Europa in Not:Große Schlacht um den Euro

Waterloo, Verdun, Stalingrad - und jetzt Brüssel: Um den Euro zu retten und die Spekulanten zu zähmen, haben die Staats- und Regierungschefs der EU binnen Stunden Beschlüsse gefasst, die in vielen Jahren nicht vorstellbar gewesen waren. Es ist eine Revolution.

Stefan Kornelius

Die großen europäischen Schlachten aus der Zeit der napoleonischen Kriege bis hin zu den Gemetzeln des 20. Jahrhunderts sind in vielen Ortsmarken verewigt: Jena und Auerstedt, Waterloo, Verdun, Stalingrad. Brüssel fehlt in der Liste, obwohl nach dem Verständnis der dort am Freitag versammelten Staats- und Regierungschefs durchaus eine der dramatischsten Auseinandersetzungen um den Frieden und den politischen Bestand des modernen Europas ausgetragen wurde - wenn auch nicht mit Waffengewalt.

EZB, dpa

Das zarte Band der Währungsunion wurde umschlossen von eisernen Ringen. Aber die Plötzlichkeit der Entscheidung und die Dramatik des Augenblicks haben es nicht erlaubt, dass über Festigkeit und Zusammensetzung dieser neuen Gürtung ausreichend nachgedacht wurde.

(Foto: Foto: dpa)

Die Angriffswaffen der globalisierten Welt sind die vernetzten Computer der Devisenhändler und Finanzbroker. Sie können Volkswirtschaften in den Ruin treiben, Währungen erschüttern, Inflation oder Bankrott auslösen.

Europa geriet vergangene Woche ins Visier dieser unsichtbaren Mächte. Eine Hysterie kündigte sich an, sie kann den Volkswirtschaften hoch überschuldeter Euro-Länder schweren Schaden zufügen und den Euro so weit zerstören, dass nur noch wenige Staaten mit einem halbwegs intakten volkswirtschaftlichen Kern eine Gemeinschaft mit ein und derselben Währung hätten bilden können. Die Gemeinsamkeit der europäischen Nationen ist bedroht, die politische Union kann schweren Schaden nehmen.

Die Staats- und Regierungschefs erlagen also keinem hysterischen Anfall, als sie binnen Stunden Beschlüsse fassten, die in vielen Jahren mühsamer Vertragsverhandlungen nicht vorstellbar gewesen wären. Europa wird an diesem Montag verändert sein, und die Bürger werden es möglicherweise nicht merken, aber die Schlacht von Brüssel hat die Gemeinschaft revolutioniert. Das zarte Band der Währungsunion wurde umschlossen von eisernen Ringen. Aber die Plötzlichkeit und die Dramatik der Entscheidung haben es nicht erlaubt, dass über Festigkeit und Zusammensetzung dieser neuen Gürtung ausreichend nachgedacht wurde.

Drei Schlingen sind es, die Europa und seine Währung nun zusätzlich zusammenhalten sollen: Die Kommission darf wegen außergewöhnlicher Bedrohungen der Union Geld aufnehmen. Zweitens wird die Europäische Zentralbank stärker in die Märkte eingreifen und wohl Schuldverschreibungen kaufen. Damit wird sie abhängiger von den Regierungen agieren. Und drittens werden einzelne Staaten, vor allem Deutschland, eine gewaltige Summe im Notfall bereitstellen, um das Gemeinschaftswerk Europa zu stützen. All das wird garniert mit einem Folterkatalog, der für mehr Stabilität, Disziplin und Transparenz in Europa und für mehr Kontrolle bei den Kriegstreibern am Computerbildschirm sorgen soll. Alles gut also am Ende?

Noch lange nicht, denn die Konstruktion ist instabil, die Begleiterscheinungen bei der hastigen Zusammensetzung des Abwehrschildes und die atemraubenden Summen geben Grund zur Besorgnis. Es war wieder einmal der französische Präsident, der mit untrüglichem Machtinstinkt den historischen Augenblick erfasste und sich als Anführer im Getümmel zu stilisieren verstand.

Sarkozy gegen Merkel

Nicolas Sarkozy ist ein eitler Mann, der die grundlegende Mechanik der EU - das konstruktive Zusammenspiel zwischen Frankreich und Deutschland - immer wieder schweren Belastungen aussetzt.

Diesmal führte er die Verhandlung, als gelte es Deutschland zu isolieren und eine uneinsichtige Kanzlerin zur Gefolgschaft zu zwingen. Damit erschwert der Präsident die Durchsetzbarkeit der Beschlüsse, und vor allem irritiert er die Märkte. Wie soll der Schutzschirm Spekulanten abschrecken, wenn der größte Garant für das Geld - die Bundesregierung - als uneinsichtig dasteht? Ohne Deutschlands Beitrag wird es keine Ruhe an den Märkten geben.

Neben Sarkozy aber bleibt tatsächlich eine Kanzlerin, die Mühe haben wird, ihren radikalen Schwenk binnen Stundenfrist einer geneigten Öffentlichkeit zu erklären, und mehr noch: Zustimmung für die gewaltigen Hilfszusagen im Parlament zu erhalten. Noch am Freitagmorgen stimmte der Bundestag über das Griechenland-Paket ab, das von Respekt vor den Institutionen geprägt war. Am Abend dann gab die Kanzlerin ihr Einverständnis für den Systemwechsel. Merkel mag viele Argumente für ihre langanhaltende Hartleibigkeit haben. Das Wichtigste ist sicherlich, dass Griechenland lange wie ein Einzelfall behandelt werden musste, und die Irrationalität der Märkte nicht vorhersehbar war.

Nun aber muss sie mit dem Urteil leben, dass ein Rettungsschirm à la française schon vor Wochen hätte aufgebaut werden können, sie aber den Preis unnötig in die Höhe trieb. Das Urteil ist nicht falsch, aber es ist auch ungerecht, weil die Kanzlerin in der Abwägung ihrer Argumente die Landtagswahl und den zaudernden Koalitionspartner mit einem nicht sichtbaren Vizekanzler zu bedenken hatte, und weil ohne ihre Härte beim Griechenland-Paket die Kontrollregeln von den Sarkozys der Gemeinschaft gerne vergessen worden wären.

Zum Pech kommt noch das Unglück, sagt höhnisch der Volksmund, und die Kanzlerin wird nach diesem für sie schwarzen Wochenende das Attribut eisern aus ihrem Titel streichen müssen. Unrecht muss ihr das nicht sein. Erst am Ende wird abgerechnet, und das Ende dieser europäischen Reform-Saga muss noch geschrieben werden.

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