Finanzexperte Jochen Felsenheimer:Was passiert in Europa?

Lesezeit: 13 min

Schuldendesaster, Eurokrise, Chaos - viele sind besorgt: Wie weit fällt der Euro? Was passiert mit meinem Geld? Die Antworten von Jochen Felsenheimer - einem der profiliertesten Kreditexperten Europas.

Im Chat bei sueddeutsche.de hat Finanzexperte Jochen Felsenheimer Leserfragen beantwortet. Hier wird der Chat im Wortlaut wiedergegeben. Jochen Felsenheimer ist bei der Fondsgesellschaft Assenagon mitverantwortlich für den Bereich Kredit und managt mehrere Fonds. Bis 2008 leitete er die globale Kreditanalyse bei der Hypo-Vereinsbank (UniCredit Group).

Jochen Felsenheimer: "Wir befinden uns in einer Situation, die keine angenehme Lösung mehr erlaubt. Entweder die Politik des billigen Geldes geht weiter und die nächste Krise - durch Vermögenswertinflation ausgelöst - ist nur eine Frage der Zeit. Oder die Zentralbanken beenden diese fatale Politik und entziehen dem System Liquidität." (Foto: online.sdewirtschaft)

Moderator: Hallo Herr Felsenheimer! Schön, dass Sie heute im Chat für sueddeutsche.de zur Verfügung stehen. Wir haben schon viele Fragen - und fangen am besten gleich an.

Jochen_Felsenheimer: Hallo beisammen! Werde versuchen Ihre Fragen schnell zu beantworten. Da ich nur über ein Zweifingersystem verfüge, sehen Sie mir bitte nach, dass es etwas dauern kann!

WaldemarPawlak: Sehr geehrter Herr Felsenheimer, in diesen Zeiten mit ihren ständigen Rücktritten und Milliardenspritzen kann man ja langsam an nichts mehr glauben. Daher wird jetzt Anlegern häufig empfohlen, in Gold zu investieren. Was halten Sie von dieser Anlageform?

Jochen_Felsenheimer: Gold als Fluchtwährung erfreut sich großer Beliebtheit in Zeiten der Unsicherheit. Da ich glaube, dass diese sicherlich noch anhalten werden, sehe die Gefahr eines kurzfristigen Rückgangs als sehr begrenzt an. Aber Gold profitiert sehr stark von der Vermögenswertinflation, die von den Zentralbanken durch exzessive Liquiditätsversorgung gefördert wird. Wird diese zurückgefahren, wird auch Gold an Wert verlieren!

lookaround: Ist es richtig, dass bei der Immobilienkrise "virtuelles" (erfundenes) Geld und erfundene Gewinne die Ursache waren? (Man hat Leuten, die die Tilgung nicht erbringen konnten damit gelockt, dass man 120% finanziert hat und die nicht erbrachten Kredite durch neue Darlehen "gedeckt" wurden). Was ist mit den Regressansprüchen verschiedener Regionen bzgl. Abrisskosten etc. passiert? Was ist aus der Kreditkartenblase passiert? Seit über einem Jahr erwartet man, dass diese platzt?

Jochen_Felsenheimer: Mitursächlich für die Subprime-Krise in den USA war sicherlich die sehr lockere Geldpolitik der Fed. Wenn zu viel billiges Geld vorhanden ist, steigt die Gefahr, dass dieses in unproduktive Verwendungen fließt, also beispielsweise Immobilienkredite an Schuldner sehr schlechter Kreditqualität zu mehr als 100%. Wenn die Häuserpreise ständig steigen, ist dieses Geschäft für die Banken kein Problem, da ja die Besicherung des Kredits an Wert gewinnt. Also auch wenn der Schuldner ausfällt, hat die Bank ja die im Wert gestiegene Immobilie. Wenn die Häuserpreise allerdings fallen, funktioniert dieses Geschäft nicht mehr. Das Problem war, dass nicht nur die Anzahl der Ausfälle weit über den Erwartungen gelegen ist, sondern die Verwertungsquote der Immobilien angesichts der stark fallenden Häuserpreise viel geringer war, als in den meisten Stressszenarien angenommen wurde. Zum Teil haben diese Immobilien einen negativen Wert! Da die Fed die Politik des billigen Geldes noch verschärft hat (paradoxerweise als Antwort auf die durch billiges Geld ausgelöste Subprime-Krise), wurde die Kreditkartenblase vorerst am Leben gehalten. Es ist aber nur eine Frage der Zeit bis Blasen platzen. Auch diese wird es tun.

