Süddeutsche Zeitung

Fachwerkhäuser:Einkaufsbummel in historischen Höfen

19 deutsche Städte entwickeln im Verbund neue Konzepte für die Nutzung ihrer Fachwerkbauten.

Von Joachim Göres

Immer weniger Menschen wollen in historischen Fachwerkhäusern wohnen, weil die Räume klein und niedrig sind, nur wenig Licht einfällt, es weder Garten noch Balkon gibt, der Standard der Einrichtung oft zu wünschen übrig lässt und hohe Energiekosten wegen schlechter Dämmung die Miete in die Höhe treiben. Bis zu 30 Prozent der Fachwerkhäuser stehen leer und drohen zu verfallen.

Was tun? Darauf suchen 19 Fachwerkstädte aus Hessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen Antworten. Sie sind Teilnehmer der Fachwerk-Triennale, die die Arbeitsgemeinschaft Historische Fachwerkstädte mit Sitz in Fulda veranstaltet. Im Jahr 2012 soll dann überprüft werden, inwieweit die in den einzelnen Städten entwickelten Ideen wirklich weiterhelfen.

Zusammenlegen und abreißen

Im niedersächsischen Celle gibt es 1400 Wohnungen in Fachwerkhäusern. In den Wohnungen leben nur noch 1100, meist ältere Menschen. Studenten aus Hildesheim haben sich vor kurzem bei einem einwöchigen Workshop Gedanken gemacht, wie man Menschen aus ihrem Einfamilienhaus mit Garten am Stadtrand als Bewohner in die Altstadt zieht. Mehrere Hinterhöfe zusammenlegen, nicht mehr benötigte Gebäude abreißen, kleine Wege zwischen den Fachwerkhäusern anlegen, damit Bewohner schnell zu einem geplanten Parkplatz in der Nähe gelangen können - das sind einige der Ideen der künftigen Architekten und Denkmalschützer.

"Mit der Vergrößerung der Innenhöfe schafft man einen Treffpunkt und fördert die Nachbarschaft. In den Hinterhöfen herrscht eine absolute Ruhe, obwohl man mitten in der Stadt wohnt. Diese Idylle gilt es zu nutzen", sagt Bernd Sammann, Professor für Architektur an der FH Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Die Wohnungen selbst könnten ohne Probleme zum Beispiel durch Zusammenlegung von Räumen und Wärmedämmung auf einen modernen Standard gebracht werden.

Circa ein Viertel der insgesamt 2,4 Millionen Fachwerkhäuser in Deutschland stehen nach Angaben von Manfred Gerner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Historische Fachwerkstädte, unter Denkmalschutz. Teilweise ist die Bausubstanz nach langem Leerstand so schlecht, dass nur noch der Abriss bleibt.

In Mühlhausen in Thüringen versucht man aus der Not eine Tugend zu machen. Wie in vielen ostdeutschen Städten ist die Abwanderung und Überalterung der Bevölkerung groß. Unter dem Motto "Genial Zentral" wird derzeit die Neubebauung der historischen Innenstadt geplant - in den zahlreichen Baulücken, die durch Abriss entstanden sind. Dabei werden die Grundstücke vergrößert, um junge Familien in die Altstadt zu locken.

Das oberhessische Alsfeld wurde 1975 vom Europarat als "Europäische Modellstadt für Denkmalschutz" ausgezeichnet. Aus heutiger Sicht ein zweifelhafter Titel, denn bei der damaligen Sanierung wurden viele Fachwerkhäuser wegen handwerklicher Mängel zerstört. In dem Band "Fachwerksünden" hat Gerner typische Sanierungsfehler aufgelistet.

Dazu gehören unter anderem das Verfliesen von Fachwerk-Außenwänden, das Schließen von Holzrissen mit dauerelastischen Materialien oder das Anbringen von stark wärmedämmenden Baustoffen auf der Innenseite von Fachwerk-Außenwänden - die Folge sind häufig nicht mehr zu behebende Fäulnisschäden. Heute wird stärker auf die Fortbildung der Fachleute und auf die Auswahl der Materialien geachtet. "Alte Eichenbalken mit einem großen Querschnitt suche ich in ganz Europa", sagt der Alsfelder Zimmermann Roland Fratzsche, nach dessen Erfahrung für die komplette Sanierung eines 330 Jahre alten Fachwerkhauses mehrere Jahre vergehen können.

