Finanz-Drama einer Familie:Der Ehemann, die Banken und das Geld

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Sie hat ihm vertraut. Doch dann entdeckte sie zu spät, dass ihre Immobilien mit Hypotheken belastet waren. Nun steht eine Mutter von acht Kindern vor dem Ruin.

Uwe Ritzer

Es sind nur 14 Stufen, eine enge, steile Holztreppe hinab ins Souterrain. Für Martina Simon (Name geändert) führt sie in einen Albtraum. Sie habe das Arbeitszimmer schon länger nicht mehr betreten, sagt sie. Sogar zugesperrt hat sie es. Nicht aus Angst vor Einbrechern. Am liebsten würde Martina Simon, 53, den Schlüssel hinter ihrer Ehe abziehen. Auch die Banken möchte sie aus ihrem Leben aussperren, durch deren Mithilfe sich die schlanke, blonde Ärztin um ihr Millionenvermögen gebracht und in Schulden gestürzt sieht. "Verbrannte Erde", sagt die Frau und deutet auf Dutzende Ordner, Schnellhefter und Aktenstapel in Regalen, Schränken und Kartons des verstaubten Büros.

Das Dokument eines Dramas: Die Gerichte haben die Zwangsversteigerung von zwei Immobilien angeordnet, die der allein erziehenden Mutter von acht Kindern gehören. Viel Hoffnung, dies doch noch abwehren zu können, macht sich die Noch-Eigentümerin nicht mehr. (Foto: Foto: oh)

Es sind Unterlagen ihres Ehemannes. Konzepte für Großprojekte, nicht selten getrieben vom Impetus, die Wissenschaft und die Menschheit damit voranzubringen. Für Martina Simon sind es Dokumente des Ruins ihrer Familie. Und des in ihren Augen zweifelhaften Geschäftsgebarens gewöhnlicher Banken.

Wie hingemalt schmiegt sich das weiße Haus an den Hang am Rande eines Dorfes in der westlichen Schweiz. Am Balkon wachsen Weintrauben, auf der Wiese nebenan grasen Schafe. Das Idyll steht in Gegensatz zu diesem verworrenen Fall, der die Justiz in Deutschland und der Schweiz beschäftigt, und weit mehr ist als ein bizarrer Rosenkrieg reicher Eheleute. Neben menschlichen Verwerfungen geht es um womöglich gefälschte Unterschriften unter Kreditverträge und andere Dokumente.

Der Vorwurf steht im Raum, dass Banken leichtfertig Darlehen in Millionenhöhe gewährten, ohne die Kreditnehmer sorgfältig zu prüfen - und sich nun, da es schief ging, an Familienangehörigen schadlos halten. In diesem Fall an einer alleinerziehenden Mutter mit acht Kindern.

Verhängnisvolle Vollmacht

Wenn die Landgerichte MünchenI und II zwei Klagen ihres Rechtsanwaltes Eberhard Gloning nicht noch stattgeben, werden in den nächsten Tagen die letzten Immobilien aus dem Eigentum von Martina Simon zwangsversteigert: Ein Haus im Münchner Nobel-Vorort Grünwald, und eines unweit von Bad Tölz. Dort lebte die Familie Simon bis zu ihrem Umzug in die Schweiz vor zwei Jahren. Bis heute firmiert unter der Adresse die Firma von Ehemann Klaus Simon (Name geändert), obwohl sie längst jede Tätigkeit eingestellt hat. Ein kleines, hochspezialisiertes EDV-Unternehmen. Simon, 55, gilt als Top-Experte, der an Hochschulen und bei Tagungen referiert.

Seit 1990 ist Klaus Simon mit Martina verheiratet. Sie bekommen sechs Kinder. Als sie sich entschließen, noch zwei Kinder aus Guatemala zu adoptieren, gehen sie am 26. August 1998 zu einem Notar in Bad Tölz. Dort erteilen sie sich eine gegenseitige Generalvollmacht. Das Dokument soll Martina Simon als Sicherheit dienen, falls ihrem Mann beim Abholen der Kinder im unsicheren Guatemala etwas passiert. Jeder sei berechtigt, den anderen "in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten zu vertreten", steht in der Generalvollmacht. Elf Jahre später wird genau dieses Papier Martina Simon zum Verhängnis.

Ihr Vater hatte ihr zur Hochzeit drei Wohnungen und ein Haus geschenkt. Sie wurden ausschließlich auf Martina in die Grundbücher eingetragen. Ihr Ehemann übernahm die Verwaltung. In seiner Firma beschäftigt er in guten Zeiten mehrere Angestellte. Spätestens 2005 spitzt sich jedoch die Lage zu. Ein Gutachter zeichnet im Dezember 2005 ein düsteres Bild. Die Firma werde im laufenden Jahr knapp 120.000 Euro Verlust einfahren und spätestens im Februar 2006 die Konten mit 1,2 Millionen Euro überzogen haben, warnt er. "Ich habe davon nichts gewusst", sagt Martina Simon. "Mein Mann hat immer von Riesenaufträgen geschwärmt und von Unsummen, die er damit verdiene und an öffentlichen Fördermitteln kassiert." Sie glaubt ihm.