schwarzerkater: Wie weit fällt der Euro ist ja eine sehr relative Frage. Der Maßstab Dollar sagt da ja sogar weniger aus als "Warenkörbe". Was würden Sie als "möglichst unbestechliche" Vergleichsgröße zum Messen der Wertentwicklung des Euro (und damit der Sparguthaben) heranziehen? Gold? Aktien? Ölpreis? Währungen?

Jochen_Felsenheimer: Ja, nimmt man die Kaufkraftparität als fairen Wert einer Währung, wäre ein Euro-USD Wechselkurs von 1,15 gerechtfertigt. Allerdings kann der Wechselkurs zweier schwacher Währungen stark schwanken. Man sollte den Euro gegenüber starken Währungen gesunder Volkswirtschaften (Norwegische Krone) vergleichen. Aktien und Gold sind sicherlich auch inflationiert und deshalb ein schlechter Gradmesser.

apu nahasapeemapetilon: "Die Einführung einer flexiblen Transaktionssteuer zur Verhinderung von Finanzkrisen" war das Thema ihrer Dissertation. Fühlen Sie sich 1) durch die aktuelle Entwicklung and den Finanzmärkten und 2) durch die derzeitige politische Diskussion im Bezug auf Finanztransaktionssteuern in ihren damaligen Ergebnissen bestätigt?

Jochen_Felsenheimer: Ich habe dazu in meinem letzten Newsletter (den Sie auf www.assenagon.com finden) Stellung genommen. Daraus zitiere ich hiermit (deshalb die schnelle Antwort): Wollte man den Begriff Spekulant auf Finanzinstitute eingrenzen, dann sind wohl vor allem solche Spekulanten gemeint, die davon profitieren, dass politisch nicht gewollte Marktpreise entstehen. Deshalb wird in regelmäßigen Abständen die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen propagiert. In dem Zusammenhang sei es mir vergönnt, (hoffentlich) ein letztes Mal auf diese Idee einzugehen. 1. Ja, man kann eine solche Steuer einführen, um gewisse Transaktionen an den Kapitalmärkten effizient zu unterbinden. Hierbei genügt es jedoch nicht, ein¬en festen Steuersatz auf ausgewählte Transaktionen einzuführen, sondern es muss versucht werden, den Zweck der zugrunde liegenden Transaktion zu erfassen. Es erscheint sehr abstrus, die Währungsabsicherung eines Im- oder Exporteurs besteuern zu wollen, wenn man gleichzeitig einen freien und fairen Welthandel fördern will. 2. An Stelle des Marktpreises von Währungen oder auch Staatsanleihenrenditen bestimmter Länder, tritt dann jedoch ein durch Regulierung erzwungener Preis, der quasi von einer Regulierungsbehörde als "optimal" definiert wird. Was immer das auch bedeuten mag. 3. Auch wenn man zu dem Schluss kommen sollte, dass regulatorische Behörden besser als der Markt wissen, wo gewisse Finanzgüter handeln sollten, muss eine solche Steuer global umgesetzt werden. Kapital ist ein scheues Reh. Letztlich handelt es sich hierbei nur um eine weitere Variante der Diskussion bzgl. Regulierung & Staatsversagen oder Deregulierung & Marktversagen. Wir ersparen uns hier einen Kommentar, da die diese Diskussion betreffende Argumente auch an dieser Stelle bereits ausgiebig dargestellt wurden. Wir erlauben uns aber anzumerken, dass in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität der Marktmechanismus selten in Frage gestellt wird, in Krisenzeiten aber umso häufiger. Die Krise gehört nun mal zum normalen Finanzmarktzyklus dazu und man muss sich letztlich entscheiden, da man nicht beides (Deregulierung in guten und Regulierung in schlechten Zeiten) haben kann.

