Energiewende:Teure Diät

Lesezeit: 3 min

Das Bundeskanzleramt gibt wenig Wärme ab, wie das Thermobild zeigt. Für Neubauten gelten von 2016 an noch strengere Standards. (Foto: Tim Brakemeier/dpa)

Von 2016 an müssen Neubauten mit weniger Energie auskommen. Die Immobilienwirtschaft warnt vor steigenden Kosten. Doch die Bundesregierung will an den strengeren Standards festhalten.

Von Ralph Diermann

Bundesbauministerin Barbara Hendricks schlägt Alarm: Mindestens 350 000 Wohnungen müssen jährlich neu gebaut werden, um die Lage auf den Immobilienmärkten der Groß- und Universitätsstädte zu entspannen und um die ankommenden Flüchtlinge unterzubringen. Im laufenden Jahr entstehen nach Schätzungen der KfW-Bank jedoch nicht einmal 260 000 neue Wohnungen. Wie lässt sich diese Lücke schließen?

Bauen muss günstiger werden, fordert das "Verbändebündnis Wohnungsbau", zu dem sich mehrere Organisationen aus der Immobilien- und Bauwirtschaft zusammengeschlossen haben. Um 36 Prozent seien die Bauwerkskosten zwischen 2000 und 2014 gestiegen, während die allgemeinen Lebenshaltungskosten nur um 25 Prozent zugelegt haben. Schuld daran sind nach Ansicht der Verbände unter anderem die gestiegenen Anforderungen an die energetische Qualität von Neubauten - allen voran die Energieeinsparverordnung, kurz EnEV. Sie allein habe das Bauen in den vergangenen fünfzehn Jahren um 6,5 Prozent verteuert. "Damit sind die verschärften Energievorgaben für sich genommen einer der größten Kostentreiber", sagt Axel Gedaschko, Präsident des Wohnungswirtschaftsverbandes GdW.

Die EnEV legt fest, wie viel Energie ein neu errichtetes Gebäude maximal verbrauchen darf. Dabei zählt allein der Bedarf an Primärenergie, in dessen Berechnung auch die Klimabilanz des verwendeten Energieträgers einfließt. Darüber hinaus definiert die EnEV einen Grenzwert für den Wärmeverlust durch Außenwände, Fenster, Türen und Dach. Wird ein Gebäude modernisiert, gibt sie energetische Mindeststandards für die einzelnen Bauteile vor. Von den Eigentümern unsanierter Immobilien verlangt die EnEV, die Decke des obersten Geschosses zu dämmen und offen liegende Heizungsrohre im Keller zu isolieren. Zudem müssen sie ineffiziente Öl- und Gas-Kessel austauschen, wenn diese älter als dreißig Jahre sind. Die EnEV gilt gleichermaßen für Wohnhäuser wie für Büro- und Gewerbebauten, Läden, Schulen und andere öffentliche Immobilien.

"Auch wenn Sie noch so viel dämmen, bewirken Sie damit wenig."

In den vergangenen Jahren sind die Vorgaben der Verordnung mehrfach verschärft worden. Die nächste Stufe tritt zum 1. Januar 2016 in Kraft. Der Wert für den maximal zulässigen Energiebedarf von Neubauten sinkt dann um ein Viertel. Wer ab kommendem Jahr noch mit Gas oder Öl heizen will, muss im Gegenzug mehr Geld in den Wärmeschutz investieren - fossile Anlagen schneiden bei der Bilanzierung des Primärenergiebedarfs nämlich deutlich schlechter ab als Holzkessel oder Wärmepumpen. Zudem gilt fortan ein neues Verfahren für die Berechnung des Wärmeverlustes durch Fassaden und Dach. In der Folge steigen die Anforderungen an die Gebäudehülle um etwa zwanzig Prozent. Konkret bedeutet das für Bauherren: Je nach Auslegung der anderen Bauteile muss die Fassadendämmung einige Zentimeter dicker werden. Bei Bestandsbauten dagegen bleibt nahezu alles beim Alten.

