Süddeutsche Zeitung

Engagement:Helfen statt zahlen

Gassi gehen, für Ältere einkaufen oder ihnen auch nur Gesellschaft leisten: Wer sich sozial engagiert, kann die Miete drücken. In Deutschland gibt es viele Projekte, die Interessierte vermitteln.

Von Sabine Richter

Zu Beginn des neuen Semesters stehen viele Studenten wieder vor dem Problem, eine günstige Wohngelegenheit zu finden. In Groß- und Uni-Städten wird die Suche immer schwieriger, auch WG-Zimmer sind nicht mehr billig. Der Immobilienentwickler GBI hatte in einer Studie aus dem Jahr 2015 die durchschnittlichen Kosten für ein Zimmer in einer Dreier-Wohngemeinschaft in München auf 521 Euro im Monat beziffert. Die Zahl der Städte in Deutschland mit einem angespannten studentischen Wohnungsmarkt wurde mit 39 beziffert. Inzwischen dürfte sich die Situation weiter verschärft haben. Und für Zimmer in kirchlichen oder städtischen Wohnheimen gibt es lange Wartelisten.

Deshalb ist das Modell "Wohnen für Hilfe" für manche Studenten zu einer attraktiven Alternative geworden. Das Prinzip ist einfach: Privatpersonen stellen Studenten für eine reduzierte Miete oder kostenlos ein Zimmer. Im Gegenzug helfen diese ihnen im Alltag. Als Faustregel gilt eine Stunde Arbeit im Monat pro Quadratmeter Wohnfläche. Die Nebenkosten zahlt meistens der Untermieter. Studenten gehen mit dem Hund Gassi, tragen Einkaufstaschen, machen mit den Kindern Hausaufgaben. Manchmal geht es auch darum, jemandem Gesellschaft zu leisten, ihn zu begleiten oder bei der Nutzung von technischen Geräten zu unterstützen. Pflegearbeit ist ausgeschlossen.

Als Faustregel gilt eine Stunde Arbeit im Monat pro Quadratmeter Wohnfläche

Die Idee stammt aus den Neunzigerjahren. Am Anfang war das Projekt "Wohnen für Hilfe" nur als Unterstützung für Senioren gedacht, doch dann hat das Interesse von Familien oder Alleinstehenden zugenommen. Die Träger unterscheiden sich von Stadt zu Stadt; mal hat das Studierendenwerk die Organisation übernommen, mal die Caritas, die Diakonischen Werke der evangelischen Kirche, die Wohnberatungsstellen der Städte oder auch Ehrenamtliche. Bei einigen Anbietern erlaubt die personelle Ausstattung nur die reine Vermittlung, bei anderen bekommen Mieter und Vermieter umfangreiche Unterstützung. Da werden Wohnräume überprüft, Hilfen und persönliche Wünsche besprochen, Informationsblätter und Musterverträge zur Verfügung gestellt, und im Konfliktfall wird sogar auch mal moderiert.

In Köln ist das Wohnmodell schon lange etabliert. Seit 2009 wird es von der Initiative Wohnen für Hilfe, dem Amt für Wohnungswesen und der Universität zu Köln getragen und finanziert. Etwa 80 Partnerschaften würden pro Jahr vermittelt, sagt die Projektkoordinatorin Sandra Wiegeler.

35 Städte mit weiteren Initiativen listet die Kölner Website auf. Die Verantwortlichen treffen sich einmal im Jahr und tauschen Gedanken und Erfahrungen aus. Die Kölner Initiative kooperiert zudem mit dem bundesweiten Netzwerk Nachbarschaft, das von der Hamburgerin Erdtrud Mühlens vor zwölf Jahren gegründet wurde.

