EZB: Zinssenkung: Crash-Prophet Max Otte:"Dann wird es brutal"

Seitdem der Ökonom Max Otte die Finanzkrise voraussah, gilt er als Prophet. Die aktuelle Senkung des EZB-Leitzinses hält er für sinnlos.

Paul Katzenberger

Max Otte musste zur Kassandra werden, um als Experte in der Öffentlichkeit Gehör zu finden. Denn als Professor einer Fachhochschule galt der Rat des Wirtschafswissenschaftlers an der FH Worms bis vor zwei Jahren wenig: In den Talkshows sitzen eher die Kollegen von den "richtigen" Universitäten. Seit Otte allerdings mit seinem Buch "Der Crash kommt" aus dem Jahr 2006 die Finanzkrise mindestens ein Jahr vor ihrem Ausbruch richtig vorhergesehen hat, kann er sich vor Anfragen kaum noch retten. Der 44-Jährige darf sich daher als einer der wenigen Profiteure der Krise fühlen: Sein Buch hat sich mittlerweile 200.000-mal verkauft und als Professor hat er sich drei Jahre ohne Bezüge beurlauben lassen.

EZB: Zinssenkung: Crash-Prophet Max Otte: Die EZB dreht mal wieder an der Zinsschraube - und macht Geld noch billiger.

Die EZB dreht mal wieder an der Zinsschraube - und macht Geld noch billiger.

(Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Herr Otte, Sie haben bereits 2006 das Buch mit dem Titel "Der Crash kommt" geschrieben. Heute werden Sie gefeiert und gelten als der "Crash-Prophet".

Otte: "Gefeiert" ist vielleicht der falsche Ausdruck, aber die Nachfrage ist schon sehr stark.

sueddeutsche.de: Ist denn wirklich alles so gekommen, wie Sie damals vorhergesagt haben, oder gibt es auch falsche Einschätzungen?

Otte: Ich habe tatsächlich ein exaktes Drehbuch für die Ursachen und die ersten Stufen der Krise geschrieben. Was natürlich letztlich nicht prognostizierbar war, war die Reaktion der Staaten. Dass die mit derartig massiver Liquidität hineingehen, ist ein einzigartiger Vorgang. Das sind bislang vier bis fünf Billionen Dollar an Liquiditätsspritzen plus die Konjunkturprogramme. Es ist doch bei allen das Jahr 1929 sehr präsent. Die maßgeblichen Staaten haben sich massivst bemüht, es nicht wieder so weit kommen zu lassen.

sueddeutsche.de: Halten Sie diese Schritte für richtig?

Otte: Im Prinzip ja, obwohl es dieselbe Medizin ist, die den Crash verursacht hat. Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 hat der damalige amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan die Geldschleusen aufgedreht. Wenn Sie zu viel Geld machen und die Wirtschaft ist nicht gesund, dann sucht sich das Geld ungesunde Wege.

sueddeutsche.de: Vergaloppieren wir uns also schon wieder?

Otte: Wir legen uns die nächsten strukturellen Probleme ins Nest, aber ich kann es sehr gut verstehen, dass zum jetztigen Zeitpunkt alles getan wird, um die große Krise zu abzuwenden.

sueddeutsche.de: Heute hat die Europäische Zentralbank schon wieder die Leitzinsen gesenkt - so tief wie im Juni 2003. Bringt das überhaupt etwas, oder ist es am Ende sogar kontraproduktiv?

Otte: Das ist rein psychologisch. Irgendwann ist die Zinswaffe stumpf, und sie war eigentlich von Anfang an stumpf. Wenn Sie so wollen, hat man dieses Instrument schon seit der Nachkriegsordnung, also seit Keynes, seit 1948 oder 1950, inflationär eingesetzt. Wahrscheinlich hilft die Makrosteuerung mit Zinsen gar nicht so viel. Die Unternehmen sind so verunsichert, dass die Staaten eigentlich härtere Maßnahmen ergreifen müssten.

sueddeutsche.de: Die da wären?

Otte: Zum Beispiel das, was die amerikanische Notenbank gemacht hat. Sie hat schlechte Papiere in die Bilanz genommen und dafür Geld ausgegeben. Damit da überhaupt mal wieder Bewegung in den Markt kommt.

sueddeutsche.de: Aber der Interbankenhandel liegt doch immer noch darnieder? Was kann denn überhaupt noch getan werden, um den wiederzubeleben?

Otte: In dieser prekären Situation wäre es richtig, den Interbankenhandel mit Garantien auszustatten, was im Rettungspaket der Bundesregierung ja durchaus auch vorgesehen war.

sueddeutsche.de: Warum greifen dann die Garantien nicht? Eigentlich haben die Banken doch nichts mehr zu verlieren, wenn Bank A Bank B das Geld leiht und vom Staat die Garantie bekommt, den Kredit zurückbezahlt zu bekommen.

