Europa nach dem Gipfel:Griechenland atmet auf, die anderen zittern

Griechenland scheint vorerst gerettet, doch was ist mit den anderen Krisenstaaten? In Frankreich sinken die Erwartungen an die Konjunktur - und steigen die Steuern. Die Regierung Berlusconi verordnet Italien harte Einschnitte, weil sie der Rest Europas dazu zwingt. Spaniens Banker reagieren wütend auf die Beschlüsse des Euro-Gipfels, denn sie fühlen sich benachteiligt.

Michael Kläsgen, Ulrike Sauer und Javier Cáceres

Frankreich: Sarkozy muss die Steuern erhöhen

An activist wears a mask portraying France's President Sarkozy during a protest at Palais Royal place in Paris

Vor dem Élysée-Palast protestierten am Donnerstag Aktivisten. Sie fordern von Sarkozy, Steuerschlupflöcher zu schließen - die seien schließlich verantwortlich für die derzeitige Krise des Landes.

(Foto: REUTERS)

Die Regierung in Paris versuchte am Donnerstag, den EU-Gipfel als Erfolg der eigenen Verhandlungskünste zu feiern. Finanzminister François Baroin sprach von einer "freundschaftlichen, globalen und glaubwürdigen Antwort". Staatspräsident Nicolas Sarkozy wandte sich am Abend in einem auf den beiden größten Fernsehkanälen ausgestrahlten Interview ans Volk. "Wir haben gestern eine Katastrophe verhindert", sagte Sarkozy. Es sei ein Fehler gewesen, Griechenland in die Euro-Zone aufzunehmen. Aber er sei damals nicht in der Verantwortung gewesen.

Die Wachstumsprognose für 2012 revidierte Sarkozy von 1,75 auf ein Prozent. Das bedeute, dass Frankreich sechs bis acht Milliarden Euro mehr einsparen müsse, damit sich die Neuverschuldung nicht erhöht. Sarkozy schloss eine generelle Erhöhung der Mehrwertsteuer aus. "Das würde den Konsum der Franzosen belasten und wäre ungerecht."

Den meisten Franzosen ist längst klar: Es gibt nichts zu feiern. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem historischen Hoch angelangt. 4,2 Millionen Franzosen suchen einen Job. Jüngste Umfragen ergeben, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung die Rechnung für die Krise erst noch erwartet. Kaum war der Gipfel zu Ende, da diskutierte die Regierung bereits über ein weiteres Sparprogramm. Auch Steuererhöhungen seien möglich, hieße es. Der Staat braucht Geld, um das Ziel zu erreichen, die Neuverschuldung 2012 auf 4,7 Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken.

Frankreichs Arbeitgeberchefin Laurence Parisot sagte, "die reale Wirtschaft" sei inzwischen in den Sog der Krise geraten. Kredite verteuern sich. Unternehmen bauen Stellen ab und investieren weniger. Erhöht sich die Mehrsteuer, verteuert sich das ohnehin teure Leben der Franzosen.

Die Krise ist endgültig beim Bürger angekommen", urteilt Finanzexperte Philippe Dessertine. Viele Menschen rechnen laut Umfragen mit einem Sinken ihrer Kaufkraft. Seit Jahren ist das Thema "Kaufkraft" ein Dauerbrenner. Sarkozy hatte 2007 versprochen, der "Präsident der Kaufkraft" zu werden. Daraus wurde nichts. Vor dem EU-Gipfel dramatisierte er die Lage nun mit den Worten, "das Schicksal Europas" stehe in den kommenden Tagen auf dem Spiel.

Kritiker spotteten, es gehe eher um sein eigenes Schicksal. Die Wochenzeitung Le Canard enchaîné errechnete, dass sich die Staatsschuld Frankreichs während Sarkozys Amtszeit um 500 Milliarden Euro erhöhte. Bei den Wahlen in sechs Monaten will sich Sarkozy gleichwohl als einziger glaubwürdiger Haushaltssanierer präsentieren. Das Vorhaben ist riskant. Stufen die Ratingagenturen Frankreichs noch gültige Top-Bonität herab, "ist er am Ende", mit diesen Worten zitierte Le Monde einen Berater im Élysée. Jedenfalls würde das seine Glaubwürdigkeit untergraben.

