Ethiker Thielemann:"Boni machen Mitarbeiter zu Marionetten"

Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann geißelt die Banker-Boni, weil sie wie Brandbeschleuniger wirken. Die Institute befeuern bereits die nächste Blase.

Harald Freiberger

Ulrich Thielemann, 48, ist Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen. Sein Urteil über Bonuszahlungen fällt vernichtend aus: Er sieht in ihnen die Hauptursache für die Finanzkrise. Wenn man sie nicht reduziere, sei die nächste Krise programmiert.

NYSE, AP

Das Geschäft brummt schon wieder: Trader an der New York Stock Exchange.

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Thielemann, amerikanische Banken schütten höhere Boni aus als vor der Finanzkrise. Was war Ihr erster Gedanke bei dieser Nachricht?

Ulrich Thielemann: Dass die Banken nichts aus der Krise gelernt haben und so weitermachen wie bisher. Die Krise ist im Kern eine gigantische Kapitalblase, die ohne Boni nie hätte erzeugt werden können. Die hohen Boni sind ein deutliches Indiz dafür, dass die Finanzbranche bereits die nächste Blase erzeugt.

SZ: Was macht Sie so sicher, dass Boni die Hauptursache für die Krise sind?

Thielemann: Sie waren das entscheidende Mittel der Banken, um ein falsches Unternehmensziel durchzusetzen, nämlich das der Gewinnmaximierung. Wenn ein Unternehmen alles daran setzt, möglichst hohe Gewinne zu machen, treten moralische Prinzipien in den Hintergrund. Es geht dann nur noch darum, Gewinne anzuhäufen, koste es, was es wolle. Für die Kosten haben natürlich möglichst andere aufzukommen, etwa die Steuerzahler. Über Boni wurden die Mitarbeiter auf Gewinn und sonst gar nichts eingeschworen.

SZ: Aber ist das Hauptproblem dann nicht das falsche Ziel, mehr noch als die Boni?

Thielemann: Beides hängt ja zusammen. Mit den Boni haben die Unternehmen den Mitarbeitern ihre Integrität gleichsam abgekauft. Es zählen nicht mehr professionelle Standards guter Berufsausübung, sondern allein die Erfüllung von Kennzahlen. Bedenken wurden im Bonusregen ertränkt. Boni machen Mitarbeiter zu Marionetten der Zielvorgaben, zu Pawlow'schen Hunden der "Leistungsanreize". Die Folge ist ein fast blinder militärischer Gehorsam.

SZ: Ein Plädoyer für zivilen Ungehorsam im Unternehmen?

Thielemann: Ein Plädoyer dafür, dass jeder Mitarbeiter sich an seinen eigenen professionellen ethischen Maßstäben orientieren soll. Gibt es Boni, ist Befehlsverweigerung kaum mehr möglich, die Mitarbeiter werden in schwerwiegende Konflikte gestürzt, wenn ein Unternehmen fragwürdige Ziele verfolgt. Ich bin sicher, dass Leistungsanreize auch für Korruptionsfälle wie bei Siemens zumindest mitverantwortlich sind. Die Leistungsvorgaben waren so, dass man Vorteile hatte, wenn man einen Auftrag auch über unlautere Methoden beschaffte. Und wenn man es nicht gemacht hat, kam man auf die Verliererstraße, man hatte das Nachsehen gegenüber denjenigen, die mit Erfolgen glänzen konnten.

20 Prozent reichen

SZ: Dann sind Sie grundsätzlich gegen Leistungsanreize?

Ethiker Thielemann: Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann

Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann

(Foto: Foto: oh)

Thielemann: Letztlich ja. Weil Anreize die Mitarbeiter zu Instrumenten einer ökonomischen Radikalisierung degradieren. Und weil eine gemäßigte, verantwortungsvolle Unternehmensführung damit kaum möglich ist.

SZ: Sie wollen also zurück in die 50er Jahre mit festgeschriebenen Beförderungsstufen? In eine Zeit, als schon der Lehrling genau wusste, wie viel er in welchem Lebensalter verdienen wird, wenn er keine silbernen Löffel klaut?

Thielemann: Nicht alles, was es früher gab, ist schlecht. Und nicht jede "Innovation" ist gut. Wenn Mitarbeiter nur ein Fixgehalt haben, können sie sich auf die Prinzipien der guten Berufsausübung konzentrieren und ihren Job verantwortungsvoll ausfüllen. Der Bonuswettbewerb behindert sie darin.

SZ: Aber von Personalberatern hören Firmen seit langem, dass sie gute Leistungen belohnen sollen. "Leistung muss sich wieder lohnen", heißt es überall.

Thielemann: Gegen Belohnung ist nichts einzuwenden, aber das ist etwas anderes als ein Bonus. Sie ist die Honorierung einer außergewöhnlichen Leistung im Nachhinein, das ist entscheidend. Die Belohnung darf nicht absehbar sein. Beim Bonus wird im Vorhinein festgelegt, wie eine Leistung auszusehen hat, dadurch kommt es zu Fehlsteuerungen.

SZ: Also würden Sie den Banken die Boni sofort verbieten?

Thielemann: Es wäre schon viel gewonnen, wenn der variable Anteil an der Gesamtvergütung begrenzt würde, vielleicht auf 20 Prozent. Aber das müsste weltweit gelten, weil ansonsten das Kapital zu den gierigsten Bankern abwandern würde. Dies ist übrigens kein übergebührlicher Eingriff in die Privatautonomie, wie wir an der Finanzkrise sehen können, deren Folgen ja der Steuerzahler ausbaden muss. Dies darf nicht noch einmal geschehen. Ohne eine Reduzierung der Boni ist die nächste Krise meines Erachtens programmiert.

SZ: Am Ziel der Gewinnmaximierung hätte man damit allerdings noch nichts geändert.

Thielemann: Die Ziele müssen sich auch ändern. Die Banken müssen zurück zu ihrer ursprünglichen Rolle der Kapitalversorgung. Sie sind dazu da, einen Ausgleich zwischen denen zu schaffen, die Kapital haben, und denen, die welches brauchen. Sie müssen zurück zu sinnvollen Dienstleistungen. Eine Orientierung am Prinzip der Gewinnmaximierung verhindert dies. Im Zweifel muss der Ethik, nicht dem Gewinn, der Vorrang gebühren.

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