Süddeutsche Zeitung

Fertighäuser aus Pappe:Der Papier-Überflieger

Revolution aus Pappe: Wie der Unternehmer Gerd Niemöller mit seinen patentierten Fertighäusern weltweit Probleme lösen will.

Marten Rolff

Papier hatte in der Baubranche bislang eher etwas Beleidigendes. Ist ein Gebäude statisch fragwürdig, dann warnen Experten gern, dass es einstürzen könnte wie ein Kartenhaus. Und wer sich über hellhörige Wände ärgert, klagt schnell, sie seien papierdünn. Doch wenn Gerd Niemöller Recht hat, gehören solche Vergleiche bald der Vergangenheit an.

Denn in der Welt, die der Bauingenieur in einem schmucklosen Backsteinkomplex im Kieler Vorort Altenholz für die Menschheit plant, ist alles aus Papier - vom Auto bis zum Wolkenkratzer.

Peter Niemöller ist ein großer Mann mit festem Händedruck, der Termine in Jeans und himmelblauem Sommerhemd absolviert und die Treppe zu seinem Besprechungszimmer fast im Laufschritt nimmt. Unter dem Arm trägt der 58-Jährige ein Bauteil. Ein leichtes Paneel aus Presspapier, das er zur Demonstration auf den Boden des Büros legt, wobei er die eine Seite auf einen Ziegelstein lehnt - wie eine schiefe Ebene. "Draufspringen!", befiehlt er. Und: "Fester, nur Mut!"

Durchhaltevermögen ist gefragt

Niemöller hat auffallend gute Laune, was auch daran liegen mag, dass am Vortag die Belastungstests abgeschlossen wurden. Die Ergebnisse, so erzählt er, hätten alle Erwartungen übertroffen. "Raten Sie, was ein Quadratmeter dieses Papierpaneels aushält", fordert er.

Nur um die Auflösung selbst herauszuschmettern: Mehr als 440 Tonnen! Natürlich sei es auch feuerfest, Brandschutzklasse B1 - Kategorie schwer entflammbar. Und resistent gegen Wind, Regen und Erdbeben. "Dieses Bauteil", so schließt Niemöller seine kleine Demonstration über das Durchhaltevermögen von Papier ab, "können Sie in kochendes Wasser legen, und es passiert - nichts."

Ihre Stabilität verdankt Niemöllers Pappe einem Herstellungsverfahren, das der Bauingenieur sich gerade patentieren ließ. Dabei wird in Kunstharz getränkte Zellulose unter extrem hohem Druck und einer Temperatur von 160 Grad Celsius zu besonders belastungsfähigen Paneelen gepresst. Die Bauteile erinnern entfernt an Pappkarton, weil sie aus einem Netz aus 0,4 Millimeter dünnen Waben mit zwei Deckplatten bestehen.

Zusammengesteckt wie Lego

Die Paneele werden einfach zum Haus zusammengesteckt, "wie Lego", erklärt der 58-Jährige. "Morgens unterschreiben Sie, und mittags ziehen Sie ein." Diese Schnelligkeit allein, so muss auch Niemöller zugeben, ist aber in der Fertigbaubranche nichts Besonderes.

Ernsthafte Aufmerksamkeit erregte der Bauingenieur erst durch eine andere Ankündigung: Mit dem neuen Material, so ist er überzeugt, lassen sich unzählige Probleme der Dritten Welt lösen.

Als Beleg für seine Prognose hat Niemöller sich ein papiergewordenes Argument in den Vorgarten stellen lassen. Von seinem Bürofenster aus blickt man auf einen Modellbungalow, den Siedlungs-Experten der Bauhaus-Universität Weimar entworfen haben. Zugeschnitten auf den Alltag einer zehnköpfigen afrikanischen Familie: Küche, zwei Schlafzimmer, Dusche und Schlachtplatz für Haustiere. Ein 34 Quadratmeter großer Wohncontainer aus kunstharzbeschichtetem Papier.

Kosten: Unter 4000 Euro, Schaumbetonfundament inklusive - halb so teuer wie ein Ziegelhaus. Angenommene Lebensdauer: 50 Jahre. Recycelfähigkeit: 100 Prozent.

