Europa in der Schuldenkrise:Rezepte für den griechischen Patienten

Viele Experten, noch mehr Meinungen: Der Schuldenstaat Griechenland leidet - doch nicht nur die Hellenen selbst, auch die EZB und der deutsche Finanzminister sind sich uneins, wie geholfen werden soll. Dabei hängt ein ganzes Land am Tropf und braucht dringend Hilfe. Welcher Akteur setzt auf welche Behandlung?

Bastian Brinkmann

Griechenland leidet, ein Pfund Butter kostet inzwischen fünf Euro. Die Regierung spart und kürzt und privatisiert, um die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Die griechischen Bürger stöhnen - und streiken.

Akropolis

Der Parthenon-Tempel auf der Akropolis.

(Foto: dpa)

Die gute Nachricht: Alle wollen Griechenland helfen, die Chefs der Euroländer, die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds. Die schlechte: Die Lösungsvorschläge sind unterschiedlich und widersprechen sich. In Brüssel konnten sich die Euro-Finanzminister am Dienstagabend nicht auf einen Kompromiss für ein neues Milliardenpaket einigen. Die Vorschläge, wie es mit Griechenland weitergehen soll, sind zu verschieden. Ein Überblick.

Eine Idee: Einfach alles laufen lassen und nichts tun. Mehr Urlaub für Politiker, fordert süffisant die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Anstatt hektisch neue Hilfen für Hellas zu bewilligen, sollten sich die europäischen Regierungschefs auf einer sonnigen Insel entspannen, schlug das Blatt vor und zitierte den Vertrag über die Europäische Union: "Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein." Die griechische Schuldenkrise gehe Merkel, Sarkozy und Co. also nichts an.

Das sieht die deutsche Regierung allerdings anders. Finanzminister Wolfgang Schäuble will neue Milliardenhilfen für Griechenland. "Die Lage in Griechenland und damit die in Europa ist ernst", sagte Schäuble, kurz bevor er im Bundestag die Erlaubnis bekam, über neue Hilfspakete zu verhandeln. Doch dabei geht es um viel Geld: Griechenland könnte bis zu 120 Milliarden Euro benötigen - zusätzlich zu den bisherigen Milliardenhilfen. Die Idee hinter diesen Rettungspaketen: Griechenland soll Zeit bekommen. Normalerweise finanzieren sich Staaten am Kapitalmarkt wie jeder Häuslebauer - nur wird Griechenland schief angeguckt, wenn es die Bank betritt. Denn nicht jeder traut Griechenland zu, die Kredite zurückzahlen zu können. Zuletzt hat die Ratingagentur Standard & Poor's langfristige Staatsanleihen auf CCC herabgestuft: kurz vor Bankrott. Wer von den Agenturen eine schlechte Note bekommt, muss höhere Zinsen zahlen - unerträglich hoch im Falle Griechenlands.

Bis die Finanzmärkte Griechenland wieder trauen, springt Europa als Geldgeber ein. Je länger diese Zweifel jedoch andauern, desto mehr Hilfe braucht Griechenland. Umsonst bekommen die Hellenen das Rettungsgeld aber nicht, sie zahlen Zinsen.

Die Banken freiwillig verpflichten?

Das neue Paket sollen aber nicht die Mitgliedsstaaten alleine stemmen. Das forderte Finanzminister Schäuble in einem Brief an seine europäischen Kollegen. Stattdessen will er private Investoren substanziell beteiligen, also Banken und Versicherungen, die von Griechenland Anleihen gekauft haben. Sie sollen auf 30 bis 35 Milliarden Euro verzichten. Dies könnte geschehen, indem sie die Laufzeiten ihrer griechischen Anleihen um sieben Jahre verlängern.

Der Knackpunkt: Schäuble will die Privaten höflich zwingen. Sie sollen sich freiwillig verpflichten. Das klingt paradox und ruft Kritiker auf den Plan. Denn wenn Anleger auf einen Teil ihrer Rendite verzichten müssten, werden die Ratingagenturen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein sogenanntes Credit Event ausrufen. Der Begriff bezeichnet eigentlich einen Zahlungsausfall, wenn also der Häuslebauer seinen Job verliert und die Raten nicht mehr stemmen kann.