Das alles kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Die früher üblichen Zuschüsse der Denkmalpflege gibt es heute nicht mehr. In Helmstedt finanziert derzeit eine Bauherrengesellschaft, an der sich interessierte Bürger mit Kommanditeinlagen von mindestens 5000 Euro beteiligen können, die Modernisierung eines Gebäudes von 1576.

Die Handwerker und Architekten werden für ihre Dienste zum Teil mit Kommanditanteilen bezahlt - mit der Aussicht, an den künftigen Mieteinnahmen beteiligt zu werden.Fachwerkstädte stehen vor einem Problem, wie sie viele kleinere Kommunen quer durch Deutschland grundsätzlich haben - sie kämpfen gegen die Verödung ihrer Innenstädte.

Altstadt stabilisieren

Im 20.000 Einwohner zählenden Eschwege macht mit Hertie das einzige Kaufhaus zu. Bei einer Befragung der Besucher der nordhessischen Stadt gaben 42 Prozent an, wegen Hertie in die Altstadt gekommen zu sein, nur 1,3 Prozent nannten die historische Fachwerkstadt als Grund. "Ein zentrales Kaufhaus ist für Innenstädte in Mittelstädten überlebenswichtig", sagt Wirtschaftsförderer Wolfgang Conrad. Um dem Handel größere Flächen zu bieten, sollen unter Einbeziehung von Fachwerk-Innenhöfen sogenannte Marktplatz-Karrees geschaffen werden. Doch das ist nicht einfach: Ein Haupteigentümer sperrt sich gegen die neue Nutzung.

In Wetzlar (52.000 Einwohner) existiert seit einigen Jahren ein modernes Einkaufszentrum mit 23.500 Quadratmetern Verkaufsfläche. Seitdem kommen mehr Menschen nach Wetzlar - doch nicht unbedingt in die historische Altstadt. Mit einem neuen Lichtkonzept soll den Besuchern nun auch zu den Fachwerkhäusern der Weg gewiesen werden. Baudezernent Achim Beck: "Die Stadt muss investieren, um die Altstadt zu stabilisieren."

Häufig entwickeln sich aus dem Engagement von Einzelnen neue Perspektiven. In Hannoversch Münden hat der Schreiner Bernd Demandt 1994 für 22.000 Euro von der Stadt ein mehr als 400 Jahre altes Fachwerkhaus gekauft, es weitgehend in Eigenregie saniert und daraus ein Hotel gemacht, das zu den am besten besuchten in der Weserstadt gehört.

In einem anderen, bereits zum Abriss freigegebenem Fachwerkhaus hat er Ferienwohnungen eingerichtet und dabei im Inneren teilweise alte Balken freigelegt und die Original-Farben rekonstruiert. "Für unsere Gäste sind in erster Linie der günstige Preis und die zentrale Lage in der Altstadt entscheidend. Es gibt aber auch viele Besucher, vor allem aus den USA und aus Asien, die begeistert sind, in einem Haus von 1564 übernachten zu können", sagt Demandt.

Er ist Mitorganisator der Reihe "Denkmalkunst", bei der im Oktober 40 internationale Künstler in leerstehenden Fachwerkhäusern in Hannoversch Münden ihre Arbeiten ausstellen werden. "Auch eine nur vorübergehende Nutzung ist wichtig, weil dann Besucher in die Häuser kommen und sehen, welche architektonischen Schätze es hier gibt. Ein großes Problem ist, dass viele Menschen noch nie hinter die Mauern eines Fachwerkhauses geschaut haben und sich deswegen nicht für den Erhalt interessieren", stellt Demandt fest.

Information: An einer Veranstaltungsreihe zur Fachwerk-Triennale nehmen bis November 19 Fachwerkstädte aus Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen teil. Das Programm beinhaltet auch Ausstellungen und Führungen und steht online unter www.fachwerktriennale.de.

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Quelle:
SZ vom 11. 10. 2009 /als
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