EU-Gipfel in Brüssel:Zauber der schiefen Kopie

Der Rettungsplan für Athen steht. Angela Merkel hat ihre Macht ausgespielt und ist nun "sehr zufrieden". Kein Wunder: Berlin und Paris arbeiteten lange auf das Ergebnis hin.

Johannes Boie, Brüssel

Der Präsident des Europäischen Rates hat tiefe Augenringe in dieser Nacht, kurz vor Mitternacht. Herman Van Rompuy steht im großen Presseraum des Justus-Lipsius-Gebäudes in Brüssel, in dem der Europäische Rat seinen Hauptsitz hat, und berichtet, wie die EU Griechenland aus der Finanzklemme helfen will.

Der Internationale Währungsfonds soll zur Not helfen, gleichzeitig mit bilateralen Hilfen anderer EU-Staaten, erläutert Van Rompuy. Und nein, er glaube nicht, dass dieser Fall eintreten werde - um die Hilfen freizuschalten, müssten Experten der Europäischen Zentralbank (EZB) erklären, dass es keinen anderen Weg gebe, Griechenland vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren.

So weit werde es kaum kommen, und überhaupt sei die ganze Strategie einzig und allein auf Athen zugeschnitten. Denn in Zukunft, so Van Rompuy, soll eine Taskforce unter der Führung seiner selbst und José Manuel Barrosos verhindern, dass es überhaupt noch zu Zusammenbrüchen kommt. Kommissionspräsident Barroso steht neben ihm und lächelt zufrieden.

Ein schlecht kopiertes Blatt

Die Journalisten warten ungeduldig, bis sie Fragen stellen dürfen. Denn all das, was Van Rompuy ihnen eben offiziell bestätigt, wissen sie längst. Einige gut vernetzte Korrespondenten sind seit Stunden informiert. Alle anderen seit ein paar Minuten - weil sie die Texte ihrer Kollegen im Internet nachlesen.

Denn schon wenige Stunden nach Beginn des zweitägigen Gipfeltreffens hielten es ein paar wenige Journalisten plötzlich in der Hand - ein Blatt Papier, schief und schlecht kopiert. Darauf zu lesen: der Vorabtext einer Vereinbarung der Eurogruppe, also jener 16 Staaten, die sich den Euro als Währung teilen und innerhalb aller EU-Länder maßgeblich über die Griechenland-Hilfe diskutierten.

Irgendeine Quelle mit Zugang zu den 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hatte den Text mal eben über den Kopierer gezogen. "Das gehört dazu", sagt eine Journalistin lapidar.

Der Rettungsplan ist ein Sieg für Bundeskanzlerin Merkel, die sich stets für den Einbezug des Währungsfonds stark gemacht hatte. Lange hatte die Öffentlichkeit geglaubt, Merkel sei mit ihrer Einstellung isoliert gewesen. Aber spätestens am Donnerstagabend wird klar: Französische und deutsche Diplomaten müssen an dem Papier schon wochenlang gearbeitet haben.

Netzwerk zwischen Berlin und Paris

Das deutsch-französische Netzwerk ist außerordentlich gut und eng verknüpft, viele Beamte und Berater kennen sich auch privat. Und die schnelle Zustimmung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy lässt sich nur damit erklären, dass die beiden Länder schon vor dem Gipfel im Großen und Ganzen einig waren.

Andere Staatschefs wurden von Merkel düpiert. Die Kanzlerin hat nicht hoch gepokert, aber ihre innereuropäische Macht brutal durchgesetzt: Hilfen für Griechenland können in der EU nicht ohne die wichtigste Wirtschaftsmacht Deutschland verabschiedet werden. Für die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten könnte dieses Verhalten nachteilig sein.

Aus gutem Grund sind die Staats- und Regierungschefs in aller Regel auf Einigkeit bedacht: Europa wächst noch zusammen, man muss sich arrangieren. Zuletzt war auf die britischen Bedenken, dass der Finanzplatz London durch eine zu starke Regulierung von Hedgefonds benachteiligt werden könnte, mit einer höflichen Verzögerung des entsprechenden Verfahrens regiert worden.

Obwohl hochrangige EU-Diplomaten in Pressegesprächen unverhohlen gedroht hatten: "Wir setzen das auch ohne Großbritannien durch." Am Ende war die Einigkeit in der Sache wichtiger als die Geschwindigkeit, mit der die Regulierung verabschiedet wird. Mit dieser Regel hat Merkel gebrochen.

Die Formulierungen zur Griechenland-Absicherung, die die Journalisten am Donnerstagabend auf dem Papier lesen und in der Nacht zu Freitag von Herman Van Rompuy zu hören bekommen, sind ihnen längst bekannt. "Keine Subventionen für Griechenland", zum Beispiel, oder auch die Formulierung von der Hilfsaktion für Griechenland als Ultima Ratio.

Wer den Begriff am Freitag bei Google-News eingibt, findet ihn auch als Merkel-Zitat auf dem Gipfel. Dabei kursiert er seit Tagen. Regierungssprecher testeten ihn in Hintergrundgesprächen mit Journalisten, sie streuten die Punkte, auf die man sich mit Frankreich geeinigt hatte, gezielt an Medien und Korrespondenten.

Zufriedene Kanzlerin

Während sich die Regierungschefs der Eurogruppe den Merkel-Sarkozy-Formulierungen annähern, gewöhnt sich auch die Öffentlichkeit an die Wörter. Weil immer mehr Informationen durchsickern, steht in den Spätausgaben führender europäischer Zeitungen für Freitag schon drin, was Sache ist, obwohl Van Rompuy bis zum Druck der Blätter noch nichts bestätigt. Auch in die ständig aktualisierten Online-Berichte sickern die Wörter langsam ein. Die Journalisten und mit ihnen die Öffentlichkeit gewöhnen sich an den Gedanken, dass Griechenland nach Merkels Wunsch gerettet werden soll.

Am Freitagmorgen um halb zehn steigt Merkel vor dem Ratsgebäude aus einem silberfarbenen Audi A8. Während die allermeisten ihrer europäischen Kollegen wortlos an den Kameras vorbeihasten, bleibt Merkel stehen. "Ich bin wirklich sehr zufrieden mit dem Verlauf des Gipfels." Sie war die halbe Nacht in Hintergrundgesprächen. Aber sie sieht ausgeruht aus.

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