Marcesio80: Hallo Herr Felsenheimer! Die aktuelle Finanzkrise ist u.a. dadurch gekennzeichnet, dass Staaten/Notenbanken die Schulden von schwächelnden Staaten, Banken, Investoren und Verbrauchern übernehmen. Die Kritik, dass Schulden durch Schulden bekämpft werden sollen ist daher naheliegend. Als Alternative dazu sind rigide Sparmaßnahmen in den nationalen Haushalten möglich. Allerdings wird dadurch die Nachfrage und damit das Wachstum massiv geschwächt. Die Haushaltslage wird sich durch die folgende Rezession also noch mehr verschlimmern. Bleibt also nur die Inflation um die Staatshaushalte zu sanieren? Oder sehen Sie eine weitere Alternative?

Jochen_Felsenheimer: Leider haben Sie vollkommen Recht. Wir befinden uns in einer Situation, die keine angenehme Lösung mehr erlaubt. Entweder die Politik des billigen Geldes geht weiter und die nächste Krise - durch Vermögenswertinflation ausgelöst - ist nur eine Frage der Zeit. Oder die Zentralbanken beenden diese fatale Politik und entziehen dem System Liquidität. Auch das wird sehr unangenehm vor allem für den Finanzsektor. Ich bin aber der Meinung, dass man den Weg gehen sollte, weil es langfristig ökonomisch klüger ist.

crazyclown: Wo kommen die Zinsen her, wenn einerseits die Geldsumme Schulden aus Luft erschaffen wird, die Geldsumme Zinsen aber nicht (bzw. auch wieder Kreditbasiert erfunden wird)? Liegt den ganzen Problemen nicht der Systemfehler Zins zugrunde?

Jochen_Felsenheimer: Die jetzige Situation ist durch die ungehinderte Liquiditätsbereitstellung der Zentralbanken bedingt worden. Es kann Liquidität geschaffen werden, der keine realwirtschaftliche Größe zugrundeliegt. Das kann fatale Auswirkungen haben. Aber deshalb den Goldstandard wieder einzuführen, halte ich für die falsche Maßnahme. Der Zins als Steuerungselement hat hier eine ganz zentrale Rolle! Er definiert den Preis für Geld und so kann verhindert werden, dass zu viel Geld im Umlauf ist und die Finanzwirtschaft sich vollkommen von der Realwirtschaft abkoppelt. Dafür benötigt man aber eine unabhängige Zentralbank, die sich diesem Problem bewusst ist. Leider hat die EZB mit ihrer aktuellen Politik (Ankauf Staatsanleihen) nicht gerade in diesem Sinne gehandelt. Das sehe ich als das zentrale Problem.

Moderator: Lieber Herr Felsenheimer, wir stellen einigermaßen beruhigt fest, dass Sie trotz Zweifinger-System fast genauso schnell schreiben wie Sie reden können.

hinnerkbreuer: Wenn man den Euro als supranationale Währung ansieht, was er ja unbestreitbar ist muss man doch die Qualität der Währung eher an der Zentralbank festmachen und nicht an den Mitgliedsländern, richtig? Wenn dem nun so ist - warum geht dann der Euro angeblich (laut Bundesregierung und Bankenlobby) den Bach runter wenn Griechenland pleite geht? Können Sie das erklären?

