Finanz-Syntax:Jede Menge Viechereien

Bei den Banken spielen sonderbare Begriffe wie "Tier 1" und "Kerntier" plötzlich eine zentrale Rolle. Dabei geht es nicht um die Natur - sondern um Kapital.

Harald Freiberger, Frankfurt

Der Trend geht zur Vorabmeldung: Sowohl Deutsche als auch Commerzbank gaben zuletzt kurz vor den eigentlichen Quartalszahlen einige Kennziffern bekannt. Immer fiel dabei ein ominöses Wort, das man eher bei Biologen vermutet hätte als in der Finanzbranche: Tier 1. Gelegentlich hört man auch von Tier 2, seltener von Tier 3 und ganz besonders oft von Core Tier 1. Man wird künftig noch mehr davon hören.

Wildschwein, Foto: dpa

In der Banken-Syntax hat der Begriff "Tier" wenig mit Biologie zu tun. Schwein hat dagegen das Institut, das möglichst viel Tier 1 hat, also hartes Kapital.

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Der Tag, an dem die Karriere des Begriffs begann, lässt sich genau terminieren: Es war der 24.September, als die G-20-Staaten auf ihrem Gipfel in Pittsburgh ankündigten, dass sie Banken weltweit künftig schärfer regulieren. Vor allem wollen sie ihnen vorschreiben, ihre Kapitaldecke zu stärken, damit sie künftige Krisen selbst besser bewältigen können und nicht so schnell auf die Hilfe des Staates angewiesen sind.

Verschiedene "Tiers"

Dazu sind zwei Dinge nötig: Zum einen brauchen die Banken mehr Eigenkapital, zum anderen brauchen sie härteres Eigenkapital. Seitdem wird darüber diskutiert, wie und wann sich diese Vorschriften umsetzen lassen. Und damit ist man bei den verschiedenen Tiers, wie der Plural lautet.

Dieses Tier kommt nämlich aus dem Englischen und bedeutet übersetzt "Rang". Es bezeichnet die verschiedenen Abstufungen von Eigenkapital in der Bilanz einer Bank. "Die Begriffe spielen schon seit den 80er Jahren eine wichtige Rolle bei der aufsichtsrechtlichen Steuerung von Banken", sagt der Bankenbilanzexperte Thomas Padberg aus Paderborn. Mit den Beschlüssen von Pittsburgh werden sie zum Gegenstand der politischen Diskussion.

Es ist nämlich so, dass die Banken in den vergangenen Jahren weltweit dazu übergegangen sind, mehr und mehr weiches Eigenkapital anzusammeln. "Die Politiker wollen nun hartes und weiches Eigenkapital streng voneinander trennen, weil sie sagen, dass es nur auf das Kapital ankommt, das im Krisenfall voll eingesetzt werden kann, um Verluste aufzufangen", sagt Konrad Becker, Bankenanalyst bei Merck, Finck & Co.

"Unzählige Formen von Hybridkapital"

Je höher die Nummer des Tier, umso weicher das Kapital. Tier 3 ist die weichste Form von Eigenkapital, weil die Bank es im Falle einer Krise nur sehr begrenzt einsetzen kann, um Verluste zu decken. Dazu zählen zum Beispiel Anleihen mit Laufzeiten zwischen zwei und fünf Jahren. In Tier 2 wird das Kapital schon härter, zu ihm gehören etwa unrealisierte Gewinne aus Wertpapieren. Tier 1, dessen Quote Deutsche und Commerzbank bekanntgaben, ist die derzeit bilanzrechtlich härteste Form von Eigenkapital, sie wird deshalb auch Kernkapital genannt.

Das Kernkapital ist das Geld, das die Eigentümer der Bank zur Verfügung gestellt haben, bei Aktiengesellschaften in Form der ausgegebenen Aktien. Hinzu kommen Rücklagen aus früheren Gewinnen. Zu Tier 1 zählen aber auch stille Einlagen und Hybridanleihen. Diese heißen Hybrid, weil es sich um eine Mischform aus Eigen- und Fremdkapital handelt. "Es gibt unzählige Formen von Hybridkapital", sagt Analyst Becker, "entscheidend für die Einordnung als Fremd- oder Eigenkapital ist, ob und in welchem Umfang es zum Ausgleich eines Verlustes herangezogen werden kann und ob und in welchem Umfang die Zinszahlung an die Gewinnsituation des Unternehmens gekoppelt ist."

Weitere wichtige Kriterien sind die Laufzeit, mögliche vorzeitige Kündigungsrechte, ein möglicher Anspruch an dem Liquidationserlös und ob mit dem Hybridkapital Einfluss auf die Unternehmensleitung begründet wird. Je eher Hybridkapital zum Ausgleich von Verlusten herangezogen wird, je mehr die Zinszahlung an den Unternehmensgewinn gekoppelt ist, je länger die Laufzeit ist, desto eher wird es zum Eigenkapital gerechnet - und umgekehrt.

Wie wichtig ist das Tier?

