Zweitens zeigt sich, dass die Politik immer dann mit Spekulanten zu kämpfen hatte, wenn sie sich selbst in eine Zwickmühle manövriert hatte; weil sie Dinge durchsetzen wollte, die sich nicht glaubhaft unter einen Hut bringen ließen. Die Märkte wittern solche Inkonsistenzen und nutzen die Zwangslagen der Politik gnadenlos aus. Frankreichs Politiker konnten sich in den 1920er Jahren nicht zwischen teuren sozialpolitischen Programmen und der Rückkehr zum Goldstandard entscheiden, sondern wollten beides. Prompt wurden die Politiker zu Getriebenen des Marktes.
Professor Moritz Schularick ist Professor für Wirtschaftsgeschichte am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin.
(Foto: online.sdewirtschaft)Einladung an die Märkte
Leider verheißt diese historische Diagnose nichts Gutes für die gegenwärtige Euro-Krise. Dies ist einerseits den makroökonomischen Ungleichgewichten in der Eurozone geschuldet, deren Reduzierung viele Jahre dauern wird. Aber auch die Entscheidungen der vergangenen Wochen sind daran schuld.
Die europäischen Regierungen haben im Sinne der ebenso hehren wie vagen Idee der "europäischen Solidarität" beschlossen, dass kein Mitgliedsland pleitegehen darf. Im selben Atemzug beteuert man aber, dass es keine Fiskalunion geben wird. Die Botschaft ist letztlich, dass die Solidarität ihre Grenzen hat. Es gibt eine Grenze an Hilfen, die Deutschland und andere finanzstarke Länder zu tragen bereit sind. Der Formelkompromiss von Brüssel ist eine Einladung an die Märkte, herauszufinden, wo diese Grenze liegt.
Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich durch ihre Entscheidung, Staatsanleihen finanzschwacher Länder zu kaufen, in eine schwierige Lage manövriert. Unabhängig davon, ob die EZB die Käufe neutralisiert und eine Ausweitung der Geldmenge verhindert, kann sie den europäischen Südstaaten nicht in unbegrenztem Umfang helfen.
Früher oder später wird sich in Deutschland und anderswo Widerstand gegen den massiven Transfer von Kreditrisiken in die Bücher der EZB regen. Auch der Markt wird dies entdecken und testen, wie viele Anleihen die EZB denn wirklich zu kaufen bereit ist, bevor sie zwischen die politischen Fronten gerät: Werden die soliden Euro-Länder nervös, wenn die EZB zehn, 20 oder 30 Prozent der griechischen Staatsschuld aufgekauft hat?
Nur zwei glaubwürdige Alternativen
Die Politik sollte aus der Geschichte zumindest eine wichtige Erkenntnis für die jetzige Krise ziehen: Wenn man alles auf einmal will, wird man erpressbar und zum Spielball des Marktes. Nur wenn man bereit ist, unangenehmen Wahrheiten ins Auge zu sehen, gewinnt man die Handlungshoheit zurück.
Mittelfristig gibt es für die Währungsunion nur zwei glaubwürdige Alternativen: Entweder es geht in die Richtung einer Fiskalunion auf der Basis gemeinsamer Regeln für gute Haushaltsführung; oder die EU wischt den Gedanken der Solidarität mit Haushaltssündern vom Tisch und akzeptiert die Möglichkeit der Zahlungsunfähigkeit eines Mitglieds der Eurozone. Je früher die Politik erkennt, dass sie nicht zu beidem nein sagen kann, umso schneller wird sie die Spekulanten wieder los.