Süddeutsche Zeitung

Fehlende Betriebsprüfungen:"Bayern wird zur Steueroase"

Wenig Beamte, kaum Kontrollen: Dieter Ondracek, Chef der Steuergewerkschaft, erklärt, wie dem Staat jedes Jahr etwa 30 Milliarden Euro entgehen - und warum daran vor allem die südlichen Bundesländer Schuld sind.

Markus Balser

Der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, 67, schlägt Alarm: "Der Staat lässt sich jedes Jahr 30 Milliarden Euro entgehen." Vor allem die südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg entwickelten sich mangels harter Kontrollen zu regelrechten Steueroasen. Hinter der Zurückhaltung der Fahnder stecke auch die Sorge um den Standort - die Politik wolle Reiche und Unternehmen nicht vertreiben.

SZ: Herr Ondracek, der Staat ist knapp bei Kasse, trotzdem wird Steuerhinterziehung in Deutschland vielerorts offenbar leichtgemacht. Mehrere Bundesländer fahren ihre Kontrollen durch Fahnder und Betriebsprüfer stark zurück. Verstehen Sie das?

Dieter Ondracek: Da gibt's nichts zu verstehen. Durch laxe Steuerkontrollen lässt sich der Staat jedes Jahr 30 Milliarden Euro entgehen. Die Hälfte davon ließe sich schon mit etwas mehr Personal eintreiben. Stattdessen aber entsteht eine kuriose Situation: Die Finanzverwaltung baut vielerorts Stellen ab - und lädt so zu noch mehr Unehrlichkeit ein. Bundesweit sind zuletzt 6000 von 120.000 Stellen gestrichen worden.

SZ: Überlastete Ämter, ein kompliziertes Steuerrecht. Was fehlt im Kampf gegen Steuersünder?

Ondracek: Deutschland fehlen 15.000 Beamte, davon 5000 im Außendienst wie Betriebsprüfer und Fahnder. Wir müssen die Kontrollen verstärken und den Druck auf Hinterzieher erhöhen. Die Finanzämter müssen wieder die Chance bekommen, genauer hinzuschauen.

SZ: Der Ausbau der Finanzverwaltung wäre teuer. Woher soll das Geld dafür kommen?

Ondracek: Irrtum. Im Gegenteil. Er wäre ein gutes Geschäft. Ein Steuerfahnder treibt im Jahr eine Million Euro ein, kostet aber nur 70.000 bis 80.000 Euro. Jeder einzelne würde die Kosten für den Staat mühelos wieder einspielen.

SZ: Wer trägt die Schuld an mangelnder Konsequenz gegenüber Sündern?

Ondracek: Verantwortlich ist die Politik der Bundesländer. Sie sind es, die Steuerverwaltungen mit zu wenigen Mitteln ausstatten. Der Grund ist einfach: Der Föderalismus steht sich selbst im Weg. Steuerkontrollen sind Ländersache. Länder wie Baden-Württemberg oder Bayern tun sich aber mit Strenge keinen Gefallen.

SZ: Das heißt?

Ondracek: Wenn ein Steuerfahnder eine Million zusätzlich eintreibt, müssen Länder die Hälfte an den Bund abgeben. Die reichen Südländer geben über den Finanzausgleich weitere 400.000 an die armen Länder weiter. Die Rechnung ist klar: Zieht man die Kosten des Ermittlers ab, bleibt nicht viel übrig. Deshalb Unternehmen verprellen? Da verbrennt sich mancher Finanzminister lieber nicht die Finger. Gerade die Südländer und auch Hessen haben in der Steuerverwaltung am meisten gestrichen. Bayern und Baden-Württemberg entwickeln sich zu regelrechten Steueroasen.

SZ: Zurückhaltung bei der Steuerfahndung dient dem Werben um Unternehmen und Reiche?

Ondracek: Unter wohlhabenden Deutschen hat sich jedenfalls längst herumgesprochen, dass das Entdeckungsrisiko in Teilen Deutschlands nicht sonderlich groß ist. Es würde mich nicht wundern, wenn die Zurückhaltung bei Betriebsprüfungen und der Steuerfahndung letztlich dem Standort nutzt. Das eine oder andere Unternehmen könnte sich entscheiden, diese Vorzüge dauerhaft zu genießen.

SZ: So würden die konsequenten Länder wie Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz bestraft. Was muss sich ändern, um keine Steuerspirale nach unten in Gang zu setzen?

Ondracek: Die Bundesregierung muss von allen Ländern per Gesetz harte Kontrollen einfordern. Eine Bund-Länder-Kommission legt Jahr für Jahr den Bedarf der Bundesländer für Stellen in der Finanzverwaltung fest. Bayern unterbietet die Empfehlung derzeit um 15 Prozent. Hier könnte der Bund Sanktionen einführen und Länder notfalls dazu zwingen, aktiver zu werden.

SZ: Arbeitnehmer werden viel strenger überwacht als Firmen und Selbständige. Erleben wir den Einstieg in eine Zweiklassengesellschaft?

Ondracek: Die gibt es im deutschen Steuerrecht doch schon. Bei Arbeitnehmern wird die Steuer automatisch einbehalten. Bei Selbständigen, Gewerbetreibenden oder auch Landwirten verlässt sich die Finanzverwaltung meist auf deren eigene Angaben. Im Durchschnitt werden kleine Unternehmen nur gut alle 30 Jahre geprüft. Millionäre in manchen Bundesländern nur alle 20. Die Dummen sind letztlich die Arbeitnehmer. Denn sie haben gar keine Möglichkeit, steuerunehrlich zu sein.

SZ: Trägt die Politik mangels Kontrollen selbst dazu bei, Steuerhinterziehung zum Kavaliersdelikt zu machen?

Ondracek: Der Staat steht seinen ehrlichen Bürgern gegenüber jedenfalls in der Pflicht, alles zu tun, um die Steuern der Unehrlichen einzutreiben. In manchem Bundesland vermisse ich diese Konsequenz. Die Kontrollen müssen verschärft werden. Gelingt das nicht, wäre der Schaden für Politik und Gesellschaft gewaltig. Ohne genug Abschreckung und Kontrolle lässt sich das Steuerrecht einfach nicht durchsetzen.

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SZ vom 04.03.2011/wolf
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