Europa in Aufruhr:Die Rückkehr der Spekulanten

Europa leidet unter einer Plage, die es schon immer gab: Die Märkte treiben die Politik vor sich her. Doch die Schuld daran trägt die Politik selbst.

Moritz Schularick

Die Spekulanten sind zurück - und Europa ist in Aufruhr. Die Märkte treiben die Politik vor sich her. Schnell ist von Systemfehlern die Rede und davon, dass die Entscheidungsprozesse in modernen Demokratien zu schwerfällig seien, um mit dem Geschehen an den Finanzmärkten noch fertig zu werden. Dabei entdeckt Europa zurzeit nur etwas wieder, das an sich nichts Neues ist: den Kampf der Politik mit spekulativen Kapitalbewegungen. Sie waren die Plage der europäischen Wirtschaft zwischen den beiden Weltkriegen. Erst seit der Einführung des Euro war von Spekulanten in Europa wenig zu hören. Aber jetzt sind sie zurück im Herzen des alten Kontinents.

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Händler an der Terminbörse: Seit der Einführung des Euro war von Spekulanten in Europa wenig zu hören. Aber jetzt sind sie zurück im Herzen des alten Kontinents.

(Foto: ag.rtr)

In Krisenzeiten hat die Wirtschaftsgeschichte stets Hochkonjunktur. Wenn die Schwächen der vorherrschenden Modelle offenbar geworden sind, kann der Blick zurück in die Vergangenheit helfen, das Geschehen besser zu verstehen. Welche Lehren hält die Geschichte also bereit?

Der wohl berühmteste Konflikt zwischen Politik und Spekulanten spielte sich zwischen 1923 und 1926 in Frankreich ab. Die Staatsschulden der Grande Nation waren im Krieg explodiert, und die Ausgaben für Wiederaufbau und die Versorgung der Veteranen gleichzeitig stark gestiegen.

Voraussagen, die sich selbst erfüllten

Die Politiker konnten sich nicht entscheiden, entweder unter erheblichen politischen Kosten die Steuern zu erhöhen, den Haushalt zu sanieren und zum Goldstandard zurückzukehren - oder aber zu versuchen, durch Abwertung die Exporte anzukurbeln und über höhere Inflation die Schuldenlast zu verringern. Mal hatte die Reduzierung der Staatsschulden Vorrang, mal waren es zusätzliche Ausgaben, die mit erwarteten Reparationen aus Deutschland gerechtfertigt wurden.

Was die Spekulanten damals entdeckten - und was ihnen französische Politiker bis heute nicht verziehen haben - war, dass der Druck des Finanzmarktes den einen oder anderen wirtschaftspolitischen Kurs wahrscheinlicher machen kann. Denn immer wenn Spekulanten den Franc verkauften, fiel der Wechselkurs und die Zinsen stiegen.

Eine Haushaltssanierung und die Rückkehr zum Goldstandard wurden dadurch schwieriger. Was auf den Märkten passierte, bestimmte die politische Machbarkeit der Politik. Dadurch konnte der Finanzmarkt Voraussagen machen, die sich selbst erfüllten.

Auch Großbritannien blieb vor spekulativen Attacken nicht verschont. Am "Schwarzen Mittwoch", dem 16. September 1992, schied das britische Pfund aus dem europäischen Wechselkursmechanismus aus.

Kein neues Phänomen

Unter anderem hatte George Soros, der heute ein entschiedener Kritiker der globalen Finanzordnung ist, gegen das Pfund spekuliert. Seine Wette war, dass Großbritanniens Politiker nicht lange bereit sein würden, die Zinsen auf dem hohen Niveau zu halten, das für die Verteidigung des festen Wechselkurses mit der D-Mark notwendig war. Soros sollte recht behalten. Schatzkanzler Lamont musste schließlich die Abwertung verkünden.

