EU-Gipfel in Brüssel:Merkel und Sarkozy verkünden Fortschritte

Griechenlandrettung, Bankenrettung, Eurolandrettung: Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy zeigen demonstrative Einigkeit - doch von einer Einigung scheinen beide Länder noch ein gutes Stück entfernt. Neben Griechenlands Präsident Giorgios Papandreou wird vor allem Italiens Premier Silvio Berlusconi unter Druck gesetzt.

Deutschland und Frankreich sichern zu, dass Europa bald wirksame Schutzwälle gegen die Schulden- und Bankenkrise baut. In einer gemeinsamen Pressekonferenz am Rande des EU-Gipfels in Brüssel erklärten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy, zusammen mit ihren Kollegen der Eurozone ein umfassendes Abwehr-Paket am kommenden Mittwoch in Brüssel präsentieren zu wollen.

Angela Merkel, Nicolas Sarkozy

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy in Brüssel: Das finale Gesamtpaket zur Eindämmung der Schuldenkrise soll endlich gelingen.

(Foto: AP)

Merkel und Sarkozy verteidigten am Sonntag in Brüssel die Idee der zwei Gipfel. Übereinstimmend sagten sie, die Probleme seien sehr komplex und kompliziert. Beide waren sehr bemüht, den Eindruck zu zerstreuen, es gebe Streit zwischen Berlin und Paris. Sarkozy sagte: "Frankreich und Deutschland sprechen mit einer Stimme." Die Gipfelrunde sprach am Sonntag alle akuten Probleme der Krise an. Merkel und Sarkozy zeigten sich mit ersten Fortschritten zufrieden.

Im Wesentlichen geht es um folgende Punkte, die die Finanzminister in ihrem Treffen schon vorbereitet haben:

[] Griechenlandrettung: Der "Schuldentragfähigkeitsbericht" der Troika übertraf alle Befürchtungen. Griechenland braucht demnach mindestens 252 Milliarden Euro, um bis 2020 wieder auf die Beine zu kommen. Falls die Reformen nicht greifen, sind sogar 444 Milliarden Euro nötig, schreiben die Inspektoren. Angesichts dieser Zahlen ist klar, dass der angepeilte Schuldenschnitt von 21 Prozent nicht reichen wird. Wahrscheinlich ist, dass Gläubiger auf 50 Prozent bis 60 Prozent ihrer Forderungen gegenüber dem Land verzichten müssen. Problematisch dabei: Selbst die Troika ist sich uneins darüber, ob den Banken derart hohe Einbußen auferlegt werden sollen. In einer Fußnote erklärt die EZB, selbst Troika-Mitglied, mit der geplanten Höhe des Schuldenschnitts nicht einverstanden zu sein. Die Banken selbst kündigten bereits Widerstand an. Die Vertreter der Euro-Staaten und Geldhäuser seien "nicht einmal in der Nähe einer Einigung", sagte der Geschäftsführer des Internationalen Bankenverbandes (IIF), Charles Dallara. In der Pressekonferenz am Sonntag betonte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy allerdings, dass der geplante Schuldenschnitt freiwillig erfolgen müsse.

[] Bankenrettung: Die EU-Länder befürchten, dass die europäischen Finanzinstitute nicht über genügend Rücklagen verfügen, wenn sie auf einen großen Teil ihrer Forderungen an Griechenland verzichten müssen. Deshalb schlagen die EU-Finanzminister vor, dass die Kapitalrücklage der Banken um etwas mehr als 100 Milliarden Euro aufgestockt werden soll. Der Beschluss der Finanzminister sieht damit vor, die Quote des Eigenkapitals der Finanzinstitute auf neun Prozent zu erhöhen. Diese Quote beschreibt das Verhältnis vom Kapital einer Bank zu ihren risikobehafteten Geschäften, also zu den vergebenen Krediten und den Geldanlagen.

Damit die Banken für den möglichen Schuldenschnitt gerüstet sind, wurde ein dreistufiges Vorgehen bei der Bankenrekapitalisierung verabredet: In einem ersten Schritt sollen die Institute versuchen, sich am Markt selbst mit frischem Geld zu versorgen. Scheitert dies, müssen die Staaten einspringen. Erst wenn die Regierungen selbst überfordert sind, kann der Euro-Rettungsfonds EFSF angezapft werden. Frankreich konnte seine Forderung nach einer pauschalen staatlichen Finanzspritze für die Institute nicht durchsetzen. Außerdem sollen den Instituten Einschränkungen bei Boni und Dividenden auferlegt werden, bis die neue Quote erreicht worden ist. Merkel sagte in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Sarkozy am Sonntagnachmittag, dass es eine weitgehende Einigung gebe über die Rekapitalisierung der Banken. Einzelheiten nannte sie nicht.