Wie resistent das Material tatsächlich ist, wird sich zeigen. Fest steht jedoch: Der Bungalow war für Niemöller ein Durchbruch. Plötzlich lud man ihn in Talkshows ein. Und die Vereinten Nationen gaben einen Bericht über das Presspapier in Auftrag. In Simbabwe und Südafrika plant man erste Papp-Siedlungen, die nigerianische Polizei hat 2400 Wohnungen bestellt.

Papier-Tanker für den Oligarchen

Auch Raumfahrtexperten interessieren sich bereits für das neue Material, und aus Sibirien fragte man an, ob die Paneele Extremkälte von 60 Grad unter Null aushalten. Niemöller konnte vermelden, dass die Isolierfähigkeit eines vier Zentimeter starken Paneels der einer 40 Zentimeter dicken Styroporschaumplatte entspreche.

Zuletzt flog ein russischer Oligarch in Altenholz ein - um sich zu erkundigen, ob man dort hundert ultraleichte Mini-Tanker für den sibirischen Fluss Ob bauen könnte - alle aus Papier.

"Man überrennt uns", sagt Niemöller, der mit einem solchen Ansturm nie gerechnet hätte. Nur vier Jahre ist es her, dass der Ingenieur im Auftrag einer Rostocker Firma die Technik schwimmfähiger Häuser verbessern sollte. Niemöller hielt den Polystyrol-Schaum, mit dem die Häuser gebaut wurden, insgesamt für ungeeignet. Man trennte sich im Streit, und der Ingenieur dachte über Alternativen nach.

Für seinen Papierplan gründete er schließlich in der Schweiz das Unternehmen "The Wall AG". Wobei die Idee, mit hochwertigen Waben zu bauen, nicht neu sei, sagt Niemöller. Nur gebe es das Material bisher nicht zum konkurrenzfähigen Preis.

Alles hängt nun davon ab, dass Harry Klein die erste Maschine fertigstellt, mit der die Paneele in Serienproduktion gehen. Harry Klein trägt Blaumann und steht auf einem Teppich aus Metallspänen in der Fertigungshalle neben Niemöllers Büro. Seine Finger gleiten über einen Stahlzylinder - "arschglatt, da rutscht eine Fliege drauf aus", sagt Klein zufrieden. Niemöller hat sich den 76-jährigen Maschinenbauer als Partner geholt. Nur mit ihm wollte der Ingenieur zusammenarbeiten, und nur weil Klein das Meer vor der Tür brauchte, ist die Produktion in Kiel. Klein hat seine frühere Firma verlassen, weil " die meine Ideen klauen wollten".

Nun baut er die streng geheimen Wunderpressen für Niemöller. Später sollen Pressen in die Länder geschickt werden, aus denen die Bestellungen kommen. Um vor Ort und auf dem Platz von zwei Garagen zu produzieren. Aus Material, von dem ein einziger Kubikmeter Wohnraum für 30 Leute schaffen soll. Im Juli will Klein fertig sein.

Mitarbeiterzahl soll verdreifacht werden

Der Zeitplan ist wichtig, denn Niemöller hat große Pläne. In zwei Jahren schon will er Hochhäuser aus Presspapier bauen. Zudem feilt er an einem weltweiten Konzept für umweltverträgliches Siedeln. Man müsse dabei "allein in Kreisläufen denken", sagt Niemöller. An recycelfähiges Material, Solarenergie oder an die Lieferung von Mikroben zur Verbesserung der Bodenqualität. Bereits im Juni will der Ingenieur das erste Elektroauto aus Papier vorstellen. Zum Preis von unter tausend Euro und mit einer Reichweite von 50 Kilometern. Und bis Jahresende, so erklärt der Ingenieur, werde seine Firma die Mitarbeiterzahl von 60 auf 200 mehr als verdreifachen müssen.

Probleme scheint es in Niemöllers heiler Papierwelt derzeit keine zu geben, nur Lösungen. Warum, wenn alles denn so einfach ist, wurde die Idee erst jetzt entwickelt? Darüber muss der Ingenieur kurz nachdenken. Vielleicht brauche es eine Minifirma für so ein Abenteuer, überlegt er dann, die großen Unternehmen seien da womöglich zu unbeweglich. "Herzblut", sagt er noch und - kämpferisch: "Persönlicher Einsatz ist am wichtigsten". Im Grunde kann er die Frage nicht beantworten.

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SZ vom 16.05.2009/ojo
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