Welche Lehren hält die Geschichte also für die Politik in der gegenwärtigen Euro-Krise bereit? Erstens ist klar, dass der Kampf der Politik mit der Spekulation aller Aufregung zum Trotz kein neues Phänomen ist. Die gegenwärtigen Probleme haben weder mit der Langsamkeit demokratischer Prozesse noch mit einem qualitativ neuen Angriff auf den Primat der Politik zu tun.

Zwangslagen der Politik

Zweitens zeigt sich, dass die Politik immer dann mit Spekulanten zu kämpfen hatte, wenn sie sich selbst in eine Zwickmühle manövriert hatte; weil sie Dinge durchsetzen wollte, die sich nicht glaubhaft unter einen Hut bringen ließen. Die Märkte wittern solche Inkonsistenzen und nutzen die Zwangslagen der Politik gnadenlos aus. Frankreichs Politiker konnten sich in den 1920er Jahren nicht zwischen teuren sozialpolitischen Programmen und der Rückkehr zum Goldstandard entscheiden, sondern wollten beides. Prompt wurden die Politiker zu Getriebenen des Marktes.

Europa in Aufruhr: Professor Moritz Schularick ist Professor für Wirtschaftsgeschichte am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin.

Professor Moritz Schularick ist Professor für Wirtschaftsgeschichte am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin.

(Foto: online.sdewirtschaft)

Einladung an die Märkte

Leider verheißt diese historische Diagnose nichts Gutes für die gegenwärtige Euro-Krise. Dies ist einerseits den makroökonomischen Ungleichgewichten in der Eurozone geschuldet, deren Reduzierung viele Jahre dauern wird. Aber auch die Entscheidungen der vergangenen Wochen sind daran schuld.

Die europäischen Regierungen haben im Sinne der ebenso hehren wie vagen Idee der "europäischen Solidarität" beschlossen, dass kein Mitgliedsland pleitegehen darf. Im selben Atemzug beteuert man aber, dass es keine Fiskalunion geben wird. Die Botschaft ist letztlich, dass die Solidarität ihre Grenzen hat. Es gibt eine Grenze an Hilfen, die Deutschland und andere finanzstarke Länder zu tragen bereit sind. Der Formelkompromiss von Brüssel ist eine Einladung an die Märkte, herauszufinden, wo diese Grenze liegt.

Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich durch ihre Entscheidung, Staatsanleihen finanzschwacher Länder zu kaufen, in eine schwierige Lage manövriert. Unabhängig davon, ob die EZB die Käufe neutralisiert und eine Ausweitung der Geldmenge verhindert, kann sie den europäischen Südstaaten nicht in unbegrenztem Umfang helfen.

Früher oder später wird sich in Deutschland und anderswo Widerstand gegen den massiven Transfer von Kreditrisiken in die Bücher der EZB regen. Auch der Markt wird dies entdecken und testen, wie viele Anleihen die EZB denn wirklich zu kaufen bereit ist, bevor sie zwischen die politischen Fronten gerät: Werden die soliden Euro-Länder nervös, wenn die EZB zehn, 20 oder 30 Prozent der griechischen Staatsschuld aufgekauft hat?

Nur zwei glaubwürdige Alternativen

Die Politik sollte aus der Geschichte zumindest eine wichtige Erkenntnis für die jetzige Krise ziehen: Wenn man alles auf einmal will, wird man erpressbar und zum Spielball des Marktes. Nur wenn man bereit ist, unangenehmen Wahrheiten ins Auge zu sehen, gewinnt man die Handlungshoheit zurück.

Mittelfristig gibt es für die Währungsunion nur zwei glaubwürdige Alternativen: Entweder es geht in die Richtung einer Fiskalunion auf der Basis gemeinsamer Regeln für gute Haushaltsführung; oder die EU wischt den Gedanken der Solidarität mit Haushaltssündern vom Tisch und akzeptiert die Möglichkeit der Zahlungsunfähigkeit eines Mitglieds der Eurozone. Je früher die Politik erkennt, dass sie nicht zu beidem nein sagen kann, umso schneller wird sie die Spekulanten wieder los.

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