Jochen_Felsenheimer: Lieber Herr Breuer, der Euro lebt von der Zahlungsmentalität seiner Mitgliedsländer und der Glaubwürdigkeit der Zentralbank. Falls einige Länder, die wenig für stabile Staatshaushalte getan haben, die Eurozone verlassen würden, würde dieser an Wert gewinnen! Zurzeit wird so getan, als müsse man Bailoutpakete stricken um den Euro zu stärken. Leider sieht man ja, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

Pauline Kottenbrink: Ich habe 20.000 Euro und möchte die gerne anlegen. Nach meinem Besuch neulich bei meiner Bank hätte ich heulen können - gibt ja kaum Zinsen. Ihr Tipp?

Jochen_Felsenheimer: Ich werde definitiv keine Werbung für unsere Fonds machen :) Im Ernst: versuchen Sie tunlichst nicht der Herde hinter herzulaufen. Immobilien werden immer als sicheres Investment gesehen, das ändert aber nichts daran, dass Sie vieler Orts schon zu teuer sind (und sie in den meisten Regionen für 20.000 Euro auch keine bekommen). Ich würde Ihnen von Konzepten abraten, die direktionale Risiken eingehen (also bspw. Aktien usw). Es gibt Fondskonzepte, die marktneutrale Strategien verfolgen und diese in vielen Märkten umsetzen. Aber auch wenn Sie ihr Geld niedrig verzinst anlegen, müssen Sie deshalb nicht heulen. Ich glaube nicht an ein Hyperinflationsszenario, sondern sehe reale Risiken einer Deflation. Dann wird Ihr Geld mehr wert! apu nahasapeemapetilon: Nochmal nachgehakt - die Transaktionssteuer ist also a) ein Konstrukt aus Wolkenkuckucksheim und b) würde auch die Finanzkrisen in Wolkenkuckucksheim nicht verlässlich verhindern

Jochen_Felsenheimer: Die Transaktionssteuer ist eine brillante Idee eines Nobelpreisträgers (Tobin), die zudem auch noch sehr elegant ist. Aber Sie kennen sicher den Spruch: Die Wissenschaft ist für die Politik wie die Laterne für den Betrunkenen - er sucht kein Licht, sondern Halt. D.h., die Umsetzbarkeit dieser Idee ist leider sehr unwahrscheinlich.

waidmannstochter: Herr Felsenheimer, die Wut auf die Banker ist groß. Haben Sie irgendwelche Argumente zur Verteidigung?

Jochen_Felsenheimer: Wenig. Ich verstehe, dass der Steuerzahler verärgert ist über Institute, die Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren. Aber man muss natürlich auch anführen, dass dieses Verhalten durch das regulatorische Umfeld gestützt wird (Bailouts, Moral Hazard). Man kann entweder moralische Integrität des Bankers einfordern oder ein Umfeld schaffen, in dem der Banker für seine Geschäfte auch das Risiko übernimmt. Dann würde viel Blödsinn vermieden werden.

euronius: Sehr geehrter Herr Felsenheimer, danke, dass Sie Fragen Live beantworten, echt cool! Also, meine Frage: Die Zentralbanken drucken Geld und wollen - das will das Bankenreglement so - es wieder mit Zinsen zurück. Sprich: Beispielsweise werden 1 Mio. Euro als Kredit ausgegeben und die Zentralbank schreibt in ihr Reglement, dass sie 1,1 Mio. wieder zurückkommen werden. Die Differenz von 100.000 sind "Zinsen". Nun - je mehr Geld die Bank ausgibt, desto mehr wollen sie auch an Zinsen zurück, nur sagt mein mathematisch logischer Verstand, dass so eine Geldpolitik nie funktionieren kann, weil es auf einer Art Perpetuum Mobile - Prinzip aufgebaut ist, nämlich 110% zurück haben zu wollen auf 100% Energieeintrag. Nach dieser Sichtweise ist es doch allzu logisch, dass die Kreditwirtschaft nur eines erzeugen kann, nämlich einen immer größeren Schuldenberg, weil es mathematisch logisch garnicht klappen kann, dass mehr Geld zurückfließt als ausgegeben wurde. Insofern ist die Krise des Kapitalismus eine Krise, die in das System eingebaut ist - und nur Schuldenerlaß kann das System wieder auf Null setzen, alles andere führt nur in eine noch schnellere Schuldenspirale, und die Zentralbank hat mit dieser Maßnahme bewiesen, dass sie diesen Weg wählt, indem sie noch mehr Geld druckt, das wieder als Schulden augegeben werden soll. Stimmen Sie meinen Ausführungen zu? Und: Welche Veränderungen im Geldsystem halten Sie für nötig, um dieser Inflationsspirale Einhalt zu gebieten?

