EZB-Chefvolkswirt Stark:"Missmanagement muss bestraft werden"

EZB-Direktor Jürgen Stark über die heilsame Wirkung der Finanzkrise und die aktuelle Schwächephase der Wirtschaft.

Helga Einecke

Jürgen Stark, 60, nimmt das Wort Rezession nicht in den Mund, rechnet mit einer vorübergehenden wirtschaftlichen Abschwächung. Von übertriebenen Lohnabschlüssen und Konjunkturprogrammen hält er nichts. Banken würde er pleite gehen lassen, falls dies das Finanzsystem nicht zum Wackeln bringt.

EZB-Chefvolkswirt Stark: EZB-Direktor Jürgen Stark sagt: "Horror-Szenarien sind fehl am Platz."

EZB-Direktor Jürgen Stark sagt: "Horror-Szenarien sind fehl am Platz."

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Stark, alle Konjunkturdaten zeigen nach unten. Steuert die Eurozone in eine Rezession?

Jürgen Stark: Die Daten zeigen für das zweite Quartal nach unten. Für das laufende liegen noch keine harten Daten vor. Nachdem die Wirtschaft stark ins Jahr gestartet ist, kommt dies nicht unerwartet. Ich rechne jedoch mit mehr als einer bloß technischen Korrektur. Besonders die Nachfrage aus dem Inland entwickelt sich schwächer als erwartet. Diese Schwäche wird aber vorübergehend sein.

SZ: Was macht Sie so sicher, dass die Abschwächung bald vorübergeht?

Stark: Bald habe ich nicht gesagt. Aber die Exporte, beispielsweise in die Ölländer und nach Osteuropa, stützen im Eurogebiet das Wachstum. Ich rechne mit einer langsamen Erholung nach der Abschwächungsphase.

SZ: Sind einige Länder stärker betroffen als andere?

Stark: In Spanien und Irland, die eine boomende Baukonjunktur erlebten, werden Übertreibungen korrigiert. Aber die Verbraucher halten sich auch wegen der verteuerten Energie zurück.

SZ: Ist die Furcht vor einer Rezession übertrieben?

Stark: Horror-Szenarien sind fehl am Platz. Für mich ist eine Schwächephase und eine graduelle Erholung das wahrscheinlichste Szenario.

SZ: Kann sich die Eurozone von der Entwicklung in den USA abkoppeln?

Stark: Unsere aktuelle Konjunkturschwäche hängt nur zum geringen Teil mit den USA zusammen, eher mit der rückläufigen Binnennachfrage. Aber in einer globalen Wirtschaft gibt es immer eine gegenseitige Abhängigkeit. Ich habe nie an ein Abkoppeln geglaubt.

SZ: Helfen Konjunkturprogramme?

Stark: Nein. Konjunkturprogramme erhöhen dauerhaft Schulden, nicht aber wirtschaftliche Leistungen. Sie wirken zudem meist zu spät. Der geeignetere Ansatz ist, die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen, das heißt niedrigere Steuereinnahmen und höhere Sozialausgaben hinzunehmen.

SZ: War es wirklich nötig, die Zinsen im Angesicht der wirtschaftlichen Schwäche zu erhöhen?

Stark: Die Inflationsrisiken haben sich auf mittlere Sicht verstärkt. Hinzu kommen Zweit-Runden-Effekte auf breiter Basis. Die gestiegenen Energiepreise haben zu stärkeren allgemeinen Preis- und Lohnerhöhungen geführt. Die Zinserhöhung ist deshalb ein Signal an diejenigen, die über Preise und Löhne entscheiden, dass die EZB keine Zweit-Runden-Effekte toleriert. Sonst entsteht eine Lohn-Preis-Spirale und die Gefahr einer Destabilisierung der Volkswirtschaft.

SZ: Wo genau gibt es Zweit-Runden-Effekte?

Stark: Beispielsweise sind die Preise für Dienstleistungen gestiegen. Außerdem sind in einigen Ländern des Eurogebiets die Löhne an die Inflationsrate gekoppelt. Der höhre Lohndruck zeigt sich in den Lohnstückkosten. Sie nahmen im ersten Quartal um 2,4 Prozent zu, verglichen mit 1,4 Prozent im Schnitt der vorherigen zehn Jahre.

Lesen Sie im zweiten Teil, wann sich die Preise wieder stabilisieren werden - und wie lange die Finanzkrise noch spürbar sein wird.

"Missmanagement muss bestraft werden"

SZ: Ist es nicht verständlich, wenn Arbeitnehmer höhere Löhne fordern, weil die Preise für Benzin, Heizöl und Gas enorm steigen?

Stark: Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir als Konsumenten von Rohöl die höheren Rechnungen aus dem Ausland bezahlen müssen. Lohnerhöhungen als Reflex auf diese Entwicklung können daran leider nichts ändern. Sie führen zu negativen Folgen für Inflation und Wachstum. Wir dürfen nicht die Fehler der 70er Jahre wiederholen.

SZ: Wann können die Bürger wieder mit stabilen Preisen rechnen?

Stark: Die Inflationsrate von aktuell vier Prozent im Eurogebiet geht auf Entwicklungen zurück, die über ein Jahr zurückliegen. Der Anstieg der Verbraucherpreise wird sich nur langsam zurückbilden.

