Süddeutsche Zeitung

Europa und der Euro:Gefährliche Stille

Euro, Nord-Euro oder D-Mark - das ist eine Fragestellung mit beinahe revolutionären Konsequenzen: Wie Deutschland mit der Euro-Krise umgeht, entscheidet über die Zukunft des Landes. Die Debatte muss ernsthaft und schonungslos geführt werden.

Marc Beise

Eine unheimliche Stimmung liegt über Deutschland, wie die Ruhe vor einem Gewitter. Es braut sich etwas zusammen am politischen Himmel, und das hat mit dem Euro zu tun. Noch ist die Gemeinschaftswährung nicht das große Thema, das die Deutschen in ihrer Gesamtheit bewegt. Zwar sind die Nachrichten über Staatsschulden, kriselnde Staaten, Rettungspakete Legion - aber sie erreichen die Bürger nicht wirklich. Über das Thema Euro wird im Land unendlich viel mehr berichtet als gefürchtet. Angst haben nur die Reichen; mancher bringt schon sein Geld in Sicherheit, kauft Immobilien, verlegt den Wohnsitz. Die meisten Deutschen interessieren sich derweil für anderes: für Stuttgart 21, für Wikileaks, für Elektroautos.

Die Ruhe als erster Bürgersinn erklärt sich aus der guten Wirtschaftslage. Die Krise der Realwirtschaft war kurz, der Aufschwung ist phänomenal. Die Unternehmen produzieren und verkaufen wie im Fieber. Die Einkommen steigen. Nie waren mehr Menschen in Beschäftigung, und weniger Arbeitslose gab es lange nicht. Krise, welche Krise?

Noch sind es nur jene, die schon immer gegen den Euro waren, die gegen die Gemeinschaftswährung zu Felde ziehen und den Untergang des deutschen Wohlstandssystems voraussagen. Meist sind es ältere Männer, vielleicht ist das kein Zufall. Sie trauern einer vergangenen Welt nach, als die D-Mark noch stark war und die Deutschen ihren Wohlstand gefunden haben. Aber da die Bürger mehrheitlich nie wirklich für den Euro waren, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Mahner ins Zentrum der Befindlichkeiten vorstoßen. Erfolgreiche Bestseller-Autoren und Standort-Kritiker schließen sich ihnen an.

Besonders wirkungsvoll sind jene, die öffentlich bereuen, einst für den Euro getrommelt zu haben. "Rettet unser Geld!", das könnte im Winter der Kampfruf werden, hinter dem sich immer mehr Deutsche versammeln. Die etablierte Klasse, von der deutschen Wirtschaft über die Volksparteien Union und SPD bis zu Grünen und Linkspartei, die alle dem Euro (noch) die Treue halten, machen einen Fehler, wenn sie diese außerparlamentarische Opposition nicht ernst nehmen. Eine Opposition, die sich nährt aus der wachsenden Kritik an der repräsentativen Demokratie.

Wenn heute Stuttgart 21 in Frage steht, weil immer mehr Bürger der staatlichen Planung misstrauen, so kann sich dieses Misstrauen morgen ebenso vehement gegen den Euro richten, der über den Kopf der Bevölkerung hinweg eingeführt worden ist. Wie Deutschland mit der Euro-Krise umgeht, entscheidet über die Zukunft des Landes. Die Debatte hat erst begonnen, und sie muss äußerst ernsthaft geführt werden.

Da machen sich jene Euro-Gegner angreifbar, die heute dies und morgen das fordern. Vor wenigen Wochen wollten sie noch die D-Mark zurückhaben, nun propagieren sie (nur) eine Zweiteilung des Euro in einen harten Nord-Euro (mit Deutschland) und einen weichen Süd-Euro - als wäre das so einfach. Eine solche Änderung hätte beinahe revolutionäre Konsequenzen. Die Gegner des Euro haben deshalb eine strikte Beweispflicht. Sie müssen nachweisen, dass das Festhalten an der Währung mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Katastrophe führt, und der Wechsel der Währung eben nicht. Das aber wird ihnen wohl schwerlich gelingen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wären die schwachen Staaten ohne Deutschland oder gar den ganzen Norden verloren. Ihre Zinskosten würden nach oben schnellen, ein Bankrott wäre die Folge. Zu glauben, das könne den wirtschaftsstarken Norden (Deutschland) kaltlassen, ist zutiefst naiv. Am Ende wäre Europa im Taumel und aus Kooperation würde Konfrontation, weit über den Kontinent hinaus. Das würden nicht nur deutsche Urlauber schmerzlich erleben, sondern vor allem die Unternehmen. Überall würden Schutzzölle erhoben, die Währung der Deutschen würde dramatisch aufgewertet, und es wäre bald vorbei mit Wachstumsphantasie und Jobwunder. Zwar kann man theoretisch über eine zu starke Exportabhängigkeit lamentieren, allein: Die Deutschen haben sich noch kein anderes Wohlstandsmodell einfallen lassen.

Umgekehrt ist der Euro noch lange nicht am Ende. Ja, die bisherigen Rettungsversprechen haben die Finanzmärkte nicht beruhigt, schlimmstenfalls werden weitere Bürgschaften nötig. Aber je entschlossener die Währungsunion auftritt, desto größer sind am Ende die Chancen, dass ihre Kredithilfen nicht fällig werden. Aus gutem Grund bewahrte die Europäische Zentralbank am Donnerstag die Nerven. Nach manchen Irrungen und Wirrungen stehen gute Vorschläge zur Debatte: Überlegungen dazu, wann und wie Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen an schwache Staaten verzichten müssen; Überlegungen für einen funktionierenden Euro-Stabilitäts- und Wachstumspakt; eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Wenn es gutgeht, kann all das die strauchelnden Staaten retten, ja sie stabiler machen, als sie es je waren. Die Wirtschaftsreformen in Griechenland sind ein erster Anfang. Am Ende hilft das gerade den auf Weltoffenheit angewiesenen Deutschen.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2010/hgn/mel
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