"Senioren wohnen häufig in großen Wohnungen, es mangelt ihnen aber an Gesellschaft und Unterstützung im Alltag. Mit Wohnen für Hilfe lösen wir die Probleme beider Seiten. Verständnis und Austausch zwischen den Generationen stehen hier im Vordergrund", sagt Sandra Wiegeler, die mit ihrer Kollegin Heike Bermond bei Fragen und Konflikten als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung stehen. "Austausch und Kommunikation sind ganz wichtig, das haben ältere Menschen oft nicht gelernt, da unterstützen wir", sagt Wiegeler. "Die vielen positiven Rückmeldungen zeigen, dass generationsübergreifende Wohnpartnerschaften für Studenten und Senioren eine gute Alternative sind." Die meisten älteren Wohnraumanbieter hätten in einer Befragung sogar angegeben, ein freundschaftliches Verhältnis zu den Studierenden zu haben.

Wohnungsanbieter und Studenten können sich in einer Art Speeddating kennenlernen

"In erster Linie muss die Chemie stimmen", sagt auch Alexandra Dreibach in Kiel. "Ich merke schnell, wer zueinander- passen könnte." Seit drei Jahren vermittelt Dreibach im Studentenwerk Schleswig-Holstein Partnerschaften für Wohnen für Hilfe, an der Küste "Hand gegen Koje an Land" genannt. Mindestens 100 seien es bisher. Wichtig sei, die richtigen Partner in Bezug zusammenzuführen, sagt Dreibach.

Einmal jährlich finden Infoveranstaltungen statt, bei denen sich Wohnungsanbieter und Studenten in einer Art Speeddating kennenlernen. "Sehr erfolgreich", sagt Dreibach. Auf der Kieler Woche ist Wohnen für Hilfe mit einem Infostand vertreten. Im Zelt der Christian-Albrechts-Universität werden Flyer verteilt, Informationen gibt es aber auch aus erster Hand. Denn der Stand wird auch von Studierenden betreut, die selbst an diesem sozialen Wohnprojekt teilnehmen. So können Interessierte authentische Einblicke in Wohnpartnerschaften erhalten.

Auch die Frankfurter Initiative, die vom "Bürgerinstitut", einer der ältesten privaten sozialen Einrichtungen der Stadt, organisiert wird, kann eine stolze Bilanz vorweisen. Seit 2004 sind 161 Wohnpartnerschaften vermittelt worden. Der Sozialpädagoge Henning Knapheide kümmert sich 30 Stunden in der Woche um das Projekt. Auch er merkt, dass sich die Wohnsituation für Studenten in den vergangenen Jahren verschärft hat. "Durchschnittlich kommen auf ein Angebot bis zu 30 geeignete Bewerber, vorwiegend Studierende, aber auch einige Auszubildende." Früher, zu Beginn seiner Arbeit, seien es deutlich weniger gewesen. "Fast überall reichen die Kapazitäten für studentischen Wohnraum nicht aus", weiß er aus Gesprächen mit den Kollegen.

"Uns fehlen Senioren, die bereit sind, mit Studenten zusammenzuwohnen. Es ist nicht immer einfach, sie von unserem Projekt zu überzeugen", sagt Knapheide. Deshalb habe man 2015 eine auf ältere Menschen abgestimmte Werbekampagne in Bussen und U-Bahnen gestartet. "Das hat einen großen Schub gegeben."

Es gibt aber noch andere Varianten. Der Verein "Tausche Bildung für Wohnen e.V." in Duisburg bietet Studenten kostenlosen Wohnraum an, wenn sie sich verpflichten, Kindern aus bildungsfernen Schichten nachmittags als Bildungspaten zur Verfügung zu stehen. Es geht um Hausaufgabenbetreuung, aktives Spielen und Lernen, Ausflüge und Aktionen. "Das Modell ist für alle eine Bereicherung", sagt die Vereinsvorsitzende und Initiatorin Christine Bleks nach einer Projektlaufzeit von zwei Jahren.

Und in München-Sendling gibt es eine Studenten-Flüchtlings-WG. In einem ehemaligen Bürogebäude wohnen 61 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gemeinsam mit 42 Studenten. Diese können ihre Miete individuell senken durch Nachhilfe, Begleitung zu Behörden oder gemeinsame Unternehmungen. Geplant und getragen wird das Integrationsprojekt von Condrobs, einem überkonfessionellen Träger für soziale Hilfsangebote.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2016
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