Jochen_Felsenheimer: Ui! Das ist eine sehr gute Frage, die ich auf die Schnelle nur sehr rudimentär beantworten kann. Der Impulserhaltungssatz gilt auch im Finanzsystem. Aber die Geldmengensteuerung muss auf die realwirtschaftliche Entwicklung Rücksicht nehmen und keinen Pseudo-Inflationskennziffern (die Vermögenswertinflation nicht mit einschließen) folgen. Stellen Sie sich vor, die Realwirtschaft wächst im selben Tempo wie die verfügbare Geldmenge. Dann entspricht der Preis des Geldes (Zins) + der Eigenkaptalrendite der Realinvestition dem nominalen Wachstum der Ökonomie (vereinfacht ausgedrückt). Falls die Geldmenge jedoch inflationierende Wirkung hat (v.a. Vermögenswertinflation!!), dann wird man feststellen, dass sich das Wachstum des Finanzmarktes von der Realwirtschaft entkoppelt. Das ist eine Blase, die platzen wird. Meine Forderung: Vermögenswertinflation in das Inflationsziel der Zentralbanken aufzunehmen! Denken Sie bitte an Solow ... langfristig wächst alles mit derselben Rate!

Moderator: Zwischendurch mal wieder zum Entspannen etwas zum Thema Geldanlage

waidmannstochter: Sehr geehrter Herr Felsenheimer, Aktien, Immobilie, Riester, Sparstrumpf? Wie sorgt man denn aus ihrer Sicht am besten (sprich sicher) fürs Alter vor? (wenn man grade anfängt, sich darüber Gedanken zu machen ... also am Anfang des Berufslebens)

Jochen_Felsenheimer: Ich kann Ihnen hierzu nur meine persönliche Meinung mitteilen und ich weiß nicht, ob ich damit der Verantwortung eines jungen Menschen gerecht werde. Ich würde Ihnen raten, die klassischen Produkte (Bausparer, Risikolebensversicherung) zu meiden. Ich glaube auch nur bedingt an den klassischen Risiko-Rendite-Zusammenhang, der dazu führt, dass man jungen Menschen ständig versucht Aktien zu verkaufen. Es gibt gute und schlechte Investments, völlig unabhängig vom Alter! Ich möchte hierzu keine konkrete Empfehlung aussprechen - dazu kenne ich Ihre Lebenssituation nicht. Tun Sie mir nur einen Gefallen: rennen Sie nicht wild irgendwelchen Trends hinterher und schauen Sie sich die Produkte, die Ihnen angeboten werden, genau an. Und: kaufen Sie nichts, was Sie nicht verstehen!

Kalkwerker1: Sehr geehrter Herr Felsenheimer, kurz und schmerzlos: Ist der Euro noch zu retten, und wenn dann wie?

Jochen_Felsenheimer: Den Euro wird's noch lange geben. Ich glaube nur, dass die Mitgliedsländer in einigen Jahren andere sein werden. Das Grundproblem von Währungsunionen ist bekannt: falls sich die Mitgliedsländer ökonomisch zu unterschiedlich entwickeln, verschärfen sich die Probleme, v.a. da diese Länder nur eingeschränkten wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum haben. Eine einheitliche Geldpolitik nimmt ihnen die Möglichkeit geldpolitisch individuell zu agieren. Sie haben auch nicht die Möglichkeit, durch den Außenwert ihrer Währung auf ökonomische Herausforderungen zu reagieren. Und letztlich wird ihnen jetzt auch noch die Finanzpolitik genommen (siehe Griechenland). Das wird langfristig nur gut gehen, wenn es einen homogener Währungsraum gibt. Also müssen sich entweder die wirtschaftlichen Situationen der Mitgliedsländer angleichen oder es müssen einige Mitgliedsländer den Euro verlassen (und neue hinzukommen). Da Ersteres sehr unwahrscheinlich ist, glaube ich an Letzteres.

