Finanzkrise: Bank misstraut Bank:Wenn der Himmel auf den Kopf fällt

Den Geldhändlern fehlen derzeit die Worte, um zu beschreiben, was an ihrem Markt los ist: Banken leihen untereinander kein Geld mehr.

Hans von der Hagen

Unfassbare Szenen spielen sich derzeit im Herzen des Finanzmarktes ab: dem Geldhandel. Das ist der Ort, an dem sich Banken von anderen Banken Geld leihen oder es bei anderen Instituten anlegen.

Skyline Frankfurt

Skyline Frankfurt: Die Finanzmetropole durchlebt stürmische Zeiten.

(Foto: Foto: dpa)

Derzeit flimmert das Herz nur noch - der Geldhandel probt die Nahtod-Erfahrung.

Es ist eine Art Bank-Run, der dort stattfindet. Nur stürmen hier nicht die Anleger die Banken und fordern ihr Geld zurück, sondern die Banken jagen selbst Krediten hinterher - und bekommen sie nicht oder nur zu extrem ungünstigen Konditionen.

Süchtig nach der Geldspritze

Waren früher die Liquiditätsmanager in den Banken von der Vielzahl der Geschäfte erschöpft, ist es jetzt die Suche nach Geld, die manche Händler an den Rand der Verzweiflung bringt.

"Nur im Tagesgeldgeschäft geht noch etwas", heißt es. Eine Bank bekommt also mit etwas Glück zumindest über Nacht Geld von anderen Banken geliehen. Wer aber Liquidität für längere Laufzeiten braucht, geht leer aus.

Selbst gestandene Banker können sich nicht daran erinnern, dass sich der Geldmarkt in einem derart desolaten Zustand befand. Im August 2007, unmittelbar nach dem Beinahe-Kollaps der IKB, war der Markt zwar über Stunden zusammengebrochen - es ging auch im Tagesgeldgeschäft nichts mehr. Damals aber konnten mehrere Geldspritzen der Europäischen Zentralbank (EZB) die Schockstarre lösen.

Mittlerweile hat sich der Markt an die hereinprasselnden schlechten Nachrichten gewöhnt - dafür vertraut er nur noch der Notenbank. Sollten die Geldspritzen der EZB ursprünglich allein der Krampflösung dienen, sind die Banken mittlerweile süchtig danach geworden.

Liquidität um jeden Preis

Der Geldhunger treibt seltsame Blüten: Wann immer die Zentralbank derzeit Liquidität anbietet, kaufen die Banken sie ein - nur um das Geld zu horten und sich damit gegen neuerliche Verwerfungen am Markt zu schützen. Die Banken verleihen es nicht weiter, sondern legen es auf dem eigenen Konto bei der Zentralbank wieder an, um für alle Fälle gerüstet zu sein.

Dabei nehmen sie einige Kosten in Kauf, denn sie müssen der EZB deutlich mehr an Zinsen bezahlen als sie selbst von ihr bekommen. Im Handel unter den Banken wiederum schwanken die Sätze derzeit zwischen dreieinhalb und viereinhalb Prozent - verglichen mit normalen Zeiten ist das eine enorme Spanne.

Noch chaotischer ist die Situation im Dollar-Handel, da viele europäische Banken keinen direkten Zugang zur US-Notenbank Fed haben. Derzeit verleiht die EZB Dollar im Auftrag der Fed. Vor wenigen Tagen, zum Quartalsende, schoss der Dollar-Zinssatz auf unglaubliche elf Prozent - fast das Sechsfache des US-Leitzinses.

Doch nicht allein die Höhe der Zinsen spiegelt die Nervosität des Marktes wider, sondern auch die extremen Schwankungen der Sätze machen den Händlern zu schaffen. Nachdem die Notenbank zunächst Dollar zu elf Prozent zugeteilt hatte, lag der Satz für das nächste Angebot nur bei 0,5 Prozent - alle Händler hatten sich auf das erste Angebot gestürzt.

Die jüngsten Ereignisse haben den Bankern gezeigt, dass man nun mit allem rechnen und sich mit Liquidität wappnen muss.

Vor allem die Pleite der US-Invetsmentbank Lehman Brothers hat das Urvertrauen der Märkte in den Staat zerstört, den Glauben, dass letztlich immer doch noch jemand da ist, der das Schlimmste verhindert.

"Kann ich mir gar nicht ausmalen"

Jetzt scheint alles möglich zu sein und vor allen anderen wissen die Geldhändler, wenn bei einer Bank etwas schiefläuft. Misstrauen, Gerüchte, Ratingabstufungen - im Geldhandel gibt es umgehend die Quittung dafür. Wer hier scheitert, ist am Ende. Der Geldmarkt kennt keine Freunde.

Die Folgen sind vor allem für die Banken verheerend, die aufgrund ihres Geschäftsmodells darauf angewiesen sind, kurzfristig Kredite am Geldmarkt zu erhalten - etwa, weil sie keine Kundeneinlagen erhalten. Damit stehen nun viele Spezialbanken unter Verdacht und werden am Markt argwöhnisch beobachtet.

Auf der nächsten Seite: Was wäre, wenn die EZB nicht helfen würde.

Wenn der Himmel auf den Kopf fällt

Wie schnell aus der Bedrohung Wirklichkeit werden kann, zeigt das Beispiel Hypo Real Estate (HRE): Sie hatte langfristige Kredite vergeben und wollte sie fortlaufend durch kurzfristige Kredite finanzieren. Das ging nun schief, weil die anderen Banken der HRE kein Geld mehr geben wollten. Die HRE droht ohne Rettung durch die Politik dem ältesten Risiko des Bankengeschäfts zum Opfer zu fallen.

Dabei ist insgesamt überreichlich Geld am Markt vorhanden, immer wieder entzieht die Zentralbank auch Liquidität. Doch es ist wie bei den privaten Bankkunden: Die, die ohnehin schon Geld haben, bekommen Kredit. Die, die ihn bräuchten, bekommen ihn nicht. Im Geldhandel läuft es genauso.

Was wäre, wenn die Zentralbank derzeit nicht mit so viel Geld helfen würde, liegt außerhalb der Vorstellungskraft der Händler. "Das kann ich mir gar nicht ausmalen", sagt eine von ihnen. "Die brauchen ja das Geld."

Ausgeschlossen sei es jedenfalls, dass sich die Banken dann doch gegenseitig helfen würden. Die Institute hätten allenfalls noch die Alternative, sich bei der Europäischen Zentralbank (EZB) zu einem deutlich höheren Satz - derzeit 5,25 Prozent - Geld zu leihen. Das ginge allerdings nur dann, wenn die Banken auch die entsprechenden Sicherheiten bereitstellen könnten.

Solange sich die Lage also nicht nachhaltig beruhigt, wird der Geldmarkt weiterhin süchtig auf die EZB-Spritzen warten.

Die EZB indes macht in diesen Wochen unfreiwillig gute Geschäfte. Sollte am Jahresende noch etwas davon übrig sein, bekommt die Bundesbank einen Teil des Gewinns. Die Frankfurter wiederum überweisen ihren Gewinn an den Staat.

Zumindest auf Umwegen könnte der Bund also einen kleinen Teil seines Geld wiedersehen.

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