So muss Sarkozy ausgerechnet kurz vor den Wahlen das tun, was er immer tunlichst vermeiden wollte: weiter die Steuern erhöhen. Die Einnahmen daraus will Frankreich, ähnlich wie es Deutschland unter dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück tat, zur Reduzierung der Sozialabgaben und zur Entlastung der Firmen nutzen. Immer häufiger wird in den Zirkeln des Élysée auch der Name von Altkanzler Gerhard Schröder genannt, der wichtige Reformen unternommen habe, aber die Wahl verlor. Allerdings hinkt der Vergleich: Bis auf die Renten blieb Sarkozy wichtige Reformen schuldig.

Italien: Diktat aus Brüssel

Die Läuterung des italienischen Ministerpräsidenten vollzog sich in 72 Stunden. Meinte Silvio Berlusconi am vergangenen Sonntag noch, es sich leisten zu können, seinen Kollegen aus der EU mit leeren Händen gegenüberzutreten, so lieferte er beim zweiten Gipfeldurchgang pflichtschuldig seine Hausaufgaben ab. Statt Beruhigungspillen verordnet der Italiener seinem Land nun eine bittere Medizin. Notgedrungen: Bis zur letzten Minute wurde die ausgearbeitete Version seines Anti-Krisen-Plans am Mittwoch auf direkte Anweisung der EU korrigiert und präzisiert. Herausgekommen ist unter Brüsseler Diktat ein Programm mit genauen Fristen, das vor der Umsetzung daheim erst einmal von einer zerstrittenen Koalition politisch durchgesetzt werden muss.

Italy's Prime Minister Silvio Berlusconi talks to the media as he leaves a euro zone leaders summit in Brussels

Er hat sich dem Druck aus den anderen europäischen Staaten gebeugt: Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi

(Foto: REUTERS)

Der Gefahrenherd Italien ist damit bei weitem nicht gelöscht. Das Vertrauen ist weg, also gehen die EU-Partner in Rom zur minutiösen Kontrolle über. Bei Italiens Industrieverband weiß man das zu schätzen. "Am allerwichtigsten sind die Daten. Die EU kann jetzt kommen und die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen überprüfen", betont Gianpaolo Galli, Generaldirektor der Confindustria. "Ohne die von Brüssel erzwungene Festlegung verbindlicher Fristen hätte man beim Lesen des Briefes gesagt: Das kenne ich doch schon", sagt Galli. Insgesamt zeigt sich der Unternehmer-Lobbyist aber enttäuscht. "Wir hatten ein anderes Programm vorgelegt, das nur zu einem kleinen Teil berücksichtigt wurde."

Bis Mitte 2012 will Berlusconi eine Schuldenbremse in der Verfassung verankern. Zugleich sollen Italiens Provinzen abgeschafft und die Zahl der Parlamentarier reduziert werden, um die Aufblähung des Politapparates einzudämmen. Die drei Verfassungsänderungen wurden im September schon einmal vom Kabinett beschlossen, aber dann schnell wieder vergessen.

Die Regierung bekräftigte, dass sie bis 2013 einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen will. Sie geht nun noch einen Schritt weiter: Sollten zusätzliche Korrekturmaßnahmen erforderlich werden, ergreife sie die Regierung "umgehend". Confindustria-Mann Galli misst diesem Versprechen höchste Bedeutung zu. Denn die rasche Eintrübung der Konjunktur erschwert Sanierungsfortschritte gewaltig.

Ehrgeizig ist daher Berlusconis Zusage, die italienische Schuldenquote bis 2014 auf 113 Prozent zu drücken - von heute 120 Prozent. Im November muss Rom einen Privatisierungsplan vorlegen, der in den kommenden drei Jahren fünf Milliarden Euro in die Staatskasse pumpen soll. Schon ab Mai sollen Entlassungen von unbefristet Beschäftigten in Krisenunternehmen möglich sein. Bis zum 15. November soll ein Aktionsplan für Wachstum über den Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen, Steueranreize für Unternehmen, Entbürokratisierungen, weitere Arbeitsmarktreformen und Liberalisierungen vorliegen.

Nicht angerührt hat die Regierung das Tabuthema Rente. Sie bestätigte, dass die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bis 2026 vollzogen wird. Der vorgezogene Ruhestand für Berufsfrühstarter aber bleibt erhalten. Wer also mit 17 angefangen hat zu arbeiten, geht weiter mit 57 Jahren aufs Altenteil. Mit 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt das hoch verschuldete und rasch alternde Italien heute 2,5 Prozentpunkte mehr für Ruheständler aus als die EU-Partner.