Erst im Sommer 2008 sei sie stutzig geworden, sagt Martina Simon. Sie will mit ihrer Kontokarte ein paar hundert Euro aus dem Automaten ziehen, aber der spuckt kein Geld aus. Zur Rede gestellt, habe ihr Mann abgewiegelt, sagt sie. Es handle sich um ein Versehen, da sei irgendetwas nicht korrekt gebucht worden. Er drückt ihr Bargeld in die Hand.

Martina Simon gibt sich zunächst mit der Erklärung zufrieden. "Aber irgendwie befiel mich merkwürdiges Misstrauen", sagt sie rückblickend. Nach all den Jahren, in denen sie ihrem in Geldangelegenheiten scheinbar so versierten Mann blind vertraut hat, so, wie Millionen andere Ehefrauen auch. "Ich habe seine Anwältin angerufen", sagt Simon und lässt den Blick über ihr Schweizer Gartenidyll schweifen, ehe sie von dem Schock erzählt, den der Anruf auslöste. Sie erfuhr, dass ihre auf 3,2 Millionen Euro taxierten Immobilien bereits kurz vor der Zwangsversteigerung stehen.

Die Wohnungen und das Haus in Grünwald waren längst als Sicherheiten für Kredite an die Kreissparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen verpfändet. Auf dem Wohnhaus der Familie bei Bad Tölz hatte die NordLB den Daumen. Die Immobilien sicherten Darlehen ab, die zum größten Teil an die Firma ihres Mannes geflossen waren. Sie habe davon nichts gewusst, sagt Martina Simon, und sie hätte auch nie zugestimmt. Kein einziges Mal habe ein Bankmitarbeiter sich bei ihr vergewissert, ob sie mit allem einverstanden wäre. Sie habe auch nie eine der beiden Banken in diesem Zusammenhang betreten, wie beide Institute nun behaupten.

Vor allem aber, sagt Martina Simon, habe sie nie ihre Unterschrift unter die entsprechenden Kreditverträge gesetzt, geschweige denn unter Zweckerklärungen, mit denen ihre Immobilien im Grundbuch belastet wurden. Dennoch stehen Unterschriften von ihr auf solchen Dokumenten, meist ist es nur der Nachname. Allerdings weicht das Schriftbild von den üblichen Signets der Ärztin erkennbar ab. "Meine Unterschriften wurden gefälscht", sagt sie.

Sogar der Anwalt der Tölzer Kreissparkasse mochte dies nicht ganz von der Hand weisen. Es gebe tatsächlich Abweichungen, räumte er in Briefen ein. Nur die seien allein kein Beweis, dass nicht doch Frau Simon unterzeichnet habe. Eine Zweckerklärung vom 30. Mai 2005 stamme wohl tatsächlich nicht von ihr, notiert der Sparkassen-Anwalt, "sondern von ihrem Ehemann als Vertreter." Nur der komme dafür in Betracht.

Versteigertes Eigenheim

Obwohl also Zweifel bestehen, ob immer alles mit rechten Dingen zuging, treibt die Sparkasse die Zwangsversteigerungen energisch voran. Zwei Wohnungen in München kommen im Dezember 2008 und Februar 2009 unter den Hammer. Die Banken wollen sich zu der Angelegenheit nicht äußern. Sowohl die Tölzer Kreissparkasse, als auch die NordLB verweisen auf das Bankgeheimnis. Fragen der SZ könnten sie daher nicht beantworten, teilen ihre Sprecher mit.

In den nächsten Tagen soll nun auch das mit 400.000 Euro belastete Haus in Grünwald zwangversteigert werden. Ein Gutachter hat den Wert auf 650.000 Euro beziffert. Martina Simons Anwalt Eberhard Gloning wirft der Sparkasse "sittenwidrige Übersicherung" vor: Sie habe einen 500.000-Euro-Kredit mit Immobilien im doppelten Wert abgesichert. Auch hierzu will die Sparkasse sich nicht äußern.

Die NordLB will zudem in Kürze das ehemalige Wohnhaus der Familie bei Bad Tölz versteigern lassen. Dahinter steckt ein nicht zurückgezahlter Kredit, der scheinbar von beiden Ehepartnern aufgenommen wurde, von dem Martina Simon aber sagt, ihre Unterschrift sei auch hier gefälscht worden. Die NordLB teilte mit, auch hierzu könne sie wegen des Bankgeheimnisses nichts sagen.

Während seine Frau den Kampf mit den Banken aufnimmt, geht Klaus Simon auf Tauchstation. Im Oktober 2008 hat er das Familiendomizil in der Westschweiz verlassen, wo die Familie einst gelandet war, weil Simon auch in der Schweiz eine Firma hat. Inzwischen beschäftigen die erbitterten Auseinandersetzungen der Eheleute die eidgenössischen Familienbehörden und -gerichte.

