Süddeutsche Zeitung

Exklusiv: David Rockefellers Erinnerungen II:Im Namen der Familie

David Rockefeller berichtet über seine behütete und zugleich elitäre Kindheit: Die Rockefellers der zweiten Generation wuchsen in einer Villa nahe der Fifth Avenue und auf zwei Landsitzen auf.

In seinen nun auf deutsch erscheinenden Memoiren, exklusiv bei der Süddeutschen Zeitung und sueddeutsche.de, schildert der Milliardär und langjährige Bankenchef David Rockefeller seine behütete und zugleich elitäre Kindheit. Er wuchs in New York in einem Haus auf mit eigener Krankenstation, Musiksalon und Kunstsammlung.

"Ich kam am 12. Juni 1915 im Haus meiner Eltern in der 54. Street West zur Welt. Ihr Haus war kein Schloss mit Türmchen, zinnenbewehrten Mauern und prächtigen Ballsälen wie die Häuser der Vanderbilts und der anderen Familien, die entlang der Fifth Avenue lagen, aber es war auch nicht direkt einfach. Zur damaligen Zeit war es die größte private Residenz in New York City und verfügte über neun Stockwerke sowie einen geschlossen Spielbereich für Kinder auf dem Dach.

Darunter befanden sich ein Squash Court, eine Sporthalle und eine private Krankenstation, in der ich geboren wurde und in der Familienangehörige mit ansteckenden Krankheiten wie Masern oder Mumps behandelt wurden. Im zweiten Stock war der Musiksalon mit einer Orgel und einem Flügel.Das Haus war angefüllt mit Kunst aus vielen Teilen der Welt. Mutters Geschmack reichte von der Kunst der Antike bis zu zeitgenössischen Arbeiten aus Europa und den Vereinigten Staaten. Ihr Interesse an zeitgenössischen amerikanischen Künstlern erwachte in den 1920er Jahren.

Unter der Anleitung von Edith Halpert, der Besitzerin einer Galerie in der Innenstadt, erwarb Mutter Arbeiten von Sheeler, Hopper, Demuth, Burchfield und Arthur Davies. Während dieser Zeit lernte sie auch Lillie Bliss und Mary Quinn Sullivan kennen, die ihre Begeisterung für moderne Kunst teilten. Die drei machten sich Gedanken darüber, dass talentierte Künstler kaum Aussicht hatten, in einem Museum gezeigt zu werden, bis sie tot waren - wenn überhaupt. Sie entschlossen sich, ein Museum für moderne Kunst zu gründen, in dem die Werke zeitgenössischer Künstler ausgestellt werden sollten. Ihrer Initiative ist es zu verdanken, dass Ende 1929 das Museum of Modern Art (MoMA) eröffnet wurde.

Unter der Woche war der Tagesablauf immer gleich. Wir wurden zeitig geweckt, es gab ein schnelles Frühstück, dem das Morgengebet in Vaters Arbeitszimmer vorausgegangen war. Vater schrieb uns bestimmte Verse aus der Bibel vor, die wir auswendig lernen und dann aufsagen mussten. Danach war jeder von uns nacheinander an der Reihe, einen Psalm oder eine Passage aus der Bibel vorzulesen. Am Schluss wurde ein gemeinsames Gebet gesprochen. Vater erklärte bestimmt, aber freundlich die Bedeutung dessen, was wir lasen. Witzereißen oder Rumalbern wurde ganz und gar nicht geduldet.

Im Winter verbrachte meine Familie die Wochenenden auf dem Anwesen in den Pocantico-Hügeln in Westcester County, leicht nördlich von der Stelle, an der die Tappan Zee Bridge heute den Hudson überquert. Großvater begann in den frühen 1890er-Jahren, Grundbesitz in der Nähe des Anwesens seines Bruders William am Hudson in Pocantico zu kaufen. Southwestern Westchester County war damals noch sehr ländlich und verfügte über ausgedehnte Waldgebiete, Seen, Felder und Flüsse - alle wimmelten von wild lebenden Tieren. Schließlich trug die Familie 3400 Acres zusammen, die das kleine Dorf Pocantico Hills und die Umgebung fast ganz umfassten.