[] Eurolandrettung: Um zu verhindern, dass eine Pleite auch die anderen Krisenländer in Schwierigkeiten bringt, soll der mit 440 Milliarden Euro ausgestattete europäische Rettungsfonds EFSF ausgedehnt werden. Über einen sogenannten Hebel soll er ein deutlich höheres Volumen absichern können. Auch dafür zeichnet sich eine Einigung ab, am Ende des Finanzministertreffens waren offenbar noch zwei Varianten im Gespräch. Eine davon sieht vor, Staatsfonds außerhalb des Währungsgebietes anzuzapfen. Staatsfonds könnten dafür mit dem EFSF eine Zweckgesellschaft gründen. Staatsfonds aus Singapur oder etwa Norwegen könnten dafür beim EFSF einen neuen Fonds einrichten. Der könnte dann die Rettungsmaßnahmen des Euro-Schirms aufstocken. Variante zwei ist eine Versicherungslösung: Dabei werden die EFSF-Milliarden zur Absicherung neuer Staatsanleihen genutzt. Mit den Garantien der Europartner könne so ein Anleihenvolumen von mehr als einer Billion Euro "teilkaskoversichert" werden. Beide Modelle könnten auch kombiniert werden.

Niederlande kritisieren Griechenland scharf

Merkel ist zufrieden mit dem Ergebnis des Treffens der Ressortchefs: "Ich glaube, dass die Finanzminister Fortschritte gemacht haben und dass wir unsere ehrgeizigen Ziele bis Mittwoch erreichen können." Beim Gipfel an diesem Sonntag kann Merkel aber noch keiner Einigung zustimmen, weil sie sich erst im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ein Ja zu den geplanten Maßnahmen holen muss.

Die deutsche Langsamkeit stößt bei den anderen Euro-Ländern zunehmend auf Unverständnis. Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker sagte dem Nachrichtenmagazin Spiegel: "Das Organisationstempo in Berlin ist langsamer als in den anderen Hauptstädten".

Den deutschen Parlamentsvorbehalt, den der Bundestag jüngst als Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verabschiedet hatte, sieht Juncker demnach als Problem. "Der Bundestag kann nicht alles bis ins Detail vorher beschließen, weil manchmal auf den Gipfeln bis zuletzt verhandelt wird." Er habe Verständnis, dass der Bundestag sein Königsrecht, die Haushaltskontrolle, ausüben wolle, so Juncker, "aber das darf nicht dazu führen, dass die EU nicht in der gebotenen Schnelligkeit reagieren kann".

Ähnlich äußerte sich der deutsche EU-Kommissar und CDU-Politiker Günther Oettinger: "Wenn ein solch schwieriger parlamentarischer Prozess in den 16 anderen Euro-Staaten oder auch nur in den anderen Triple-A-Ländern stattfindet, ist Europa nicht mehr ausreichend handlungsfähig."

Unterdessen wächst der Druck auf Italien, einen konsequenten Sparkurs zu fahren. Zu Beginn des EU-Gipfels wurden gleich zwei Sondertreffen mit dem italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi angesetzt. Er sollte sich am Vormittag mit Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy treffen; außerdem stand ein Gespräch mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy auf der Tagesordnung. "Ziel ist es, Druck auf Berlusconi auszuüben", sagte ein Diplomat.

Zweifel an der Umsetzung italienischer Sparpakete

Italien gilt wegen seiner hohen Schuldenlast in der Euro-Krise als Wackelkandidat. Die Regierung in Rom hat zwar bereits mehrere Sparprogramme verabschiedet; es gibt unter den europäischen Partnern aber Zweifel, ob diese auch wirklich umgesetzt werden. Die EU-Kommission verlangt zudem echte Strukturreformen in dem Land, um es besser gegen Krisen zu wappnen.

Kurz vor dem Brüsseler Gipfel wurde die Tonart ruppiger. Der niederländische Premierminister Mark Rutte griff Athen scharf an. "Es war inakzeptabel, wie die Dinge in Griechenland außer Kontrolle geraten sind", sagte er. "Wir sind alle unglaublich verärgert, dass wir Geld in diese Sache stecken müssen. Wir müssen sicherstellen, dass wir die idiotische Situation in Ordnung bringen. Jeden Monat müssen wir uns hier treffen, um dies zu besprechen."

Rutte verlangte klare Entscheidungen, "die unseren Geldbeuteln nützen, die gut sind für unsere Arbeitsplätze und unsere Renten". Seit Juli sei die Lage in Griechenland "dramatisch schlechter" geworden, "obwohl wir gedacht hatten, dass wir sie in Ordnung gebracht hätten".

Der gescholtene Premier Giorgos Papandreou verteidigte sich vehement: "Griechenland hat immer wieder bewiesen, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen, um unsere Wirtschaft nachhaltig und gerechter zu machen." Er verlangte "Respekt für das, was wir tun". Griechenland nehme seine Verantwortung wahr, unter großen Schmerzen ein anderes Land zu werden.

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