Klaus Simon lebt heute unweit des Bodensees im entgegengesetzten Teil des Landes, in einer kleinen Mansardenwohnung seiner neuen Freundin. Vom Glanz des rhetorisch gewandten, international aktiven Spezialisten und Unternehmers ist kaum etwas übrig. Er lebe von etwa 500 Euro "Grundnotbedarf", teilt er mit, eine Art Schweizer Hartz-IV. Seiner Frau widerspricht Klaus Simon in vielen Punkten. Sie habe in allen finanziellen Angelegenheiten Bescheid gewusst, sagt er. "Ich habe sie immer informiert, und wenn trotz mehrfacher Nachfragen kein Widerspruch kam, habe ich das als Zustimmung interpretiert."

Manche Kreditverträge habe sie auch eigenhändig unterschrieben. Nur manche? Auf die Frage, ob er bisweilen den Namen seiner Frau unter Dokumente gesetzt habe, weicht Klaus Simon aus. "Teilweise ja", antwortet er. "Ich habe für meine Frau mit unterschrieben". Aber nur auf Basis der Generalvollmacht von 1998 und immer mit Wissen und Billigung der Banken. Ob er "im Auftrag" seiner Frau unterzeichnet hat oder deren Namen einfach unter die Verträge setzte, lässt Simon auch auf Nachfragen offen.

Die Gläubigerbanken verschonen ihn. Weder die NordLB, noch die Tölzer Kreissparkasse versuchten bislang, den Unternehmer für seine missglückten Geschäfte zur Verantwortung zu ziehen. Er habe seit dem Umzug in die Schweiz von beiden nichts mehr gehört, sagt er. Die Banken halten sich lieber an seine Ehefrau. Die schiebt nun Nachtdienste in einer Klinik, um sich und die acht Kinder im Alter von sieben bis 18 Jahren durchzubringen. Ihr Mann zahlt keinen Unterhalt; den strecken die Behörden vor. Der Kredit für das Haus am Hang, das 1,3 Millionen Schweizer Franken gekostet hat, hängt allein an ihr.

Um es abzusichern für den Fall, dass seine Schweizer Firma Schiffbruch erleidet, wurde im Grundbuch nur Martina Simon als Eigentümerin eingetragen. Ein übliches Verfahren in vielen Unternehmerfamilien. Doch durch die anstehende Zwangsversteigerung des Hauses bei Bad Tölz ist der Plan geplatzt, mit dem Erlös aus einem Verkauf das Domizil in der Schweiz zu bezahlen. Nun droht auch dort die Zwangsversteigerung. "Wo soll ich dann mit den acht Kindern hin?", fragt die Ärztin.

Wo sind die Papiere?

Hektisch versucht sie seit Monaten, die Katastrophe abzuwenden - und verheddert sich in juristischen Fallstricken. Sie schreibt Strafanträge, Klagen und Beschwerden an die Justiz. Gegen ihren Ehemann, die Kreditsachbearbeiter der Banken, auch gegen Staatsanwälte und Richter, die ihre Eingaben zurückweisen. Sie wendet sich an Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte. Manches klingt wirr und zeugt von Rat- und Hilflosigkeit. Einen geeigneten Anwalt, den sie bezahlen kann, hat sie lange vergeblich gesucht.

Ihre bisherigen Eingaben scheiterten häufig daran, dass sie den Verdacht auf Betrug und Manipulation mangels Originalunterlagen und Zeugen nicht ausreichend untermauern kann. Ihr Mann habe die Papiere, vermutet sie. Der widerspricht, er habe gar nichts mehr. Vielleicht sei das Material vernichtet worden, von wem auch immer. Oder es liege in besagtem Arbeitszimmer. Martina Simon sagt, sie habe das Büro im Souterrain vergeblich durchforstet.

So ist auch das wichtigste aller Dokumente verschollen, das ihr helfen könnte: eine handschriftliche Notiz, mit der sie schon vor Jahren die verhängnisvolle Generalvollmacht von 1998 zumindest in Teilen widerrufen hat. Das Dokument könnte beweisen, dass ihre Privatimmobilien zur Kreditsicherung nicht hätten herangezogen werden dürfen. Selbst Noch-Ehemann Klaus bestätigt die Notiz. Sie sei, schreibt er in einer Eidesstattlichen Erklärung, "der Sparkasse Bad-Tölz-Wolfratshausen, sowie der NordLB bereits beim jeweils ersten Kreditabschluss zugunsten meiner Firma im Original" vorgelegen. Doch auch davon wollen die Banken bislang nichts hören.

Viel Hoffnung auf eine Wende zum Guten hegt Simon nicht mehr. Auf dem Weg hinaus aus dem miefigen Arbeitszimmer erzählt sie, wie sie in ihrer Familienstreitsache neulich bei einem Schweizer Richter vorgesprochen habe. "Es tut mir leid für sie", habe der zu ihr gesagt. "Aber den letzten beißen nun mal die Hunde."

© SZ vom 08.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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