Europa vs. USA:"Kuhhandel braucht Kühe"

Gibt es Parallelen zwischen der Gründung der USA und Europa? In beiden Fällen wurde erbittert um die Übernahme von Schulden gerungen. Amerika-Experte Collier über Europa, die USA - und überraschende Lösungen.

Hans von der Hagen

Natürlich ging es ums Geld: Bei Gründung der Vereinigten Staaten vor mehr als 200 Jahren sahen die reicheren Staaten nicht ein, warum sie die Schulden der ärmeren übernehmen sollten. Doch am Ende gab es eine Lösung, die alle zufriedenstellte - und erklärt, warum die US-Hauptstadt zwischen Virginia und Maryland liegt. Kann Europa daraus lernen? Irwin Collier, Ökonom am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin, über die Vereinigten Staaten und mögliche Parallelen zu Europa.

Alexander Hamilton

Das Bild von Alexander Hamilton auf der Zehn-Dollar-Note: Als die US-Staaten über die Schulden fochten, fand er eine Lösung.

(Foto: Wikimedia commons)

sueddeutsche.de: Herr Collier, die enorme Verschuldung einzelner EU-Staaten lässt die Furcht wachsen, dass das Konstrukt Eurozone kollabieren könnte. Ist das eine reale Gefahr?

Irwin Collier: Wenn alle mit dem Rücken zur Wand stehen, werden wir erleben, wie entschlossen am Ende doch noch die Eurozone verteidigt wird. Sie entsprang politischem Willen und sie wird mit ökonomischen Mitteln verteidigt, weil es die Politik so will. Natürlich ist es denkbar, dass am Ende doch noch einem der Euroländer nahegelegt wird, die Eurozone zu verlassen - und es im Gegenzug dafür beispielsweise Hilfe bei den Schuldenproblemen erhält.

sueddeutsche.de: Vor mehr als 200 Jahren schlossen sich die Vereinigten Staaten zusammen. Dabei gab es viel Streit. Scheinbar ganz wie heute in Europa. Sehen Sie Parallelen zwischen den Ereignissen heute und damals?

Collier: Je mehr man nach Parallelen sucht, desto vager werden sie. Auf den ersten Blick scheinen sie geradezu bestechend zu sein - in den Vereinigten Staaten gab es die starke Position von Staaten wie Virginia, Maryland oder Georgia, die durchaus mit der von Deutschland heute vergleichbar ist. Diese Staaten hatten ihre Schulden bedient und keine tiefergehenden Probleme. Auf der anderen Seite standen beispielsweise Massachusetts, South Carolina und Connecticut. Das waren damals die amerikanischen PIGS-Staaten. Sie wollten Hilfe haben. Der große Unterschied zu der heutigen Situation in Europa: Schulden wurden damals zur Finanzierung des Unabhängigkeitskrieges gemacht.

sueddeutsche.de: Schulden sind Schulden ...

Collier: Aber es war für viele attraktiv, ein Stück der Vereinigten Staaten zu finanzieren. Man darf nicht vergessen, es ging hier um die Unabhängigkeitskriege und nicht, wie in Europa, beispielsweise um großzügig ausgelegte Pensionssysteme in dem einen oder anderen Land.

sueddeutsche.de: Woher kam das Ungleichgewicht zwischen den Staaten?

Collier: Es gab seinerzeit Kredite in zahlreichen Varianten. Einige Staaten verloren da den Überblick über ihre Schulden - andere hingegen hielten ihre Kasse in Ordnung. Virginia sah natürlich nicht ein, warum es für Massachusetts zahlen sollte. Es fehlte das Gefühl, eine Einheit zu sein. Hier setzte Alexander Hamilton an, ein Gründervater der Vereinigten Staaten. Er wollte den Sinn für das Ganze stärken.

sueddeutsche.de: Wie sollte das funktionieren?

Collier: Indem der Bund einen Teil der Schulden übernahm. Am Beispiel Großbritanniens konnte Hamilton sehen, dass es möglich war, durch die Ausgabe von Anleihen die Rückzahlung von Schulden letztlich ins Unendliche zu verschieben. Wichtig war nur, dass regelmäßig die Zinsen gezahlt wurden, um das Vertrauen der Anleger zu wahren: Investoren wussten dann, dass die Zoll- und Steuereinnahmen reichten, um die Schulden zu bedienen. Das machte es leichter, Kredite an andere zu verkaufen. Auf jeden Fall entwickelte sich ein reger Handel von Ansprüchen auf englische Staatsschulden.

sueddeutsche.de: Also das alte Prinzip: Schulden machen statt Steuern erhöhen?

