EU: Haushaltsdefizite:Finanzkontrolle ist gut, Demokratie besser

Notbremse gegen Schulden-Exzesse: Brüssel will die Staaten schärfer kontrollieren. Dabei darf es die EU jedoch nicht übertreiben.

Cerstin Gammelin

Die Idee der Europäischen Kommission, künftig vorab die nationalen Haushaltspläne der Mitgliedsstaaten begutachten zu wollen, klingt vernünftig. Ist sie auch demokratisch legitimiert? Das hängt von den Details, das hängt von der Ausgestaltung des Vorschlags ab. So ist es auch bei den beiden anderen Vorschlägen, wonach die Mitgliedsstaaten wirtschaftspolitisch enger kooperieren und einen dauerhaften Krisenfonds einrichten sollten.

EZB, Foto: apn

Brüssel möchte die Haushaltspläne der Mitgliedsstaaten stärker kontrollieren.

(Foto: Foto: apn)

Ökonomisch betrachtet, ist es ganz gewiss unabdingbar, die sichtbar gewordenen Geburtsfehler des Stabilitätspaktes zu beseitigen und die nationalen Regierungen endlich zu verpflichten, regelkonform zu wirtschaften. Schließlich hat deren lässig bis ignoranter Umgang mit dem europäischen Regelwerk direkt in die jetzige Krise um die gemeinsame Währung geführt. Die Zeit drängt.

Umso bedauerlicher ist es, dass sich anhand des von den Brüsseler Beamten vorgelegten Papiers nicht wirklich beurteilen lässt, wie die ökonomisch sinnvollen Vorschläge demokratisch verantwortbar umgesetzt werden können. Der Text ist ausgesprochen bürokratisch formuliert, er benennt weder konkrete Verantwortlichkeiten noch Mitspracherechte. Es ist verständlich, wenn in einigen nationalen Parlamenten die Sorge wächst, die Kommission maße sich an, in deren ureigenstes Recht einzugreifen - den nationalen Haushalt zu beschließen.

Dennoch wäre es falsch, in einer Art panischer Abwehrreaktion die Vorschläge aus Brüssel zu verteufeln. Grundsätzlich ist nichts daran auszusetzen, wenn die Mitgliedsstaaten künftig miteinander darüber reden, wie sie ihre Schulden abbauen oder wie viel Geld sie investieren. In der EU muss sich jede Regierung darauf verlassen können, dass ihre Partner sich an die gemeinsam verabredeten Regeln halten.

Zudem sieht auch der mühevoll verabschiedete Reformvertrag von Lissabon vor, die Europäische Union als Solidargemeinschaft zu etablieren. Er bildet die Geschäftsgrundlage, auf der die Europäer nun seit Jahren friedlich miteinander leben und streiten. Um nun die Entscheidungen, die in Brüssel im Namen von 500 Millionen Europäern fallen, insgesamt stärker demokratisch zu legitimieren, sieht das Vertragswerk vor, die nationalen Parlamente der 27 Mitgliedsstaaten enger in die auf europäischer Bühne ablaufenden Prozesse einzubinden. Es gesteht den direkt gewählten nationalen Volksvertretern das Recht zu, darüber zu befinden, ob die von der eigenen Regierung in Brüssel mit verabschiedeten Beschlüsse tatsächlich mit nationalem Recht (wie zum Beispiel dem deutschen Grundgesetz) zu vereinbaren sind.

Mehr Demokratie in der EU, mehr demokratische Legitimation durch gegenseitige Rechtsprüfung: Dieses Anliegen nimmt nun auch die Europäische Kommission in Anspruch, um ihren Griff nach mehr Kompetenzen zu rechtfertigen - indem sie es logisch umdreht: Wenn die nationalen Parlamente das Recht haben, Beschlüsse aus Brüssel dahingehend zu prüfen, ob sie mit nationalem Recht kompatibel sind, müsse dies auch umgekehrt gelten, schlussfolgern die Beamten. Die Kommission will also die nationalen Etats vor deren Verabschiedung in den nationalen Parlamenten kontrollieren, um sicherzustellen, dass die Beschlüsse einzelner Länder nicht (wie im Fall Griechenland) die EU gefährden.

Die Argumentation ist ebenso gerissen wie charmant. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob sie die Mitgliedsländer tatsächlich überzeugt. Rein faktisch ist die Lage klar: Besteht die Kommission lediglich darauf, die nationalen Etats vorab daraufhin zu prüfen, ob sie dem europäischen Regelwerk entsprechen, gibt es nichts auszusetzen. Aus demokratischer Sicht völlig abwegig und illegal wäre es, würde die Kommission einzelnen Ländern im Namen der Gemeinschaft Leitlinien oder gar Einzelmaßnahmen vorschreiben. Letzteres würde die EU existentiell mehr gefährden als die jetzige Krise.

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