Süddeutsche Zeitung

Exklusive Kundenbewertungen:Amazons zweifelhafte Sternchen

Viele Amazon-Kunden bewerten online regelmäßig die gekaufte Ware. Doch nur wenige dürfen Mitglied im exklusiven "Vine-Club" werden - und selbst wertvollste Produkte für lau testen. Verbraucherschützer sehen das mit Skepsis.

Von Daniela Kuhr, Berlin

Egal, ob es um Elektrogeräte, Klamotten oder Heimwerker-Artikel geht - wer einen Laden betritt, trifft häufig auf ein dermaßen großes Angebot, dass die Auswahl schon wieder schwer fällt. Das Problem verschärft sich noch, wenn es um Einkäufe im Internet geht. Denn da kann man das Produkt noch nicht einmal in die Hand nehmen und beispielsweise schauen, wie es funktioniert.

Umso wichtiger sind die Erfahrungen anderer Kunden. "Wir stellen immer wieder fest, dass Kundenrezensionen eine extrem große Rolle spielen bei der Kaufentscheidung", sagt Georg Tryba von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Und genau deshalb findet er das, was der Online-Händler Amazon gerade macht, extrem fragwürdig.

Es geht um den Amazon Vine-Club. Zu diesem Club lädt Amazon nach eigenen Angaben "die vertrauenswürdigsten Rezensenten" ein, damit sie ihre Meinungen zu neuen Artikeln veröffentlichen. "Anhand dieser Angaben können die anderen Kunden bessere Kaufentscheidungen treffen", heißt es auf der Internetseite von Amazon. Bewertungen von Vine-Clubbern sind leuchtend grün markiert - und somit klar zu unterscheiden von den Bewertungen anderer Käufer.

Produkttester beim Vine-Club wird man nur auf Einladung von Amazon. Die Auswahl erfolge anhand verschiedener Kriterien, teilt Amazon mit. Etwa danach, wie nützlich andere Käufer die bisherigen Bewertungen dieses Kunden gefunden hätten, oder wenn er gezeigt habe, dass er auf einem Gebiet Experte sei.

Testprodukte im Wert von 2000 Euro - wenn man schnell genug ist

Derzeit gibt es mehrere hundert Tester, die regelmäßig kostenlos neue Produkte zugesandt bekommen und in der Regel auch behalten dürfen. Sie würden weder bezahlt noch unter Druck gesetzt, vorteilhafte Bewertungen abzugeben. Ziel sei, "Kunden weitere Informationen zu geben, einschließlich ehrlichen und unbeeinflussten Rückmeldungen von einigen der vertrauenswürdigsten Rezensenten bei Amazon".

Klingt im Prinzip ganz sinnvoll. Aus Sicht der Verbraucherzentrale NRW aber stellt sich die Sache anders dar. "Das Paradies öffnet jeden ersten Donnerstag im Monat kurz nach 10 Uhr", heißt es in einer Pressemitteilung der Verbraucherschützer vom Mittwoch. "Dann dürfen sich Hunderte Mitglieder des Amazon Vine-Clubs per Internet aus einer reichhaltigen Produktliste namhafter Hersteller kostenlos bedienen." Auf dieser Liste finden sich durchaus auch mal Ultrabooks von Sony im Wert von 2000 Euro, Kugelschreiber von Parker im Wert von 150 Euro sowie Kaffeevollautomaten und Digitalkameras, die jeweils mehr als 500 Euro kosten. Natürlich gibt es auch billigere Produkte, wie etwa Gesichtscremes oder Tesa-Abroller.

Allerdings müssen die Vine-Clubber schnell sein, und zwar wirklich schnell. "Das Ganze muss in einem Zeitfenster von zehn Sekunden passieren, sonst ist alles Gute weg", schreibt ein Vine-Club-Mitglied namens Knight im Internet. Er selbst sei seit zwei Jahren dabei, bislang sei es ihm nur einmal gelungen, ein Netbook zu ergattern. All die anderen Male bekam er nur deutlich weniger wertvolle Produkte zum Rezensieren. Doch was ist daran eigentlich so verwerflich?

"Es ist überhaupt nicht erkennbar, was die ausgewählten Tester qualifiziert"

"Verwerflich" sei nicht das richtige Wort, sagt Verbraucherschützer Tryba. Es seien zwei Dinge, die ihn am Vine-Club störten. Zum einen die "totale Intransparenz, nach welchen Kriterien Amazon die Rezensenten auswählt". Und zum anderen die Anreize, die das System setzt. "Es scheint so, dass Rezensenten vom Vine Club eher dazu geneigt sind, positive Bewertungen abzugeben."

Die Verbraucherzentrale habe bei Stichproben auf Anhieb 30 Produkte gefunden, denen allein der Vine Club zu "einem immensen Bewertungs-Boost" verholfen habe. "Alle waren am Ende mit mindestens vier von fünf möglichen Sternen im Gesamturteil dekoriert." Was ihn wundert: Unter den Vine-Clubbern befänden sich sogar solche Kunden, die auf der Liste der Top-Rezensenten von Amazon erst auf Platz 10.000 auftauchten. "Es ist überhaupt nicht erkennbar, was die ausgewählten Tester qualifiziert."

Eine Sprecherin von Amazon verteidigt die Intransparenz. "Wir wollen ja keine Anleitung geben, wie man Vine-Tester wird." Sie versichert: Die Auswahl erfolge rein nach objektiven Kriterien. Ziel sei, Rezensenten auszuwählen, die "eine für unsere Kunden besonders nützliche Rezension verfassen" könnten. Ob sie positiv, negativ oder neutral ausfalle, spiele keine Rolle.

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SZ vom 10.10.2013/fran
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