Eurokrise:Merkels Quadratur des Kreises

Eigentlich müsste die Krise Merkels Moment sein, sie ist es aber nicht. Die Kanzlerin erscheint unschlüssig. Sie will gelassen bleiben und gleichzeitig Stärke zeigen. Das passt nicht zusammen. Merkel strahlt nicht das Vertrauen aus, das Europa nun bräuchte.

Stefan Kornelius

Man muss ja nicht gleich in Pathos verfallen, wenn man in den Geldbeutel schaut. Zu Zeiten der D-Mark aber war den Deutschen ihre Währung wenigstens ein Possessivpronomen wert: unsere Mark wurde das liebe Geld genannt. Heute gibt es nur den Euro, niemand will ihn so nahe an sich heranlassen, dass er von unserem Euro spräche.

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- German chancellor Angela Merkel leaves a meeting of the European People's Party (EPP), held ahead of an European Union summit on December 16, 2010 in Meise, outside Brussels. AFP PHOTO / JEAN-CHRISTOPHE VERHAEGEN

(Foto: AFP)

Dabei wären die Deutschen sehr gut beraten, sich ein wenig inniger mit ihrer Währung anzufreunden und sehr selbstbewusst all jene in die Schranken zu weisen, die den Euro als Belastung ansehen und in den Krisenstaaten der Eurozone nur noch arbeitsscheue und schmarotzende Kostgänger entdecken. Diese Populisten-Ökonomie hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun, so schlicht funktioniert die europäische Währungsunion nicht.

Wer Europas Vor- und Nachteile gegeneinander aufrechnet, der hat sich schon auf die schiefe Ebene begeben. Handelsströme, die Vorteile des Binnenmarktes, die Finanzbewegungen und vor allem das im Euro verborgene politische Kapital lassen sich nicht in eine Excel-Tabelle pressen. "Es geht im 21.Jahrhundert um die Selbstbehauptung der europäischen Zivilisation", schreibt Helmut Schmidt in der Zeit. Wenn einer gelassen aber glaubwürdig diese gewaltige Fallhöhe benennen darf, dann der frühere Bundeskanzler.

Seine Nachfolgerin im Amt hat sich in den vergangenen Wochen ebenfalls zu etwas mehr Leidenschaft hinreißen lassen. Aber Angela Merkel scheint immer noch das Gefühl für Europa zu fehlen, das ein in Südwestdeutschland sozialisierter Helmut Kohl oder ein Wolfgang Schäuble entwickelt haben. Merkel indes scheint hypnotisiert zu sein von Technokraten, die gebannt auf das Verfassungsgericht starren; sie wirkt sediert von Hauptbedenkenträgern, die ihr jede Lust an der großen Geste austreiben.

Europa tut sich allemal schwer mit seinen Symbolen, aber gerade jetzt bräuchte man die Bilder, die sich ins Gedächtnis einprägen und Europa in der Krise Hoffnung geben. Wäre es so abwegig, wenn Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy auf der Akropolis an die Wurzeln Europas erinnerten? Wäre es nicht klug, wenn die beiden in Madrid auf der Plaza Mayor mit ein paar Vorstandsvorsitzenden der börsennotierten Großunternehmen Investitionsabkommen unterzeichneten?

Europas Währungskrise ist nämlich in ihrem Kern eine Vertrauenskrise. Die Märkte lassen die Regierungen wissen, dass sie ihnen nicht trauen. Sie wollen nicht glauben, dass die griechische oder die irische Volkswirtschaft am Ende nicht doch fallengelassen werden von den Deutschen oder anderen stabilen Nationen. Sie haben das Vertrauen nicht, dass ihre nach Athen verliehenen Euros auch wieder zurückgezahlt werden.

Die USA oder Japan, die weit höher verschuldet sind als die Länder der Eurozone zusammengenommen, genießen gleichwohl das Vertrauen der Märkte. Die Länder Europas hingegen nicht. Ganz besonders Deutschland traut man offenbar zu, dass es die europäischen Brüder in den Abgrund stoßen würde, wenn die Stunde der Entscheidung kommt. Diesem Verdacht ist die Bundeskanzlerin zu Unrecht ausgesetzt.

Es gibt viele Gründe, warum ein, sagen wir, 29-jähriger Fondsmanager in New York mit rudimentären Kenntnissen europäischer Geschichte und keinerlei Gespür für die politische Mission Europas seine Milliarden aus der Lehrer-Pensionskasse von Michigan lieber nicht an Portugal verleiht. Merkel personifiziert den wichtigsten Grund: Sie strahlt nicht das Vertrauen aus, das Europa nun bräuchte.

Die Kanzlerin erscheint unschlüssig. Sie versucht eine Quadratur des Kreises, indem sie zur selben Zeit Gelassenheit und Stärke zeigen will, Europa zu politischen Reformen drängt, ihr Beamtenheer offenbar zum Jagen tragen muss und nebenbei in größter Sorge um die Koalition lebt. Denn dies ist der eigentliche Skandal in dieser europäischen Großkrise, dass die alte Europapartei FDP verstummt ist, ihr Außenminister zur größten außenpolitischen Krise weitgehend schweigt und damit den Verdacht nährt, dass er nur auf den rechten Moment wartet, um den Populisten herauszukehren und den Applaus des Boulevards, der konservativen Zeitungen und der Talkshow-Bewohner wie Hans-Olaf Henkel einzusammeln. In der selben Versuchung steht die CSU. Das bürgerliche Lager ist nervös. Es geht ums Ersparte.

Nach dem der Beruhigung dienenden Europa-Gipfel bleiben wenige Wochen - die Weihnachtstage -, in denen sich Merkel an die Spitze der Bewegung setzen könnte. Komplexe Vorschläge werden von Volkswirten und Beamten erarbeitet, sie müssen vernünftig zusammengeführt werden. Es geht um einen politischen Schub, Regeln für die Haushaltsführung, um einen europäischen Währungsfonds, um Abschreibungen - die Krise braucht den Enthauptungsschlag.

Am Ende steht die Wahl zwischen mehr politischem Europa - oder dem Ende Europas. Entscheidungsfreiheit gibt es da freilich nicht. Deswegen braucht es Mut, das Unausweichliche zu benennen. Angela Merkel hat so viel politisches Kapital in Europa angesammelt, dass sie das Risiko eingehen kann.

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