Ob Berlusconis Brief Anklang auf den Finanzmärkten findet, wird sich schon am Freitag zeigen. Dann gibt das Finanzministerium für fünf bis sechs Milliarden Euro neue Staatsanleihen aus.

Spanien: Unverständnis und Zorn

People's Party event

Er hat gute Chancen, der nächste Ministerpräsident Spaniens zu werden: Mariano Rajoy, Kandidat der konservativen Partei PP, mit seiner Frau Alicia Sanchez-Camacho in Barcelona. Die Umfragewerte von Amtsinhaber José Luis Rodríguez Zapatero leiden darunter, dass die Krise das Land hart erwischt hat.

(Foto: dpa)

Mit einer Mischung aus Unverständnis, Bitternis und ohnmächtigem Zorn haben die Spanier auf den neuen Schlag für den heimischen Finanzsektor reagiert: Die von der EU beschlossene Aufstockung des Eigenkapitals der fünf größten spanischen Geldhäuser um 26 Milliarden Euro. Das ist ein Viertel der Gesamtsumme, die sich Europas führende Banken bis Mitte 2012 beschaffen müssen. Nur die griechischen Banken müssen sich mit 30 Milliarden Euro mehr Geld besorgen als die Spanier. Deren Bankenverband klagte daher über "willkürlich hohe Forderungen".

Wie die Bank von Spanien mitteilte, streben die fünf inkriminierten Institute des Landes an, die strikteren Vorgaben ohne staatliches Geld zu erfüllen. Der mit 84 Prozent überwiegende Teil des Gesamtbedarfs entfällt auf die beiden Branchenführer: Santander und BBVA. Beide Banken, die beim letzten Stresstest brillant bewertet wurden, kündigten eilig an, die Eigenkapitalforderung von neun Prozent um einen Prozentpunkt überzuerfüllen. Kapitalerhöhungen oder Kürzungen der Dividenden seien nicht vonnöten. "Wir werden das bequem schaffen", sagte BBVA-Chef Francisco González.

Ähnliches hat auch Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero versichert. Er sagte, dass der tatsächliche Finanzbedarf spanischer Banken nicht bei 26, sondern bei etwa 17 Milliarden Euro liege, weil sie die Differenz durch die Umwandlung von Wandelanleihen in Aktien ausgleichen könnten. Für Unmut sorgten die EU-Beschlüsse in Spanien nicht zuletzt, weil das Land von einem Schuldenschnitt für Griechenland kaum betroffen ist.

Die "Nummer zwei" der Santander, Alfredo Sáez, nannte es "befremdlich", dass den spanischen Banken mehr Geld abverlangt wird als anderen, obwohl sie kaum griechische Titel haben. Die Anspielung auf deutsche und französische Institute war eindeutig. Dafür schlägt die vom Gipfel verordnete Abschreibung spanischer Staatsanleihen um sieben Milliarden Euro zu Buche - was der Bankenverband für unverantwortlich hält, da es die Finanzstabilität Spaniens und Europas ohne Not in Zweifel ziehe.

Dass Zapatero dies am Brüsseler Verhandlungstisch nicht verhindern konnte, ließ wiederum vor allem dem BBVA-Chef González den Kamm schwellen. "Spanien braucht eine starke Regierung", sagte González im Beisein von Oppositionschef Mariano Rajoy, der bei den vorgezogenen Wahlen vom 20. November als haushoher Favorit gilt.

Rajoy wiederum unterstrich, dass Spanien seit dem 19. Jahrhundert seine Schulden immer bedient habe, "ich garantiere, dass dies auch in Zukunft so sein wird." Gleichwohl fürchtet der Regierungschef in spe, dass der frische Geldbedarf der Banken "die Finanzierung unserer Unternehmenbeeinträchtigt." Das wiederum wird Auswirkungen aufs Wachstum haben - und so den Abbau der 20-prozentigen Arbeitslosigkeit verschleppen, die der Gipfel in seinen Schlussfolgerungen als "nicht hinnehmbar" bezeichnete. Darin hieß es auch, dass die Spanier gut daran täten, sich in der Quadratur des Kreises zu üben. Sie sollen einerseits "die Haushaltsanpassungen wie geplant unnachgiebig" durchführen, andererseits "Maßnahmen zur Steigerung des Wachstums" ergreifen.

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