"Die neuerliche Verschärfung der EnEV kostet viel, bringt aber wenig", kritisiert Hartmut Miksch, Präsidiumsmitglied des Bundes Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure (BDB). "Rechnerisch führen die neuen Standards vielleicht zu Einsparungen. In der Praxis sieht es aber ganz anders aus." Bereits die bislang gültige EnEV sorge dafür, dass Neubauten sehr stark gedämmt werden. Dennoch komme es hier zu erheblichen Wärmeverlusten - nämlich durch das Lüften. "Auch wenn Sie noch so viel dämmen, bewirken Sie damit wenig. Denn wenn die Nutzer der Gebäude die Fenster aufreißen, geht viel Energie verloren", sagt Miksch.

Für Jutta Maria Betz, bayerische Landessprecherin des Deutschen Energieberaternetzwerks (DEN), ist das jedoch kein Argument gegen die EnEV-Verschärfung. "Ein energetisch gutes Gebäude gibt den Nutzern die Möglichkeit, sich effizient zu verhalten; ein schlechtes macht das schwierig. Es ist daher auf jeden Fall sinnvoll, die Latte hoch zu legen." So lasse sich zudem gewährleisten, dass der Wärmeverbrauch auch dann vergleichsweise gering bleibt, wenn die Bewohner nicht sehr sparsam sind.

Nach Berechnungen des GdW werden die neuen EnEV-Standards das Bauen noch einmal um circa sieben Prozent verteuern. Angesichts der Wohnungsknappheit fordert der Verband daher gemeinsam mit anderen Organisationen der Immobilien- und Bauwirtschaft, die EnEV für einige Jahre auf dem derzeitigen Niveau einzufrieren. "Damit würden an keiner Stelle energetische Standards gesenkt, sondern es würde lediglich eine sinnvolle Atempause eingelegt, die für die Prüfung neuer Ansätze genutzt werden könnte", sagt Gedaschko. Die Politik konnten die Branchenvertreter mit ihrer Argumentation jedoch nicht überzeugen. So haben sich die für das Thema Bauen zuständigen Landesminister Ende Oktober auf ihrer Konferenz in Dresden dafür ausgesprochen, die Verschärfung der EnEV wie geplant umzusetzen. Dabei liegen sie auf einer Linie mit der Bundesregierung. "Der Drops ist gelutscht", erklärte Ministerin Hendricks nach der Konferenz lapidar.

Das Bundesbauministerium geht davon aus, dass sich die durch die verschärfte EnEV verursachten Mehrausgaben innerhalb von etwa zwanzig Jahren amortisieren werden - eine in der Wohnungswirtschaft übliche Zeit. Energieberaterin Betz weist jedoch darauf hin, dass die Investoren häufig gar nicht die Nutznießer hoher energetischer Standards sind. "Der Energiebedarf spielt bei der Vermietung oder dem Verkauf von Immobilien in der Regel nur eine untergeordnete Rolle", erklärt die Expertin. Für Betz ist das jedoch kein Grund, die EnEV-Verschärfung auszusetzen. Im Gegenteil: "Der Gesetzgeber muss die nötigen Vorgaben machen, auch wenn sich die Investitionen betriebswirtschaftlich längst nicht immer auszahlen. Denn schließlich hat der Staat die Aufgabe, übergeordnete gesellschaftliche Interessen wie den Klimaschutz durchzusetzen." Negative Folgen für die Bautätigkeit erwartet sie nicht. "Schon heute erfüllt circa die Hälfte aller Neubauten den sogenannten KfW-70-Standard, der etwa den ab 2016 gültigen EnEV-Vorgaben entspricht, oder einen deutlich besseren Standard. Die neue EnEV fordert also nichts, was nicht heute schon marktüblich wäre", sagt Betz.

© SZ vom 13.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: