Finanzkrise:Der Kapitalismus lebt

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Milliardenvermögen wurden vernichtet, eine Weltrezession ist nicht mehr ausgeschlossen. In dieser bedrohlichen Lage muss jetzt das Langfristige vom Kurzfristigen geschieden werden.

Nikolaus Piper

David Ricardo war einer der größten Ökonomen der Geschichte. Er erforschte die Einkommensverteilung im Kapitalismus und entdeckte die Vorteile des Freihandels. Ehe er zum Theoretiker wurde, machte Ricardo ein Vermögen an der Börse von London. Seinen für das frühe 19.Jahrhundert erstaunlichen Erfolg verdankte Ricardo zwei Prinzipien: Er ignorierte kurzfristige Euphorien und Depressionen, sondern dachte langfristig. Und er war immer ehrlich, sodass ihm alle in der City von London vertrauen konnten.

Passanten im Londoner Wirtschaftszentrum Canary Wharf (Foto: Foto: AFP)

Eine Weltrezession ist nicht ausgeschlossen

Es wäre gut, sich in diesen Tagen des Ökonomen und Spekulanten David Ricardos zu erinnern. In der Tat geschieht Ungeheuerliches. Die Kreditkrise, die nun schon 14 Monate lang anhält, hat sich erneut dramatisch verschärft. Um eine globale Katastrophe zu verhindern, haben die USA die beiden größten Hypothekenbanken des Landes und die größte Versicherung der Welt de facto verstaatlicht. Milliardenvermögen wurden an den Börsen vernichtet, eine Weltrezession ist nicht mehr ausgeschlossen.

Gerade weil die Lage so bedrohlich ist, muss aber jetzt das Langfristige vom Kurzfristigen geschieden werden. Kurzfristig erlebt die Welt die schwerste Krise des Finanzsystems seit der großen Depression der dreißiger Jahre. Es ist auch eine fundamentale Krise der Vereinigten Staaten, die Nation sieht sich in ihrer Rolle als ökonomische Führungsmacht gefährdet. Es ist aber, historisch betrachtet, keine beispiellose Krise, und schon gar nicht ist der Kapitalismus am Ende.

Die Illusion, es gebe keine Risiken mehr in der Welt

Der Nobelpreisträger Friedrich A. von Hayek lehrte in seiner Konjunkturtheorie, dass Krisen im Kapitalismus immer dann ausbrechen, wenn Geld zu billig ist. Genau dies ist zu Beginn dieses Jahrzehnts geschehen. Die Verbilligung hat eine politische Komponente - die amerikanische Notenbank zögerte viel zu lange mit Zinserhöhungen - und eine technologische: An den Finanzmärkten entwickelten junge, ehrgeizige Genies immer neue, noch komplexere Produkte, die weder die Chefs dieser Genies noch die Beamten in den Aufsichtsbehörden verstanden. Diese Produkte ließen viele glauben, es gebe keine Risiken mehr in der Welt. Als die Illusion im Juli 2007 zerstört wurde, war die große Krise da.

Allerdings hat es lange gedauert, die Folgen dieser Illusion zu beseitigen. Für den Prozess gibt es im Amerikanischen einen sehr anschaulichen Begriff: deleveraging, den Hebel abbauen. Dahinter steckt folgender Gedanke: Kredite wirken wie Hebel; mit ihnen lassen sich Gewinne, aber eben auch Verluste vervielfachen. Viel billiges Geld löst Euphorie aus, der nach einiger Zeit unweigerlich die Depression folgt. Die Krise wird daher erst dann zu Ende sein, wenn die Finanzinstitute ihre Hebel verkürzt haben und zu einer gesunden Kreditpolitik zurückgekehrt sind. Der Weg dorthin ist schmerzhaft und teuer. Zahlen müssen die Schuldigen - Lehman Brothers, Merrill Lynch, AIG, IKB, Sachsen LB -, aber auch viele Unschuldige.

Faktisch enteignete Aktionäre

Mit dem Terminus "billiges Geld" lässt sich auch die Krise Amerikas umschreiben. Seit gut vier Jahrzehnten lebt die größte Volkswirtschaft der Welt über ihre Verhältnisse. Die Amerikaner konsumieren zu viel und sparen zu wenig. Das äußert sich in den Defiziten von Staatshaushalt und Leistungsbilanz, aber auch in den Budgets von Durchschnittsfamilien. Die können ihren Lebensstandard oft nur mit teuren Krediten wahren. Der letzte Exzess dieser Kreditkultur war der Boom zweitklassiger Hauskredite ("Subprime Loans"), dessen Ende im vergangenen Jahr die Krise ausgelöst hat.

Die Krise muss Konsequenzen haben. Ob die Feuerwehreinsätze von Finanzminister Henry Paulson und Notenbankchef Ben Bernanke richtig waren, wird man erst nach einiger Zeit wissen. Beruhigend ist aber, dass die Politiker Lehren aus der Krise gezogen und Verantwortung für das Finanzsystem übernommen haben. Sie sorgten auch dafür, dass nicht einfach Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Zwar gingen einige Missmanager mit obszön hohen Abfindungen in Ruhestand, die Aktionäre jedoch, die einst von den Exzessen profitierten, wurden faktisch enteignet. Eine wichtige Lehre für die Zukunft.

Langfristig ist viel mehr nötig. Die Regulierung der Finanzmärkte muss generalüberholt werden. Wer in der Not den Staat zu Hilfe ruft, muss akzeptieren, dass er andere Spielregeln befolgen muss. Die großen Notenbanken müssen umdenken: Sie sollten sich nicht mehr nur um die Geldwertstabilität kümmern, sondern auch versuchen, Spekulationsblasen rechtzeitig zu entschärfen.

Der Prozess der Normalisierung von Konsum und Kredit in den USA wird Auswirkungen auf der ganzen Welt haben. Besonders die Deutschen haben sich früher gerne darauf verlassen, dass die amerikanischen Verbraucher die Weltkonjunktur schon tragen und Exportmöglichkeiten schaffen werden. Das wird künftig nicht mehr gehen. Deutschland muss noch mehr als bisher auf die Produktivität und Innovationsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft achten. Der Finanzsektor schließlich wird schrumpfen: weniger Banken, geringere Gewinne, höhere Reserven und ein transparenteres Geschäft. Vielleicht haben dann alle Ricardos Lektion gelernt: ehrlich bleiben und langfristig denken.

© SZ vom 18.09.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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