Europa in Not:Gefährliche Träume vom Aufschwung

Der Wunsch nach dem Ende der Krise vernebelt den Blick für das Wesentliche. Das ist hochriskant: Der Konjunktur droht der zweite Nackenschlag.

Karl-Heinz Büschemann

In der Wirtschaft herrscht eine merkwürdige Stimmung. Die Staatsschuldenkrise produziert so katastrophale Schlagzeilen, als stünde die Welt vor dem Untergang. Gleichzeitig häufen sich optimistische Meldungen, die den Eindruck erwecken, es habe die üble Finanzkrise nie gegeben, die 2008 begann und danach die halbe Weltwirtschaft in einen Abwärtsstrudel riss.

Konjunktur, ddp

Die Griechenland-Krise ist so gefährlich wie 2008 die Pleite der amerikanischen Lehman-Bank. Der Konjunktur droht ein schwerer Rückschlag.

(Foto: Foto: ddp)

Ein deutsches Mini-Wachstum von 0, 2 Prozent im ersten Quartal wird bereits zur Erfolgsbotschaft hochstilisiert.Viele Firmenchefs sprechen inzwischen vom Jahr eins nach der Krise, als stünde der neue Aufschwung vor der Tür und als sei das konjunkturelle Grauen der vergangenen 24 Monate schon weit zurückliegende Historie

Vieles spricht dafür, dass bei manchen der Wunsch nach dem Ende der Krise den Blick für das Wesentliche vernebelt. Das ist gefährlich. Die von Griechenland ausgehenden Erschütterungen sind ein Anzeichen dafür, dass die Weltwirtschaft noch einmal durchgeschüttelt wird. Der Konjunktur droht der zweite Nackenschlag.

Die Griechenland-Krise ist so gefährlich wie 2008 die Pleite der amerikanischen Lehman-Bank. Die sorgte dafür, dass ganze Branchen in eine Flaute stürzten. Auch nach dem massiven Stützungsprogramm von 750 Milliarden Euro für Athen glauben viele Ökonomen, dass die Insolvenz Griechenlands nicht zu vermeiden sein wird. Portugal, Spanien oder Italien könnten noch in den Sog der Katastrophe gezogen werden.

Es ist unwahrscheinlich, dass die brutalen Sparmaßnahmen, die der internationale Währungsfonds und die EU von Griechenland und anderen Staaten verlangen, durchgesetzt werden. Die Griechen laufen schon jetzt dagegen Sturm. In ganz Europa wird das Risiko sozialer Spannungen wachsen, wenn nach dem Auslaufen der Konjunkturprogramme die große Sparwelle einsetzt. Die Politiker werden schnell ihre Grenzen sehen.

Warum sollen die Schuldensünder in der EU, zu denen auch Deutschland gehört, plötzlich andere Saiten aufziehen und ihre Haushalte mit Sparmaßnahmen in Ordnung bringen, zu denen sie bisher nicht bereit waren? Der Haushaltsschlendrian der Regierungen lässt sich nicht mit ein paar forschen Vorgaben von EU und IWF austreiben.

Länder in der Schuldenfalle

Die Griechenland-Krise hat Vertrauen zerstört. Nicht nur, weil Athen die Schuldenbilanz schöngefärbt hat. Die Menschen sehen, dass die Griechen nicht allein die Bösen in diesem Spiel sind. In der EU steckt ein halbes Dutzend Länder in einer Schuldenfalle. Durch die Griechenland-Malaise geraten Staatsanleihen bei den Bürgern Misskredit. Diese Papiere, die einst als Anlageform für Risikoscheue galten, haben sich zu Chips in einem riesigen Glücksspiel gewandelt - ein Vertrauensverlust, der lange undenkbar war.

Noch nach der Lehman-Krise wurden die Politiker als Retter gefeiert, die Staaten galten als Refugien der Sicherheit in einer Krise, die als Machwerk verrückt gewordener Banker und Manager galt. Jetzt spüren die Menschen, dass die Regierungen in der Weltfinanzkrise gar nicht die erhoffte Lösung bieten können, weil sie Teil des Problems sind. Der Internationale Währungsfonds selbst erschüttert noch das Vertrauen in die Handlungswilligkeit der Politiker, wenn er feststellt, dass das Schuldenproblem in Italien viel länger dauern wird als in anderen EU-Ländern. Wo soll da noch Vertrauen in die Regierungen möglich sein? Doch ohne Vertrauen kann keine Wirtschaft funktionieren, schon gar nicht kann sie wachsen.

Trügerische Börsenkurse

Schon vor der Staatsschuldenkrise waren die Fundamentaldaten der europäischen Volkswirtschaften schwach. Mögen die Börsenkurse zuletzt den Eindruck erweckt haben, gute Zeiten stünden bevor - die Fakten sind nicht so aufregend wie die Träume mancher Berufsoptimisten. Das jüngste Gemeinschaftsgutachten der Wirtschaftsinstitute spricht von geringer Dynamik der Volkswirtschaften außerhalb Asiens. In den Industrieländern ist die Auslastung der Produktionskapazitäten nach wie vor gering, die Erholung nicht gefestigt.

Auch ohne Griechenland und Euro-Krise wäre die wirtschaftliche Dynamik in diesem und im kommenden Jahr schwach. Die Maschinenbauer fürchten, das bisschen Dynamik, das in den vergangenen Monaten entstanden ist, könnte sich wegen der auslaufenden Konjunkturprogramme und der Unsicherheit an den Finanzmärkten bald verflüchtigen. Man muss nur genau zuhören, was manche Unternehmer sagen. BMW-Vorstandschef Reithofer verkündet zwar die Rückkehr zum Wachstum. Er freut sich auch, dass er vom schwächer werdenden Euro ein wenig profitieren kann. Aber er spricht auch davon, dass es noch große Risiken in der Weltwirtschaft gibt. Jürgen Hambrecht, Chef von BASF, freute sich vor wenigen Tagen über eine positive Geschäftsentwicklung im Frühjahr. Aber auch für ihn steht die Entwicklung im weiteren Jahresverlauf "auf wackeligen Füßen".

Die Unternehmen haben in den vergangenen anderthalb Jahren brutale Sanierungen hinter sich gebracht. Sie stehen heute besser da als vor zwei Jahren. Doch die Frage ist, ob sie für ihre Anstrengungen schon jetzt belohnt werden oder ob sie noch weitere Schritte gehen müssen. Wo die Menschen sich Sorgen machen um ihre Zukunft, werden sie ihr Geld eher sparen als es in den Konsum zu stecken. Das Vertrauen wird erst zurückkehren, wenn die Regierungen sich eine neue Glaubwürdigkeit erarbeitet haben. Das kann dauern.

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