Euro-Schutzschirm:Was den Euro stabil machen soll

Die Euroländer schützen ihre Währung mit Milliarden. Zahlt Deutschland dabei wirklich drauf? Jammert der Bundestag zu Recht oder kann er noch Druck machen?

Claus Hulverscheidt, Berlin

Von Mitte 2013 an soll ein dauerhafter Schutzschirm die Stabilität des Euro und den Zusammenhalt der Währungsunion sichern: der Europäische Stabilitätsmechanismus, kurz ESM. Er löst die provisorische Europäische Finanzstabilitätsfazilität (EFSF) ab, die die Euro-Länder nach der Beinahepleite Griechenlands im Eiltempo eingerichtet hatten.

April-Wetter an der Ostsee

Bei vielen verschwimmen die Zahlenwerte, wenn es um den Euro-Rettungsschirm geht.

(Foto: dpa)

Funktionieren soll der ESM so: Kann ein Staat die Zinsen, die Banken, Versicherungen, Investmentfonds und Privatanleger für den Kauf seiner Anleihen fordern, nicht mehr bezahlen, erhält er stattdessen für eine Übergangszeit von zwei bis drei Jahren Kredite aus dem Rettungsfonds. Voraussetzung ist, dass eine Insolvenz des Landes die gesamte Euro-Zone destabilisieren würde und dass die betroffene Regierung rigide Programme zur Sanierung des Haushalts und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auflegt. Kritiker befürchten, dass das ein Fass ohne Boden ist.

Wozu muss ein dauerhafter Schutzschirm eingerichtet werden?

Obwohl die Turbulenzen in Griechenland, Irland und Portugal völlig unterschiedliche Ursachen haben, zeigen sie, dass nicht nur Schwellen- und Entwicklungsländer, sondern auch Mitglieder des exklusiven Euro-Clubs in Zahlungsschwierigkeiten geraten können. In einer Währungsunion hat die Krise eines Mitgliedslandes aber unmittelbare Auswirkungen auf alle anderen. Um nicht jedes Mal aus dem Stegreif ein Rettungspaket schnüren zu müssen, wollen die 17 Euro-Staaten nun einen dauerhaften und verlässlichen Mechanismus für den Umgang mit Schuldenkrisen etablieren.

Woher bekommt der ESM das Geld, das er an Krisenstaaten auszahlt?

Der Fonds wird mit 700 Milliarden Euro ausgestattet. Er hat dieses Geld nicht, sondern leiht es sich günstig am Finanzmarkt und gibt es mit einem Aufschlag an Krisenländer weiter. Solange die Kredite bedient werden, profitieren alle: die betroffene Regierung, da sie niedrigere Zinsen zahlt als am Kapitalmarkt, und der ESM, weil er die Differenz zwischen dem Ausleih- und dem Verleihzins als Gewinn einstreicht. Damit sie die besten Zinssätze gewähren, verlangen die privaten Geldgeber allerdings Sicherheiten: Die Euro-Länder müssen den Fonds deshalb mit 80 Milliarden Euro an Eigenkapital ausstatten und für die verbleibenden 620 Milliarden Euro bürgen.

Wie viel steuert Deutschland bei?

Bisher hat die Bundesrepublik Gewährleistungen von 145 Milliarden Euro übernommen. 31 Milliarden davon werden für konkrete Programme genutzt: 22 Milliarden für das Griechenland-Paket und gut neun Milliarden für das irische EFSF-Programm. Verloren ist bislang kein einziger Euro. Zum künftigen Grundkapital des ESM steuert der Bund über fünf Jahre insgesamt 22 Milliarden Euro bei, zudem übernimmt er 168 Milliarden Euro an Gewährleistungen. Viele Kritiker ziehen alle diese Zahlen zu einer einzigen Risiko-Position von sage und schreibe 335 Milliarden Euro zusammen - was aus zwei Gründen unsinnig ist: Zum Ersten werden Äpfel (Eigenkapital) und Birnen (Bürgschaften) zusammengezählt. Und zum Zweiten werden EFSF und ESM ja nicht nebeneinander bestehen. Vielmehr wird die eine durch den anderen ersetzt.