SZ: Der Ölpreis ist doch gefallen.

Stark: Wir haben es immer noch mit hohen Preisen für Öl und Rohstoffe zu tun. Außerdem ist die weitere Entwicklung des Ölpreises unklar.

SZ: Sie haben die Zinsen erhöht und versorgen zugleich die Banken mit mehr Geld. Ist das nicht ein Widerspruch?

Stark: Nein. Unsere Operationen am Geldmarkt mit den Geschäftsbanken geben keine geldpolitischen Signale. Sie sollen helfen, die Anspannungen dort zu lindern und den kurzfristigen Zinssatz zu verankern, wo in der EZB-Rat sehen möchte. Wir stellen nicht mehr Geld als früher zur Verfügung. Wir haben aber die Zuteilung der Liquidität im Zeitablauf vorübergehend an die Bedürfnisse der Banken angepasst und stellen gewisse Tranchen über längere Zeiträume zur Verfügung. Wir ermöglichen auch den Zugriff auf Dollar Liquidität, die die Fed bereit stellt, gemeinsam mit der Schweizer Nationalbank.

SZ: Fürchten Sie nicht, die Banken könnte sich an den Spender EZB gewöhnen?

Stark: Ja, das ist eine Gefahr. Es fehlt jedoch noch immer an Vertrauen und Transparenz. Wir werden diese Operationen aber nur so lange fortsetzen, wie die Spannungen anhalten.

SZ: Wie lange werden die Spannungen der Finanzkrise denn noch anhalten?

Stark: Wie lange ein Umsteuern des gesamten Systems dauert, kann niemand sagen.

SZ: Wie sollte das gesamte System denn umgesteuert werden?

Stark: Es gibt eine Fülle von Vorschlägen zur Beseitigung von Schwachstellen. Dazu gehören das Risiko-Management in den Banken, die Unterlegung der Kredite mit Eigenkapital (Basel II), Regeln zur Bilanzierung, die Interessenkonflikte der Rating-Agenturen und die Bankenaufsicht. Alle Punkte sind nicht neu, wurden aber wegen der günstigen Bedingungen auf den Finanzmärkten vernachlässigt.

SZ: Welche Rolle kommt den Zentralbanken bei der Umsteuerung des Systems zu?

Stark: Die EZB hat Preisstabilität als Aufgabe und ihre Zinspolitik als Instrument. Preisstabilität ist auch unser Beitrag zu Finanzsystemstabilität und Wachstum.

Lesen Sie im dritten Teil, in welchen Fällen Banken nicht gerettet werden sollten - und wie Jürgen Stark zu einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte steht.

"Missmanagement muss bestraft werden"

SZ: Hat das globale Finanzsystem seit Ausbruch der Krise richtig gewackelt?

Stark: Das globale Finanzsystem hat viele Schocks verkraftet und sich als widerstandsfähig erwiesen. Vielleicht kamen die jetzigen Turbulenzen gerade zur rechten Zeit, um einen noch größeren Schaden zu vermeiden.

SZ: Ist es besser eine Bank zu retten oder kann man sie auch pleite gehen lassen?

Stark: Es muss auch die Möglichkeit geben, dass unsolide Banken vom Markt verschwinden. Missmanagement muss bestraft werden. Nur wenn Gefahr für das gesamte Finanzsystem droht, ist eine Rettung gerechtfertigt.

SZ: Ist denn die Mittelstandsbank IKB relevant für das Finanzsystem?

Stark: Ich kommentiere nicht die Rolle einzelner Institute im System.

SZ: Schade. Bedeutet die von Ihnen geforderte Umsteuerung mehr Regulierung?

Stark: Wir haben eine lange Phase der Liberalisierung hinter uns, die das Finanzsystem enorm hat wachsen lassen und Innovationen förderte. Die Risiken der komplexen Produkte wurden aber von vielen falsch eingeschätzt. Verantwortlich sind zunächst die Bankvorstände. Sie müssen für die Folgen eingegangener Risiken einstehen. Gleichzeitig darf die Regulierung nicht überdehnt werden, Innovationen müssen möglich sein, und zwar so, dass alle deren Risiken verstehen und managen können.

SZ: Die Notenbanken trifft also keine Schuld.

Stark: Die EZB konzentriert sich auf ihr Ziel Preisstabilität.

SZ: Sie gehören zu den Gestaltern der Europäischen Währungsunion. Sind Sie mit der Umsetzung in die Praxis zufrieden?

Stark: Die ersten zehn Jahre sind sehr gut gelaufen, entgegen mancher Befürchtung aus Politik und Wissenschaft. Aber derzeit sieht sich die EZB mit den Finanzmarktturbulenzen, der hohen Inflationsrate und der Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivitäten sicher ihrer größen Herausforderung gegenüber.

SZ: Wie wollen Sie die meistern?

Stark: Alle Institutionen sollen ihre Aufgaben so wahrnehmen, wie im Vertrag von Maastricht festgeschrieben. Die EZB wird wieder Preisstabilität erreichen.

SZ: Die Bürger wollen Wohlstand und soziale Sicherheit.

Stark: Für viele Bürger ist diese Geldentwertung nach Jahren stabiler Preise eine neue Erfahrung. Hohe Inflationsraten mindern den Wohlstand und bestrafen die sozial Schwachen.

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