Fortsetzung auf der nächsten Seite: Die Vorbereitungen des Umzugs ins Sommerhaus dauerten Wochen.

Die Sommer wurden immer auf Eyrie in der Nähe von Seal Harbor, Maine, an der Südwestküste von Mount Desert Island, nicht weit von Bar Harbor, verbracht. Wir feierten Großvaters Geburtstag am 8. Juli in Pocantico und fuhren am nächsten Tag nach Norden. Der Umzug des Haushalts war eine komplizierte logistische Aufgabe und die Vorbereitungen dauerten Wochen. Große Truhen und Koffer wurden hervorgeholt und alles, was wir möglicherweise während unseres fast dreimonatigen Aufenthalts benötigen würden, wurde eingepackt.

Am Tag unserer Abreise verstauten Arbeiter die Truhen zusammen mit den Eiskisten, in denen pasteurisierte Walker-Gordon-Milch für die Kinder unterwegs war, auf Lastwagen. An der Pennsylvania Station wurde alles in den Zug geladen.Die Familie und das Hauspersonal füllten einen ganzen Pullman-Schlafwagen. Neben Mutter, Vater und den sechs Kindern waren Kindermädchen, Tutoren, persönliche Sekretärinnen, Vaters Diener, Serviermädchen, Küchenmädchen, Dienstmädchen und Zimmermädchen dabei, um auf ein paar hundert Räume in Eyrie achtzugeben, das meine Eltern beträchtlich vergrößert hatten, nachdem sie es 1908 gekauft hatten.

Keine typischen Familienferien

Der Bar Harbor Express kam aus Washington und hielt in Baltimore, Philadelphia und New York, wo die Schlafwagen angekoppelt wurden. Wir gingen in der Regel gegen fünf Uhr am Nachmittag für die Übernachtfahrt durch New England an Bord. Am nächsten Morgen fuhren wir, wie durch ein Wunder, am glitzernden blauen Wasser die felsige Küste von Maine entlang.

Als Kinder erkannten wir, dass wir einer ungewöhnlichen, ja, sogar außergewöhnlichen Familie angehörten, aber die Auswirkung war für jeden von uns anders. Für einige war es eine Last, für andere eine Gelegenheit. Mutter und Vater sorgten sich sehr um jeden von uns. Mutter war eine bemerkenswerte Frau, deren Eleganz und freundliche Art im positiven Sinne jeden beeindruckte, vor allem ihre Kinder.

Vater war eine eher ernste und furchteinflößende Persönlichkeit. Aber wie auch immer, das meiste, was ich über mich und die Tradition meiner Familie lernte, war das Ergebnis seiner Bemühungen, mich mit den besonderen Verpflichtungen, die der Name Rockefeller mit sich brachte, und den Realitäten der Welt, in der ich als Erbe zwangsläufig leben würde, vertraut zu machen.

Vom Schloss des Sonnenkönigs bis zum Nil

Da Vater als Vorsitzender der Rockefeller Foundation und des Rockefeller Instituts sowie aufgrund zahlreicher anderer Aktivitäten viel beschäftigt war, war er meinen Geschwistern und mir immer ein wenig fremd. Praktisch hatten wir nur auf den unvergessenen Reisen, die wir in unserer Kindheit mit ihm unternahmen, Gelegenheit, ihn von seiner weniger offiziellen Seite zu sehen. Die Reisen waren keine typischen Familienferien.

Wir reisten von Williamsburg in Virginia, der Stadt am Fuße der Hügel, zu den hoch aufragenden Grand Tetons in Wyoming und von Versailles, dem prächtigen Schloss des Sonnenkönigs, zu den Ufern des oberen Nil in Nubien. Es waren außergewöhnliche Abenteuer, die mir Einblick in die Werte gewährten, die Vater dazu motivierten, nicht immer nur im großen Rahmen philanthropische Geschenke zu machen, sondern auch einmal ganz spontan, weil sich die Gelegenheiten dazu boten, das zu tun, was getan werden musste. Diese Reisen pflanzten auch den Samen für meine eigene spätere Leidenschaft für das Reisen und für internationale Angelegenheiten."

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Quelle:
SZ vom 03.04.2008/jkr
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