EU-Kommissar Barnier im Gespräch:Unterwerfen - und zwar sofort

Kein "Business as usual" mehr für die Banken: EU-Kommissar Michel Barnier über neue Regeln im Finanzsektor, Solidarität für den Euro - und den Willen von Frankreichs Präsidenten Sarkozy.

C. Gammelin und D. Stawski

Michel Barnier, 60, ist seit einem Jahr EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen. Der französische Politiker machte Karriere in der neogaullistischen RPR, er war 1978 jüngster Abgeordneter der Nationalversammlung und 1993 Umweltminister. Später wirkte er kurzzeitig als französischer Außenminister, dann als Landwirtschaftsminister. Der Konservative treibt Europas Einigung voran.

BELGIUM-EU-BARNIER

EU-Binnenmarktskommissar Michel Barnier: "Die europäischen Länder müssen zusammengehen, sonst bestimmen Chinesen und Amerikaner allein den Weg."

(Foto: AFP)

SZ: Herr Barnier, immer wieder bremsen große Länder die EU-Kommission. Zuletzt sorgte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy dafür, dass die Brüsseler Behörde einen Bericht über Spekulation auf Rohstoffmärkten nicht veröffentlichen durfte.

Michel Barnier: Ich habe nicht auf die französische G-20-Präsidentschaft gewartet, um vor Spekulanten zu warnen. Spekulationen tragen zu den Preisschwankungen bei. Das ist auf den Rohstoffmärkten so und auf den Finanzmärkten. Aber die Volatilität der Preise für Grundstoffe hängt nicht nur mit der Spekulation, sondern auch mit dem Unterschied in Angebot und Nachfrage zusammen. Bei den Nahrungsmitteln wird man die Produktion verdoppeln müssen, um in 30 Jahren neun Milliarden Menschen ernähren zu können.

SZ: Was heißt das? Wollen Sie nun gegen Spekulanten vorgehen? Oder nicht?

Barnier: Wir brauchen mehr Transparenz. Wir müssen verhindern, dass ein einzelner Marktteilnehmer einen zu großen Einfluss hat. Wir werden starke Vorschläge machen für den G-20-Gipfel.

SZ: Die Europäer glauben immer weniger an den Euro. Beunruhigt Sie das?

Barnier: Die Politiker müssen jeden Tag den Beweis für Europa antreten. Es ist unsere Verantwortung zu erklären, wie wir in einer Welt existieren können, in der es große Mächte gibt, die die Agenda bestimmen wollen. Die europäischen Länder müssen zusammengehen, sonst bestimmen Chinesen und Amerikaner allein den Weg. Das versteht jeder deutsche Arbeiter und jeder französische Landwirt. Der Euro ist ein Instrument, um unsere Unabhängigkeit zu bewahren. Alle Mitgliedsstaaten sind Miteigentümer des Euro und müssen sich an die gemeinsame Hausordnung halten.

SZ: Die gemeinsame Hausordnung?

Barnier: Ja, das ist unser Stabilitätspakt. Alle Mitgliedsstaaten wären gut beraten, dieselbe Stabilitätskultur zu beherzigen, wie es die Deutschen machen.

SZ: Ist der Euro in Gefahr?

Barnier: Europa und der Euro machen in der Krise große Fortschritte. Wir haben jetzt die Instrumente, die wir eigentlich schon vor zehn Jahren gebraucht hätten - und die uns in Zukunft helfen. Das sind die finanzielle Solidarität, die gemeinsame Aufsicht und die bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik.

SZ: Die deutsche Kanzlerin ist auf die Idee Sarkozys eingeschwenkt, eine Wirtschaftsregierung für die 17 Euro-Länder zu gründen. Wo bleiben die anderen?

Barnier: Es ist richtig, dass wir unsere Wirtschaftspolitik besser koordinieren müssen. Ich bin allerdings dafür, das für alle 27 zu machen. Man kann mit den 17 Euro-Ländern anfangen - aber es sollen ja alle dazukommen.

"Man muss die Geschichte nicht vorher abschreiben"

SZ: Auch die Briten? Die werden kaum für den Euro unterschreiben.

Barnier: Man muss die Geschichte nicht vorher abschreiben.

SZ: Sie wollen die Stabilität der Banken demnächst wieder prüfen. Wie sollen die Tests aussehen?

Barnier: Diese Tests prüfen die Widerstandsfähigkeit für etwas, was noch nicht eingetreten ist und vielleicht auch nicht eintreten wird. Das ist, als würde man Ihr Redaktionsgebäude darauf testen, ob es Erdbeben standhält.

SZ: Aber es wurden doch schon zwei Tests durchgeführt.