Otte: Weil die Garantien vielleicht noch nicht breit genug angewendet werden. Das Problem ist ja, dass bei vielen Maßnahmen handwerklich noch nicht alles ausgearbeitet ist. Denn garantieren Sie jedes Geschäft unbegrenzt, wäre das natürlich auch nicht gut, dann würden völlig riskante Geschäfte ohne weiteres gemacht. Also müssen Sie wieder in eine Art Prüfung jedes Geschäfts einsteigen, und dazu fehlen dem Staat letztlich wieder die personellen Mittel. Die handwerkliche Umsetzung ist grottenschlecht - das ist fürchterlich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum das Rettungspaket für die Banken nach dem Gießkannenprinzip funktioniert.

"Dann wird es brutal"

sueddeutsche.de: Das Rettungspaket für die Banken ist ja ohnehin kaum an Auflagen geknüpft. Erfolgt die Hilfe zu sehr nach dem Gießkannenprinzip?

EZB: Zinssenkung: Crash-Prophet Max Otte: "Ich möchte mich eher als Optimist positionieren." Der Crash-Prophet Max Otte glaubt, dass die Finanzkrise mit einem blauen Auge überstanden werden kann, doch eine Weltwirtschaftskrise mit "brutalen" Folgen schließt er nicht aus.

"Ich möchte mich eher als Optimist positionieren." Der Crash-Prophet Max Otte glaubt, dass die Finanzkrise mit einem blauen Auge überstanden werden kann, doch eine Weltwirtschaftskrise mit "brutalen" Folgen schließt er nicht aus.

(Foto: Foto: IFVE GmbH)

Otte: Absolut. Sie müssen sich nur einmal überlegen, aus wem die hochgeheime Arbeitsgruppe bestand, die das Hilfspaket geschnürt hat. Da saßen neben den Regierungsvertretern Commerzbank-Chef Blessing und noch zwei weitere Bankchefs. Da haben sich also zum Teil Banken, die am deutlichsten versagt haben, das meiste billige Geld selbst gegeben.

sueddeutsche.de: Nun, Lehman Brothers ließen die Amerikaner pleitegehen und das hat das ganze Desaster nach allgemeiner Einschätzung ja erst richtig ausgelöst. Hierzulande wollten die Verantwortlichen im Fall der Commerzbank eine ähnliche Eskalation offensichtlich verhindern. Das Institut sei systemtragend, heißt es ja noch immer.

Otte: Ach was. Die Schweden haben Anfang der neunziger Jahre gezeigt, dass man durchaus ein paar Banken "abwickeln" kann. Zudem: die Pleite von Lehmann war keinesfalls der Auslöser. Es ist im Gegenteil gut, dass wenigstens ein großes Institut in die Insolvenz gegangen ist. So konnte der Bürger sehen, wo überall die hochtoxischen Finanzprodukte lagen und wie massiv die staatliche Aufsicht versagt hat. Das geht hin bis zur 90-jährigen Rentnerin in Kerpen, der die Bank vor allem Lehman-Zertifikate ins Depot gelegt hat. Ein Glück, dass wenigstens Lehman pleitegegangen ist. Sonst hätte das Kartell der Schweiger alles mit unseren Steuergeldern zudecken können.

Vor allem die Commerzbank und die Hypo Real Estate sind kaufmännisch gescheitert. Wenn ich diesen Banken Geld relativ billig gebe, dann gebe ich denjenigen, die am schlechtesten gewirtschaftet haben, eine Subvention. Ich könnte es ja auch anders machen.

sueddeutsche.de: Und den großen Knall riskieren?

Otte: Keineswegs. Ich könnte sagen, das Management hat versagt, das gehört rausgeschmissen. Die Aktionäre hatten das Aktionärsrisiko, die haben das Management nicht kontrolliert, der Aktienbesitz gehört vollständig zum Nulltarif vom Staat übernommen, weil die Firmen pleite sind und er ja noch Geld einschießen muss.

sueddeutsche.de: Das hieße, der Staat zwangsverstaatlicht Banken?

Otte: Das könnte man so sagen, aber ich finde das irreführend. Bei der freien Marktwirtschaft wären diese Institute platt gewesen. Der Staat tritt als Insolvenzverwalter ein, ermöglicht, dass der Geschäftsbetrieb weiterläuft, verkauft die funktionierenden Unternehmenssparten woanders hin und wickelt das Ding ab.

sueddeutsche.de: Aber Tausende arbeitslose Commerzbank-Mitarbeiter wären in der derzeitigen Situation sicher auch kein positives Signal gewesen.

Otte: Das kann sein, aber wenn ich schon Kapital einschieße, dann bitte zu Zinssätzen, die gerechtfertigt sind, das heißt, dass die Öffentlichkeit dafür, dass sie ihren guten Namen als Staat gibt, auch belohnt wird. Diese Renditen für Eigenkapital in dieser Situation liegen derzeit bei mindestens 15 Prozent, und was berechnen wir den Banken? Fünf Prozent, acht Prozent. Wir können die Banken ja retten, aber wir müssen sie ja nicht auch noch subventionieren.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Abschwung so drastisch ausfällt.