Teddiy: Für wie hoch halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland in 3 Jahren dann 450 Mrd. Euro (jetziger Schuldenstand + EU-u. IMF-Hilfe) bedienen kann? Und wie hoch halten sie die Wahrscheinlichkeit, dass der deutsche Steuerzahler für den Anteil der Bundesrepublik (22.4 Mrd. Euro) von der KfW in 3 Jahren zur Kasse gebeten wird?

Jochen_Felsenheimer: 0% und 100%

Pauline Kottenbrink: Bundesbank-Chef Weber bringt sich schon mal für die Trichet-Nachfolge bei der Europäischen Zentralbank in Stellung. Ist er der richtige Mann für den Job?

Jochen_Felsenheimer: Sie werden mir verzeihen, ich kenne Herrn Weber nicht persönlich. Aber er war der einzige von Format, der sich ganz klar gegen den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ausgesprochen hat. Das ist definitiv die richtige Position! Auch wenn dadurch seine Chancen schwinden, ich denke, dass der nächste EZB Präsident über jeden Zweifel (bzgl. politischer Einflussnahme) erhaben sein muss. Und da scheint mir Herr Weber eine sehr gute Wahl zu sein. Die anderen Euro-Länder werden das allerdings anders sehen, weil diese von einer laxen Geldpolitik profitieren.

Grobe100: Wann wird Ihres Erachtens die nächste Währungsreform stattfinden? Früher entledigte sich der Staat alle 60 Jahre der Schulden. Die Zeit dafür (siehe Euro-Krise) ist doch reif?

Jochen_Felsenheimer: Da muss ich ganz ehrlich gesagt passen. Wenn ich das wüsste, wäre ich ein reicher Mensch und würde diesen Chat von einer Insel aus führen. Ich sitze aber immer noch in München im Büro.

mr.seume: Hallo! Staatanleihen stecken ja auch in vielen Fonds, also in Altervorsorge. Was passiert, wenn Griechenland pleite geht? Und wenn der Wert ins Bodenlose fällt: Ist dann die Altersvorosrge in Gefahr?

Jochen_Felsenheimer: Das ist ja das Dilemma. Die Hauptabnehmer von Staatsanleihen sind regulatorisch bedingt auch Versicherungen und Pensionsfonds. Das ist die politische Komponente in dieser Krise, die dazu führt, dass ökonomisch völlig unsinnige Entscheidungen getroffen werden würden. Wenn die EZB keine Griechenlandanleihen aufkaufen würde, wäre deren Kurs sicher 20% unter den jetzigen Niveaus (sie können das übrigens sehr gut am Credit Default Swap Markt ablesen). D.h. allein im deutschen Finanzsystem würden 10 Mrd. an Verlust auftreten (was übrigens immer noch passieren kann). In Japan wurden nach dem Platzen der Immobilienblase Anfang der 90er Jahre v.a. auch Rentenansprüche in Mitleidenschaft gezogen. Das kann also wirklich passieren, allerdings fällt ihre Altersvorsorge ja nur ins Bodenlose, falls alle darin enthaltenen Wertpapiere wertlos werden. Und das ist schon sehr unwahrscheinlich. Also keine Panik, sondern überlegt investieren.