Bornier: Im vergangenen Sommer haben wir erstmals den Einfluss der Staatsverschuldung auf die Stabilität der Banken getestet, also geprüft, wie viele Staatsanleihen sie in den Büchern haben und wie sich eine Staatspleite auf das Bankensystem auswirken könnte. Bei der nächsten Serie wollen wir das noch stärker testen. Und wir wollen bewerten, wie liquide die Banken unter bestimmten Bedingungen sind, wie viel Geld sie also verfügbar haben. Wir wollen den Einfluss von Staatsschulden und Liquidität weiter analysieren. Die Einzelheiten werden gerade mit der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Bankenbehörde abgestimmt.

SZ: Wann geht es los?

Barnier: Spätestens im Frühjahr.

SZ: Bei den irischen Banken hatten die Stresstests versagt, es gab keine Warnungen. Und plötzlich stürzten sie ab?

Barnier: Wir wissen das und versuchen die Lehren daraus zu ziehen.

SZ: Die Banken werfen Ihnen vor, die nächste Krise zu provozieren, weil Sie zu strenge Auflagen machen. Was nun?

Barnier: Das ist Unsinn. Manche Manager haben offensichtlich ein kurzes Gedächtnis. Alle wissen, dass die Krise bei einigen Banken begonnen hat und wer dafür verantwortlich war. Es ist klar, dass es nach dieser Krise nicht mehr so sein wird wie vorher. Wir brauchen kluge Gesetze und eine strenge Aufsicht, in Europa und am besten weltweit.

"Banken sollen für Banken bezahlen"

SZ: Klingt nach viel Regulierung.

Barnier: Nein, es wird nicht zu viel sein. Es ist doch so, dass die Deregulierung zur Gewohnheit geworden war. Das müssen wir jetzt zurechtrücken. Auflagen machen bedeutet mehr als nur den Banken ein höheres Eigenkapital vorzuschreiben. Wir arbeiten auch an Vorschriften, um die interne und externe Aufsicht zu verbessern. Wir haben drei europäische Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherungen und Wertpapiermärkte. Wir wollen Regeln vorschreiben, wie eine Bank aufzulösen oder abzuwickeln ist, wenn sie in eine finanzielle Schieflage gerät. Wir regulieren auch Ratingagenturen, Hedgefonds und Vergütungen. Die Maßnahmen sind ausgewogen und passen zueinander.

SZ: Sie wollen also der Attacke der Banken standhalten?

Barnier: Ich bin fest entschlossen, alle Pläne vollständig umzusetzen. Für die Banken gibt es kein business as usual mehr. Das würden uns Steuerzahler und Bürger nicht verzeihen. Die Banken sollten verstehen, dass sie sich dem neuen System unterwerfen müssen. Ich appelliere an das Verantwortungsbewusstsein und die Mäßigkeit der Banken.

SZ: Frankreich führt in diesem Jahr die Weltgemeinschaft G 20. Steht somit die Finanztransaktionssteuer auf der globalen Agenda?

Barnier: Es gibt eine Idee, für alle weltweiten Transaktionen eine kleine Abgabe einzuführen - und das Geld zu nehmen, um große Herausforderungen zu meistern. Diese Idee halte ich persönlich für richtig. Man könnte so Klimaschutz in den Entwicklungsländern finanzieren. Solch eine Idee muss aber global getragen werden, damit sie wirkt. Und erst wenn man sich über das Prinzip einig ist, kann man über die Höhe reden. Das alles ist eine schwierige Debatte.

SZ: Hat Sarkozy die Kraft dafür?

Barnier: Er hat den Willen, und er ist überzeugt. Er wird Vorschläge machen, die Debatte lancieren. Aber dann muss man den politischen Mut haben, Entscheidungen zu treffen.

SZ: Und was machen Sie, der EU-Kommissar für den Binnenmarkt?

Barnier: Ich arbeite an einer Bankenabgabe. Sie soll ganz oder teilweise genutzt werden, um beispielsweise die Abwicklung einer Bank zu zahlen. Deutschland hat ein solches Modell schon vorgeschlagen. Ich kann das allen europäischen Ländern nur empfehlen. Banken sollen für Banken bezahlen. Ich führe seit April dazu eine Debatte mit den Mitgliedsländern.

SZ: Unterstützen Sie die Idee, eine europäische Steuer einzuführen, um den europäischen Haushalt zu finanzieren?

Barnier: Ich schließe aus, dass es zusätzliche Steuern in Europa geben wird. Die Kommission arbeitet daran, wie sie selbst Geld einnehmen, wie sie bestehende Steuern ersetzen könnte. Wir arbeiten auch an einer Vereinfachung des Mehrwertsteuersatzes und an einer einheitlichen Besteuerungsgrundlage für die Unternehmensteuern. Aber es gibt auf keinen Fall zusätzliche Steuern.

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