Süddeutsche Zeitung

Ergo-Versicherung:Klingelstreich eigener Art

Herr Kaiser mit Tarnkappe: Vertreter des Skandalversicherers Ergo geben sich an Haustüren als Mitglieder eines Sozialvereins aus - und täuschen so Kunden.

Alina Fichter

Es klingelt, und vor der Tür steht ein Herr in Hemd, mit Schlips um den Hals und Unterlagen in der Hand. Schon will man die Tür wieder zuschlagen - wer weiß, was der einem andrehen will. Aber der Mann sagt, er wolle nichts verkaufen, er sei nur wegen einer Meinungsumfrage vorbei gekommen. Und dann zückt er ein Empfehlungsschreiben des Deutschen Familienverbands (DFV). Das schafft Vertrauen, schließlich kümmert sich der Verband um das Wohl der Familien in Deutschland, gemeinnützig und seit Jahrzehnten.

Viele Menschen, die eine ähnliche Situation erlebten, baten den Mann daher herein, nicht wissend, dass er Versicherungsvertreter war und vor allem ein Ziel hatte: Einen Termin für ein Verkaufsgespräch mit der Person hinter der Tür zu ergattern. Es ist ausgerechnet die Hamburg-Mannheimer, die systematisch mit dieser Masche arbeitet, seit Jahrzehnten schon und immer noch; sie gehört zum Skandalversicherer Ergo und machte in den vergangenen Wochen vor allem durch eine Sex-Sause und Verbraucher-Abzocke mit Riester-Versicherungen sowie Unfallpolicen auf sich aufmerksam.

Neben der Meinungsumfrage und dem Empfehlungsschreiben des DFV brachten die Vertreter auch noch eine Verbandszeitschrift und einen Ausweis des Sozialverbandes mit. Eine frühere Ergo-Vertreterin sagte der Welt, solche Hausbesuche seien Bestandteil der Schulungen für neue Vertreter gewesen. So sollte getestet werden, wie sich die Unerfahrenen im Gespräch mit potentiellen Kunden schlagen. Das Ziel der Besuche: Einem erfahrenen Verkäufer der Hamburg-Mannheimer einen Termin zu verschaffen, bei dem er den Menschen sofort konkrete Angebote machen konnte.

Die Meinungsumfrage, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, diente nämlich vor allem dazu, im Vorfeld Vorsorgelücken aufzudecken, in die der erfahrenere Vertreter später stoßen konnte. Am Ende des Fragebogens steht ein Kästchen für die Telefonnummer, darunter setzt der "Interessierte" seine Unterschrift.

Seit 30 Jahren kooperiert der DFV, der als eine Art Lobby-Organisation für Familien regelmäßig Einfluss auf die Gesetzgebung des Bundes nimmt, mit der Hamburg-Mannheimer. Der Grund? "Immer mehr Familien wandten sich an uns, weil sie für ihr Alter vorsorgen wollen, aber nicht wussten, wie", sagt Bundesgeschäftsführers Siegfried Stresing. Die Ehrenamtlichen seines Verbandes könnten die nötige Beratung keinesfalls leisten. Daher die Zusammenarbeit mit Ergo.

Aber muss man deshalb ausdrücklich für einen einzelnen Versicherer werben - statt eine unabhängig Beratung zu empfehlen? Noch dazu für einen, dessen Vertreter die Jagd nach Provisionen häufig ernster nehmen als die Bedürfnisse der Kunden. Und der zudem Fördermitglied des DFV ist? Zwar sagt Stresing, die Vertreter machten bei ihren Besuchen stets deutlich, dass sie auch ein Verkaufsinteresse mitbrächten. Tatsächlich aber erkennen viele Verbraucher die angeblich klare Trennung zwischen Verband und Versicherung nicht: Bis zu drei Betroffene beschweren sich monatlich bei Stresing über den ungebetenen Besuch; sie fragen, was der Herr eigentlich von ihnen wollte und was sie da unterschrieben hätten - doch hoffentlich keinen Vertrag?

Trotzdem will der DFV an der Zusammenarbeit mit dem Skandalversicherer festhalten. Erst vor dem routinemäßigen Jahrestreffen im August werde man sich Gedanken machen, ob eine Veränderung möglicherweise angebracht sei, heißt es.

Auch die Ergo findet, alles sei in bester Ordnung. In einer Stellungnahme des Versicherers heißt es: "Unsere Außendienstpartner kontaktieren Privathaushalte mit einer Meinungsumfrage. In der Ansprache erklären sie, auf Empfehlung des DFV zu kommen und nutzen in diesem Zusammenhang ein Empfehlungsschreiben des DFV." Und genau so solle es auch bleiben.

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SZ vom 28.06.2011/hgn
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