Süddeutsche Zeitung

Europa in der Krise:Der Weg in die Transferunion

"Die Regierungschefs haben begonnen, den Geburtsfehler des Euro zu korrigieren": Ökonomen sind überzeugt, dass in Europa demnächst jeder für jeden haftet. Auch deutsche Steuerzahler wird es treffen.

Catherine Hoffmann

Eines ist klar: Europa marschiert voran in Richtung Transferunion - nicht so schnell wie manche es sich wünschen, aber schneller als es vielen Deutschen lieb sein dürfte. Das ist das Urteil vieler Ökonomen, nachdem sie die komplizierten Beschlüsse des Euro-Gipfels vom Donnerstag gesichtet haben. Und doch scheiden sich die Geister, in der Frage, ob dies gut oder schlecht ist. "Die Finanzmärkte reagieren erfreut auf die Krisenhilfe", sagt Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts. "Da es hier um einen harten Verteilungskonflikt zwischen Investoren und europäischen Steuerzahlern geht, müssen sich die Steuerzahler Sorgen machen." Ihnen, fürchtet der Wirtschaftsprofessor, würden neue Lasten aufgebürdet. Auch Deutschland wird noch mehr Milliarden Euro nach Athen überweisen.

Viele Bürger argwöhnen, längst die Zahlmeister der Griechen und anderer europäischer Schuldensünder zu sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mühte sich deshalb, die Angst der Deutschen vor endlosen Transferzahlungen zu zerstreuen. Sie werde alles tun, den Beitrag der Bundesrepublik "möglichst gering" zu halten. Im übrigen gelte: "Was wir in diesen Zeiten für Europa und den Euro aufwenden, das bekommen wir auf ein Vielfaches zurück." Wer den europäischen Gedanken hochhält, der mag dem beipflichten.

Eklatanter Mangel an Wettbewerbsfähigkeit

Thomas Straubhaar beispielsweise, der Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) ist überzeugt davon, dass der Politik mit dem Euro-Sondergipfel die Flucht nach vorn gelungen ist. "Die Regierungschefs haben begonnen, den Geburtsfehler des Euro zu korrigieren", sagt der Ökonom, der keinen Zweifel daran lässt, wohin der Weg führt: "erst in Richtung einer Transferunion, dann in eine Fiskalunion, später wohl sogar zwangsläufig in eine politische Union."

Straubhaar ist überzeugt, dass eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Fiskalpolitik nicht überlebensfähig ist. Es sei ein Irrtum gewesen, sich bei der Geburt des Euro darauf zu verlassen, dass allein die gemeinsame Währung die gravierenden ökonomischen Unterschiede innerhalb des Euro-Raumes ausgleichen würde.

Das Gegenteil sei geschehen: Der Abstand zwischen dem leistungsschwachen Süden und dem starken Norden habe sich verschärft. Einen Weg zurück sieht Straubhaar nicht, weil er die alten Nationalismen wiedererwecken würde. Die Schuldenkrise könne nur gemeinsam bewältigt werden. Der Wirtschaftsforscher weiß: Die europamüde Bevölkerung macht nur mit, wenn es mehr Mitbestimmung gibt. Doch daran hapere es. "Die nationalen Parlamente spüren jetzt, dass sie gegen ihren Willen ausgehebelt werden", sagt Straubhaar mit Blick auch auf die Gipfelbeschlüsse.

Um den Zusammenbruch Griechenlands und eine Ansteckung großer Volkswirtschaften wie Spanien und Italien zu verhindern, werden dem überschuldeten Land weitere finanzielle Nothilfen gewährt - insgesamt 109 Milliarden Euro. Die Euro-Mitglieder haften nun beinahe vollständig für die griechischen Schulden. "Die Regierung in Athen wird nicht in der Lage sein, das Geld zurückzuzahlen", warnt Ifo-Chef Sinn. "Wenn es zurückgezahlt wird, dann nur mit neuen Transferleistungen, die Griechenland in Zukunft von der Staatengemeinschaft erhält." Das zentrale Problem der griechischen Wirtschaft - ein eklatanter Mangel an Wettbewerbsfähigkeit - werde dadurch nicht gelöst. Dazu müssten Löhne und Preise noch tiefer sinken, bis die Touristen wieder in Scharen nach Griechenland reisten.

Eines immerhin haben Europas Politiker gewonnen: mehr Zeit. "Das Risiko, dass die Schuldenkrise eskaliert, wurde eingedämmt, jetzt dürfte die Krise erst einmal abebben", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Aber um den Preis, dass wir noch tiefer in die Transferunion hineingehen."

Kritischer noch als neue Milliardenkredite für Athen sehen Volkswirte die wachsende Macht des europäischen Rettungsfonds EFSF. Der soll künftig Staatsanleihen von schlingernden Mitgliedsstaaten aufkaufen können. Das stützt die Kurse von Zinspapieren, die erheblich unter Druck geraten sind. Und es verhindert, dass Staaten, die nicht solide wirtschaften, mit hohen Zinsen bestraft werden. In dem Maße wie der Fonds nämlich von Banken und Versicherungen Staatsanleihen kauft, werden die Marktkräfte ausgehebelt. Italien musste beispielsweise vor ein paar Tagen Käufern seiner Anleihen eine stattliche Gefahrenzulage bieten, weil dies am Sparwillen der Regierung zweifelten. Der Druck der Börse brachte das erwünschte Ergebnis: Flugs wurde ein großes Sparpaket beschlossen.

Das zeigt, dass Europas Politiker falsch liegen, wenn sie die Schulden vergemeinschaften", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Sinn. "Wenn wir jedem Land die gleichen niedrigen Zinsen zubilligen, dann gibt es diesen Disziplinierungsmechanismus nicht mehr." Die Schuldenländer würden es mit ihren Reformen nicht mehr so ernst nehmen, wenn sie sich im Zweifel darauf verlassen könnten, dass der Luxemburger Fonds Anleihen kauft. Sinn hält vor allem diesen Teil der Brüsseler Einigung für fatal. "Das ist der Durchbruch für Leute, die gemeinsame Euro-Bonds und die Vergemeinschaftung der Schulden wollen", glaubt der Ifo-Chef. Denn für den Fonds haften alle Euro-Länder gemäß ihrem Kapitalanteil an der Europäischen Zentralbank.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1123712
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.07.2011/hgn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.