Für die Regulierer steht fest, dass der Tier-1-Standard künftig nicht mehr reichen soll. Deshalb rückt nun das so genannte Core Tier 1 in den Blickpunkt. Das ist Kernkapital ohne stille Einlagen und Hybridkapital, also ohne weiches Eigenkapital. Man könnte es auch Kern-Kernkapital nennen, denn "core" ist nichts anders als der Kern.

Die entscheidende Messgröße für alle Formen von Eigenkapital ist die jeweilige Quote, also das Eigenkapital bezogen auf die ausgegebenen Kredite, die ausfallen können (Fachausdruck: Risikoaktiva). Denn dieses Geld muss im Ernstfall ersetzt werden. Beispiel Deutsche Bank: Ihre Tier-1-Quote beträgt derzeit 11,7 Prozent, das heißt, sie könnte mit ihrem Kernkapital rund ein Neuntel ihrer Risikokredite auffangen. Beim Core Tier 1, also dem Kernkapital ohne Hybridkapital, käme die Deutsche Bank derzeit auf eine Quote von 8,4 Prozent, rechnete die DZ Bank aus. Das liegt knapp über jenen acht Prozent, von denen zurzeit immer wieder die Rede ist.

Postbank: Hohe stille Einlagen

Wie es aussieht, sollen die acht Prozent für das Core Tier 1 zum weltweiten Standard werden. "Der Wert ist nicht wirklich begründet", sagt Padberg, er sei abgeleitet aus einer anderen Kennzahl, dem "Mindest-Solvabilitätskoeffizienten" von acht Prozent (Tier 1 bis 3, bezogen auf die Risikoaktiva). Der Wert sei aber nicht daraufhin untersucht worden, ob sich damit eine Bankenkrise verhindern lasse. Noch kennt man im Aufsichtsrecht nur die Grenze von vier Prozent, die sich aber auf das Kernkapital bezieht, also auf Eigenkapital inklusive hybrider Formen. Fällt eine Bank unter diese vier Prozent, ist die Aufsicht verpflichtet, das Institut zu schließen. Die Vorschrift kommt aus den weltweit geltenden Bankenstandards von Basel I und II.

Bisher dachte man, dass die vier Prozent reichen. Doch die Finanzkrise zeigte, dass in den Bilanzen viel größere Risiken schlummern können. Wenn die Quote künftig von vier auf acht Prozent steigen soll, bedeutet das zunächst eine Verdoppelung des nötigen Eigenkapitals, das Banken vorhalten müssen. Und da das Hybridkapital herausgerechnet wird, ist es für viele Banken sogar mehr als eine Verdoppelung der Anforderungen. Das heißt auch, dass sich die Rentabilität des Eigenkapitals automatisch mindestens halbiert.

Gerade deutsche Banken trifft es besonders, weil sie überdurchschnittlich stark mit stillen Einlagen finanziert sind, die ihnen ihre Eigentümer gegeben haben. Die Postbank zum Beispiel verfügt über hohe stille Einlagen, auch eine Reihe von Sparkassen, denen Kommunen Kapital zur Verfügung gestellt haben. Bei der Commerzbank ist der Bund mit 18,2 Milliarden Euro eingestiegen, auch dabei handelt es sich um stille Einlagen.

Warnung vor hohen Eigenkapital-Forderungen

Wenn all dies aufsichtsrechtlich nicht mehr als Eigenkapital anerkannt würde, bekämen die Institute große Probleme. Padberg glaubt deshalb, dass die Acht-Prozent-Grenze nur für international tätige Banken gelten wird und dass auch harte Formen von Hybridkapital, etwa die stillen Einlagen des Staates, weiter zum maßgeblichen Kapital gerechnet werden dürfen. Ansonsten müssten viele Banken ihr Kapital deutlich erhöhen, was zurzeit schwierig ist.

Bundesbank-Präsident Axel Weber warnte am Dienstag davor, die höheren Eigenkapital-Anforderungen zu schnell einzuführen, weil dies die Banken unter Druck setze. Ohnehin ist unter Fachleuten umstritten, ob sich allein damit Finanzkrisen vermeiden lassen. Mancher kritisiert, dass sich die Diskussion derzeit zu sehr auf das Eigenkapital konzentriert. So hält es Bilanzexperte Padberg für nötig, regulatorische Arbitragegeschäfte zu verhindern, also das Ausweichen auf Geschäfte, die nicht oder nur unzureichend überwacht werden, etwa Zweckgesellschaften. Auch müsse viel stärker die Rentabilität einer Bank in die Aufsicht einbezogen werden, da vor allem schwache Banken in einer Krise zusammenbrechen würden.

Andere Experten mahnen an, stärker auf die Risiken zu achten, die eine Bank eingeht. Egal ob Tier 1 oder Core Tier 1 - "auch mit einer höheren Eigenkapitalquote wäre die Lehman-Pleite nicht verhindert worden", sagt der Bochumer Finanzprofessor Stephan Paul. Er plädiert deshalb dafür, das Tier nicht zu wichtig zu nehmen.

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