Collier: Für Hamilton war das natürlich ein reizvoller Gedanke: Mit Hilfe von Anleihen konnten die Schulden der einzelnen Staaten vom Bund übernommen werden, ohne die Steuern deutlich zu erhöhen. Die Boston Tea Party, bei der aus Protest gegen die Zahlung von Steuern und Zöllen an Großbritannien Ladung von britischen Schiffen ins Meer geworfen wurde, zeigte, wie extrem unpopulär Steuererhöhungen auch schon damals waren.

Suche nach dem Dealmaker

sueddeutsche.de: Was hatte ein Staat wie Virginia damit gewonnen, dass die Schulden auf Bundesebene verlagert wurden? Zahlen musste Virginia ja trotzdem.

Europa vs. USA: Irwin Collier ist Ökonom am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin.

Irwin Collier ist Ökonom am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin.

Collier: Die Übernahme und Vermischung aller Schulden auf Bundesebene war aus Sicht Hamiltons sinnvoll, da sich die Konföderation viel leichter tat, Steuern und Zölle zu erheben. Aber Virginia brauchte in der Tat noch ein Zuckerstückchen - und das bekam es auch. Die Vereinbarung war: Wenn Virgina, Maryland und Georgia unterschreiben würden, dann würde die Hauptstadt Washington unmittelbar an der Grenze zu Virginia und Maryland liegen. Das ist ja etwas, was in Verhandlungen auf internationaler Ebene oft eine große Rolle spielt: Es gibt abseits der eigentlichen Verhandlungen ein Thema, was sich am Ende als Dealmaker erweist, mit dessen Hilfe die Verhandlungen trotz unterschiedlicher Interessen doch noch zu einem Abschluss gebracht werden.

sueddeutsche.de: Was wäre ein Dealmaker für den alten Kontinent?

Collier: Genau der fehlt in Europa mit seinen unzähligen einzelstaatlichen Interessen. Wer einen Kuhhandel schließen möchte, braucht Kühe.

sueddeutsche.de: Was kann Europa aus der Gründungsgeschichte der Vereinigten Staaten lernen?

Collier: Die ursprünglichen Articles of Confederation, die Artikel der Konföderation, gewährten nach dem Unabhängigkeitskrieg den Bundesstaaten ein zu hohes Maß an Souveränität. Deshalb war es schwer, voranzukommen. Darum kam es später zur Verfassungsdebatte, um die neue Ordnung für die Vereinigten Staaten festzulegen. Föderation statt Konföderation. Europa befindet sich derzeit in dem Articles-of-Confederation-Stadium. Wenn man sieht, wie viele neue europäische Botschaften in Berlin gebaut wurden, lässt einen der Gedanke nicht los, dass das eigentlich nur Handelsvertretungen sein sollten.

sueddeutsche.de: Derzeit wird in den USA diskutiert, wie Bundesstaaten in die Pleite geschickt werden könnten. Ist das Modell USA an seine Grenze gestoßen?

Collier: Die aktuelle Situation ist sehr speziell, das sehen wir auch in Europa. Die Situation Spaniens vor der Krise war nicht schlecht, doch die Einnahmen gehen stark zurück - so schnell lassen sich gar nicht die Ausgaben kürzen. Hinzu kommt das Vorgehen der Republikaner. Die sagen: Wenn wir einräumen, dass ein Bundesstaat in den Vereinigten Staaten pleitegehen kann - also unter eine Art Zwangsverwaltung gestellt wird -, muss die Rolle der Bundesregierung verkleinert werden.

sueddeutsche.de: Bisher machte in der Geschichte der Vereinigten Staaten nur Arkansas Pleite, in den dreißiger Jahren. Doch wenn jetzt das scheinbar Undenkbare zur Regel wird, muss da nicht eine Art Lehman-Effekt befürchtet werden? Eine Kettenreaktion?

Collier: Nicht unbedingt. Zwar ist die Verschuldung in den USA sehr groß, doch auch die Einnahmen sind hoch. Die größere Gefahr ist eine zwanghafte Sparpolitik.

sueddeutsche.de: Noch ist die Lage in Europa und den USA trotz drohender Finanzkrise auf staatlicher Ebene vergleichsweise ruhig - unterbrochen von der Aufregung um Griechenland, Irland oder Portugal. Ist das die Ruhe vor dem Sturm?

Collier: Der Ökonom Herbert Stein formulierte es einst in seinem berühmten Gesetz so: "Was nicht ewig weitergehen kann, wird irgendwann aufhören." Doch das gibt uns keine Antwort auf die Frage, wie die auf Dauer unhaltbare Situation in Europa gelöst werden kann. Der Wunsch, die Währungen hart zu machen und die Haushalte auszugleichen, schaden der Wirtschaft und sorgen mich mehr als die Hasardeure, die auf den internationalen Finanzmärkten Chaos verursachen. Gleichzeitig ist unklar, ob es langfristige Antworten auf die langfristigen Probleme geben wird. Ich fürchte, wir müssen das Stein'sche Gesetz so ergänzen: "Es ist immer später als wir denken."

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