"Dann wird es brutal"

sueddeutsche.de: Was erwarten Sie unter diesen Voraussetzungen, was erwarten Sie für 2009?

Otte: Ich denke, wir kriegen einen Abschwung, der sich gewaschen hat. Die 81er- und 82er-Rezession ist das, was dem am nächsten kommt. Das war schon ein ziemlich heftiger Einbruch, damals ist ja das Jahrzehnt der steigenden Zinsen mit einem Knall dahingeschieden.

sueddeutsche.de: Umgemünzt auf heute bedeutet das was?

Otte: Wir haben natürlich jetzt schon einen massiven Einbruch im Export, im Maschinenbau, in der Autoindustrie bei Finanzdienstleistungen und in verschiedenen anderen Branchen. Da geht es in einer nicht dagewesenen Geschwindigkeit bergab. Relativ stabil hält sich noch der Konsum, die Pharmaindustrie, die Telekommunikation und diverse andere Dienstleistungen, dennoch bekommen wir eine satte Rezession, die dürfte auch so zwei Jahre dauern.

sueddeutsche.de: Wie schmerzlich werden wir das genau spüren?

Otte: Deutschland wird sich wahrscheinlich über die Maastricht-Grenzen hinaus verschulden, das Etatloch geht wohl also über die drei Prozent des Bruttosozialprodukts hinaus, wir werden so bei 3,5 bis vier Prozent liegen. Das ist in dieser Situation aber absolut angemessen - denn die Nachfrage wird belebt. Wir werden außerdem 700.000 bis eine Million mehr Arbeitslose haben.

sueddeutsche.de: Das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo, das die pessimistischste Prognose abgegeben hat, rechnet wie Sie mit einer zweijährigen Rezession und erwartet für 2009 ein negatives Wirtschaftswachstum von zwei Prozent. Sie stehen also auf der Seite der Pessimisten?

Otte: Ich bin ein großer Skeptiker dieser Prognosen. Man kann gewisse kausale Zusammenhänge prognostizieren, aber das in einer Zahl zu verdichten, ist schon sehr schwierig. Ich sage mal, zu achtzig Prozent bekommen wir die Rezession wie gerade beschrieben und damit möchte ich mich eher als Optimist positionieren. Zu zwanzig Prozent bleibt aber das Risiko einer Weltwirtschaftskrise bestehen - und wenn die kommt, dann kann man gar nichts mehr vorhersehen. "All bets are off", wie der Engländer dann sagt.

sueddeutsche.de: Was würde das Ihrer Meinung nach genau heißen: Inflation im zweitstelligen Bereich? Ein Spritpreis von fünf Euro, oder eine Atomisierung der angesparten Lebens- und Rentenversicherungen?

Otte: Die Altersvorsorgesysteme kommen auf Grund der demographischen Pyramide ohnehin unter Druck. Die Folgen einer Weltwirtschaftskrise wären aber noch weitaus gravierender, dann wird es brutal: Ich habe das in meinem Buch nur angedeutet, weil ich kein Panikmacher sein will, doch dann besteht ein Risiko bis hin zu Kriegen, die geführt werden, um von den ökonomischen Verwerfungen abzulenken.

sueddeutsche.de: Könnte ein Land wie die USA oder Deutschland tatsächlich zahlungsunfähig werden?

Otte: Wir sind in Deutschland noch solide und solvent - das geht bei uns noch nicht an die Belastungsgrenzen, noch lange nicht. Wo der Spielraum aber schnell kleiner wird, ist in Amerika. Und warum sollte nicht das, was wir bei den großen Banken hatten, auch bei den Staaten auftreten: Lange hohes Rating, lange hohe Verschuldung und auf einmal ist da so ein Flexionspunkt, wo nichts mehr geht. Wenn dann niemand mehr den Dollar haben will, dann müssen Sie eine Währungsreform machen, weil dann das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

sueddeutsche.de: Noch ist es nicht so weit. Die Devisenmärkte sind ja noch das robusteste Segment der Finanzmärkte. Haben wir das Schlimmste an der Börse hinter uns, oder geht es da noch mal runter?

Otte: Was an der Börse passiert, ist etwas schwerer vorherzusehen, weil die Börse vieles vorwegnimmt. Das heißt, es kann durchaus sein, dass 2009 zwar kein bombiges aber ein ganz gutes Aktienjahr wird. Denn nach 2008, dem schlimmsten Börsenjahr seit 1931, sind die Kurse so was von im Keller, dass sie schon fast eine Depression vorwegnehmen.

sueddeutsche.de: Es gibt also Aktientitel, die man jetzt kaufen könnte?

Otte: Zum Beispiel BMW, die notieren im Moment zum halben Buchwert, und man könnte zumindest mal sagen, dass der Buchwert die absolute Untergrenze für den Wert dieses Unternehmens ist. Wenn Sie einen Aktienfonds haben mit globalen Qualitätsaktien, nehmen Sie ruhig BMW oder Daimler oder Nestlé - diese Unternehmen werden in irgendeiner Form die Krise überleben. Damit haben Sie weiterhin substanzhaltige Investments.

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