Die möglichen Folgen des Crashs

Ein Credit Event kann fatale Folgen haben. Zum einen für die Staaten: Griechenland könnte einen Crash erleben, der das Land auf Jahre niederwirft. Zusätzlich würden die Banken vielleicht anfangen, auch anderen europäischen Ländern zu misstrauen. Die Zinsen würden dann für alle Euroländer steigen. Sie müssten im Budget mehr Geld einplanen, um die Kredite zu bedienen. Der Eurokurs könnte ins Schlingern geraten. Als Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker letztens nebenbei erwähnte, Griechenland würde vielleicht keine Hilfen mehr bekommen, brach der Euro um fast zwei Cent ein.

Zum anderen könnte eine Griechenland-Pleite einen Lehman-Effekt haben. Die Pleite der US-Bank schickte 2008 Schockwellen durch das Weltfinanzsystem, eine globale Wirtschaftskrise folgte. Wenn eine Bank viele griechische Anleihen in der Bilanz hat, wären diese auf einen Schlag weniger wert. Im schlimmsten Falle würde die Bank pleitegehen. Gerade griechische Banken besitzen griechische Anleihen, aber auch französische Banken haben dem Staat einige Milliarden geliehen. Auch die deutschen Banken wären betroffen: Geschätzte zehn Milliarden Euro halten sie noch, vor einem Jahr waren es fast noch 15 Milliarden gewesen. Allen voran die Bad Bank HRE hält diese Papiere, gefolgt von Commerzbank und der Deutschen Bank. Auch Landesbanken besitzen Staatsanleihen, wie die Nachrichtenagentur Reuters letztens zusammengestellt hat. Viele Institute werden die Werte bereits in den Bilanzen wenigstens teilweise abgeschrieben haben.

Weil die Folgen nicht absehbar sind, warnt der künftige EZB-Präsident, Italiens Notenbankgouverneur Mario Draghi, die privaten Investoren zu einem Verzicht zu zwingen. Eine Ansteckungsgefahr könne nur durch eine strikte Freiwilligkeit vermieden werden. Dem schließt sich auch die EU-Kommission an.

Kracht Griechenland, kracht der Euro - dem widerspricht Bundesbank-Chef Jens Weidmann in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Wenn Griechenland nicht weiter spart, dürfe es keinen neuen Hilfen geben, schreibt Weidmann. "Der Euro würde aber auch diese, keinesfalls wünschenswerte Belastungsprobe überstehen."

Griechenland wird von seinen europäischen Partnern schon lange zum Sparen aufgerufen. Die OECD lobte zwar den Staat, die Defizitquote 2010 um fünf Prozent reduziert zu haben, was die größte Sparanstrengung in einem Mitgliedsstaat seit 30 Jahren ist. Doch fordert beispielsweise der Ökonom Nouriel Roubini, der als Dr. Doom mit seiner Vorhersage der Finanzkrise bekannt ist, dass Griechenland mehr spart: Selbst bei Kürzungen von zehn Prozent seien die Schulden noch zu hoch.

Doch schon gegen die jetzigen Sparpläne der Regierung protestieren die Griechen - am Mittwoch mit einem 24-stündigen Generalstreik. Die Parlamentsmehrheit des Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou bröckelt. Das Parlament stimmt Ende des Monats über die neue Sparrunde ab. Auch die Privatisierungspläne könnten nicht so viele Milliarden liefern wie erhofft, analysieren die Nachdenkseiten.

Wie Griechenland nun behandelt werden soll, werden die Euro-Minister am Sonntag in Luxemburg beraten - einen Tag früher als zunächst geplant. Der Markt wird schon nervöser. Die Versicherungen für fünfjährige griechische Staatsanleihen, die sogenannten Credit Default Swaps, die im Zahlungsausfall einspringen, stiegen am Mittwoch auf ein Rekordhoch. Die Furcht an den Finanzmärkten wächst, der Druck auf die europäischer Politiker ebenfalls. Urlaub sieht anders aus.

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