WachsamesAuge: Hallo Herr Felsenheimer, Jeder spricht nur von der Immobilienblase in USA, dabei habe waehrend meiner 5 Jahre in UK eine noch groessere Blase erlebt. Die Englaender haben gewissermassen mitten in Europa eine riesige Blase die explodieren koennte, warum liest man weder davon, noch vor dem drohenden credit crunch weltweit? Besten Dank :-)

Jochen_Felsenheimer: Ich bin ihrer Meinung was das Geschäftsmodell Großbritanniens anbelangt: es ist sehr wacklig und hängt stark von einzelnen Industrien ab. Die Häuserpreise sind nach wie vor überteuert und nur durch anhaltendes Wachstum zu rechtfertigen. Viele Assetklassen (z.B. Verbriefungen von UK Immobilien) preisen dies aber bereits ein. Im Vergleich zu dem amerikanischen Immobilienmarkt ist UK relativ überschaubar. Also die Sogwelle wäre geringer. Das gilt auch für Spanien, wo ein sehr ähnliches Problem besteht. Aber diese Risiken rücken durch die Eurokrise in den Hintergrund. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese wieder hochpoppen.

nimoth: Hallo Herr Felsenheimer, glauben Sie ganz persönlich, dass der Euro bis Ende des Jahres wieder steigen wird? Oder wann glauben Sie wird dieser Zeitpunkt eintreffen? Was muss dazu (grob) gegeben sein? Vielen Dank im Voraus. Martin Görg

Jochen_Felsenheimer: Hängt immer davon ab gegenüber welcher Währung man den Euro betrachtet. Ich denke, der Euro ist auch nicht schwächer als der USD, es ist also ein reines Glücksspiel wenn man auf den Euro-USD Wechselkurs setzt. Ich denke der Euro wird weiter fallen gegenüber Währungen vernünftig wirtschaftender Ökonomien, also ggüb. bspw. der norwegischen Krone.

Moderator: Wir haben noch sehr viele offene Fragen. Da wir den Chat auf rund eine Stunde begrenzen wollen, kommt hier die letzte Frage

Marcesio80: Hallo Herr Felsenheimer. Wie kann die starke Abhängigkeit der Finanzmärkte aber auch der Notenbanken von den Bonitätsurteilen internationaler Ratingagenturen verringert werden? Oder ist das gar nicht nötig?

Jochen_Felsenheimer: Also ich bin wahrlich kein Fan von Ratingagenturen. Aber die jetzigen Vorwürfe sind abstrus. Man hat den Ratingagenturen den Vorwurf gemacht, bei der Subprime-Krise zu spät reagiert zu haben, jetzt macht man ihnen den Vorwurf voreilig herabzustufen (Griechenland). Man sollte Ratingagenturen als das verstehen was sie sind. Ein vom Emittenten bezahlte Agentur, die unter asymmetrischer Informationsverteilung Noten vergibt. Die Abiturnote eines schlechten Schülers wird im Internat auch immer besser sein als bei einem städtischen Gymnasium. Die entscheidende Frage ist doch warum der Regulator diese so extrem bedeutungsvoll macht, indem er Investments durch Ratings definiert! Ratingagenturen liefern Hinweise, sind aber nie die letzte Instanz. Wir beispielsweise ignorieren diese weitgehend bei unseren Investitionsentscheidungen! Danke für die rege Teilnahme, ich werde nun erst mal meine Finger in kühles Wasser legen. Sie können jederzeit unsere Publikationen auf unserer Homepage finden, vielleicht werden dort auch zusätzliche Fragen beantwortet.

Moderator: Herr Felsenheimer, vielen Dank für die Zeit. Der Chat wird später als Artikel auf unserer Seite veröffentlicht. Zum Schluss wollen wir noch einen Leser zur Wort kommen lassen, auch, weil er Herrn Felsenheimer und uns lobt.

WachsamesAuge: Lieber Herr Felsenheimer, auf diesem Wege moechte ich mich sehr fuer Ihre Zeit und die vielen guten Antworten bedanken. Ein Dank auch an den Moderator. Es hat spass gemacht mitzulesen!!! Many Thanks :-))

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