Ifo-Chef Hans-Werner Sinn behauptet, dass die Deutschen mit 391 Milliarden Euro haften. Stimmt das?

Auch hier gilt: Wenn man einfach alle Risiko-Posten zusammenzählt - ja. Mit der Realität hat das jedoch nichts zu tun, da Sinn zu den Äpfeln zwar keine Birnen, dafür aber Apfelsinen, Zitronen und Melonen addiert: Einlagen der Bundesbank beim Internationalen Währungsfonds (IWF), Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB), Zahlungsströme zwischen den EU-Notenbanken und einiges mehr. Selbstverständlich ist - um einen Vergleich aus der Atomkraft zu wählen - in jedem dieser Bereiche ein GAU möglich. Was der Präsident des Ifo-Instituts aber suggeriert, ist, dass alle Kernkraftwerke der Welt gleichzeitig in die Luft fliegen. Das wird nicht geschehen.

Was kann der Bundestag machen - außer zu jammern?

Gibt es eine Art Schattenhaushalt der Bundesbank?

Nein. Richtig ist, dass Geschäftsbanken aus Irland, Griechenland und anderen möglichen Problemstaaten bei der EZB mit rund 340 Milliarden Euro in der Kreide stehen. Gemäß ihrem EZB-Anteil hat die Bundesbank als ausführendes Organ ein Drittel davon bereitgestellt - und als Sicherheit Wertpapiere in gleichem Umfang erhalten. Erst wenn die betroffenen Geschäftsbanken pleitegehen und zudem die Sicherheiten über Nacht wertlos werden, macht die EZB und in der Folge womöglich die Bundesbank Verlust.

Was geschieht flankierend?

Kanzlerin Angela Merkel sieht im Rettungsfonds zunächst ein Instrument der Abschreckung, das im Idealfall gar nicht angewendet werden muss. Ihre Hoffnung: Wegen der extrem harten ESM-Sanierungsauflagen machen die Euro-Länder erst gar keine zu hohen Schulden. Damit wäre zugleich den Spekulanten der Boden entzogen - zumal diese via Schuldenschnitt an den Rettungskosten beteiligt werden könnten. Da aber Merkel nicht naiv ist, belässt sie es nicht beim Prinzip Hoffnung: Vielmehr wird parallel zur Errichtung des Fonds die Haushaltsüberwachung in der EU verschärft.

Kann der ESM über den Kopf des Deutschen Bundestags hinweg auf deutsche Steuergelder zugreifen?

Nein. Alle Beschlüsse in den ESM-Gremien müssen einstimmig fallen, also mit der Stimme Deutschlands. Einzige Ausnahme: Vergibt der Fonds (auch hier gilt Einstimmigkeit!) während seiner Aufbauphase so viele Kredite, dass er sein Eigenkapital antasten muss, müssen die Mitgliedsländer ihre Beiträge schneller einzahlen als derzeit vorgesehen. Am Deckel von 22 Milliarden Euro für Deutschland ändert sich dadurch aber gar nichts.

Woher rühren die Diskussionen in den Bundestagsfraktionen?

Die Abgeordneten sind gebrannte Kinder, die in den letzten Jahren gleich mehrfach "alternativlose" Ad-hoc-Rettungspakete von der Regierung vorgesetzt bekamen und abnicken mussten. Sie fürchten, dass der schleichende Verlust ihrer Budget-Hoheit durch die Errichtung des ESM zementiert werden könnte.

Was kann das Parlament tun?

Jammern - oder endlich Druck machen. Zur Errichtung des ESM schließen die betroffenen Regierungen einen völkerrechtlichen Vertrag, der nur in Kraft treten kann, wenn ihn alle nationalen Parlamente ratifizieren. Die Beteiligung Deutschlands muss zudem durch ein nationales Gesetz geregelt werden, in dem der Bundestag umfassende Mitwirkungsrechte festschreiben kann. Natürlich können in Zukunft nicht vor jeder Entscheidung des ESM 17 Parlamente befragt werden. Denkbar wäre aber zum Beispiel, dass der Bundestag - analog zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr - nur ein befristetes Mandat erteilt. Für dessen Verlängerung müsste die Regierung dann Jahr für Jahr bei den Abgeordneten werben.

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