvoll demonstriert? Die vorläufige Antwort lautet: Nein. Nicht wirklich.

Merkel hat sich treiben lassen: Von den Banken, die dem Staat im Prinzip keine Wahl gelassen haben; vom Finanzminister, der im Bundestag redet, während die Kanzlerin sich in der Bild-Zeitung zu Wort meldet; und von den anderen Europäern. Es ist verwirrend: Erst kritisiert Merkel beim EU-Gipfel, dass die Iren mit einer Staatsgarantie alle Bankeinlagen sichern; dann ordnet sie die gleiche Maßnahme für Deutschland an.

Gefährliche Worte

Steinbrück wiederum hat den Deutschen erst am Donnerstag vorletzter Woche erklärt, dass ihre Ersparnisse sicher seien - ohne staatliche Garantie. Und ihnen am Sonntag dann erklärt, nun müsse aber der Staat bürgen. Mit der Garantie holt er eine Arznei aus dem Medikamentenkasten, die eigentlich erst kurz vor dem Exitus verabreicht werden sollte.

Doch steht Deutschlands Finanzsystem tatsächlich vor dem Exitus? Würden die Kunden die Banken stürmen, wenn ein großes Geldhaus zusammenbricht? Niemand weiß das. Es ist verständlich, dass Steinbrück und Merkel es nicht darauf ankommen lassen wollen. Doch ein wenig mehr Zuwarten hätte nicht geschadet. Schließlich wurde die Pleite, die den Run auf die Banken hätte auslösen können, am Sonntag erstmal abgewendet.

Möglicherweise aber wissen Merkel und Steinbrück auch Dinge über den Zustand des deutschen Finanzsystems, die derart fürchterlich sind, dass sie diese nicht der Öffentlichkeit erzählen können. Dann allerdings hätten sie die Rettung der Hypo Real Estate anders angehen müssen.

Sie hätte sich nicht in die Hände der Banken begeben dürfen, die seither darüber streiten, wer eigentlich wie viel Geld für das Krisen-Institut hergeben soll. Stattdessen hätte Steinbrück die Hypo unter staatliche Kontrolle stellen und den Vorstand postwendend absetzen sollen - so wie die Amerikaner es beim Versicherungsriesen AIG getan haben.

Dann hätte sein Satz, die Bank werde abgewickelt, nicht für derart viel Aufregung an den Finanzmärkten gesorgt. Er war inhaltlich richtig, aber in dieser labilen Situation für die Bank gefährlich. Im Falle einer Verstaatlichung hätte auch niemand die Regierung über den wahren Zustand der Hypo belügen können.So aber musste die Regierung eilig ein zweites Rettungspaket schnüren.

Merkel und Steinbrück sind nun vollends erpressbar geworden. Der eigentliche Fehler allerdings ist den beiden - und ihren Vorgängern - bereits in den Jahren zuvor unterlaufen: Sie haben geglaubt, dass die Herren der Finanzindustrie wohlmeinende Menschen seien, dem Allgemeinwohl verpflichtet, nicht bloß ihrem eigenen Vorteil, und sie haben ihnen deshalb keine strengeren Regeln auferlegt. Die eigentlichen Übeltäter, dies sollte nicht vergessen werden, sitzen in den Geldhäusern. Die Politiker sollten ihnen künftig weniger vertrauen.

© SZ vom 07.10.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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