Elterngeld für Reiche:Ein Gesetz mit Lücken

Weil die Regierung Hartz-IV-Empfängern das Elterngeld streicht, sollten künftig auch Topverdiener leer ausgehen. Doch das Gesetz ist ungeschickt formuliert - die Superreichen können weiter kassieren.

Guido Bohsem

Trotz einer Gesetzesänderung der schwarz-gelben Koalition erhalten Reiche auch weiterhin Elterngeld. Dabei geht es vor allem um die Bezieher hoher Zinsen und Dividenden. Nach Auffassung des Berliner Steuerrechtlers Frank Hechtner können die Behörden nämlich nicht prüfen, wie hoch die Kapitaleinkünfte der Antragsteller sind.

Schreiende Babys

Eigentlich sollen Topverdiener kein Elterngeld mehr bekommen - doch eine Lücke im Gesetz ermöglicht es ihnen über Umwege dann doch.

(Foto: dpa)

"Eine Person, die ein zu versteuerndes Einkommen von 150.000 Euro aufweist, gleichzeitig aber noch Kapitaleinkünfte von 250.000 Euro bezieht, kann also weiter Elterngeld beantragen und auch beziehen", fasst der Wissenschaftler der Freien Universität in Berlin seine Erkenntnisse zusammen. Die vom Gesetzgeber verabschiedete Regelung sei damit nicht viel mehr als ein Placebo zur Beruhigung der Diskussion über soziale Ungerechtigkeiten der Regierungspolitik.

Um die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vorgegebene Einsparungen im Bundeshaushalt zu erreichen, hatte die schwarz-gelbe Koalition unter anderem beschlossen, das Elterngeld für Langzeitarbeitslose zu streichen. Dies war von der Opposition, aber auch von Sozialverbänden heftig kritisiert worden. Um dem Vorwurf der sozialen Unausgeglichenheit zu entgehen, beschlossen Union und FDP dann, das Elterngeld auch für Reiche zu streichen.

Seit der Einführung der Reichensteuer 2007 gilt in Deutschland als reich, wer als Single pro Jahr ein Einkommen von mehr als 250.000 Euro oder als Paar eines von mehr als 500.000 Euro erzielt. Von dieser Grenze an gilt ein Steuersatz von 45 Prozent. Insgesamt zahlen etwa 69.000 Steuerzahler Reichensteuer. Etwa 30.000 davon lassen sich zusammen mit ihrem Gatten veranlagen. 2010 überwies diese Gruppe dem Staat etwa 21,46 Milliarden Euro Einkommensteuer.

Weil die Koalition ihre Kürzungspläne für das Elterngeld schnell umsetzen wollte, orientierte sie sich an den Regeln der Reichensteuer - und sprang damit zu kurz. Denn seit 2008 gilt in Deutschland die sogenannte Abgeltungssteuer. Durch sie werden alle Kapitaleinkünfte direkt bei der Bank mit einem einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent belastet.

Der Steuerzahler ist dadurch davon befreit, diese Einnahmen dem Finanzamt zu melden. Nach Hechtners Worten gehören die Kapitaleinkünfte damit nicht mehr zum zu versteuernden Einkommen. Sie werden bei der Reichensteuer nicht mehr berücksichtigt und damit auch nicht bei der Frage, ob jemand Elterngeld bekommt oder nicht.

Die Regierung schiebt's auf den Verwaltungsaufwand

"Den für das Elterngeld zuständigen Behörden ist es deshalb nicht möglich, Kapitaleinkünfte in ihre Berechnungen einzubeziehen", sagt Hechtner. Somit gingen also nur diejenigen beim Elterngeld leer aus, deren Arbeitseinkommen über 250.000 Euro liege.

Ein Hauptargument bei der Einführung des Elterngeldes sei es jedoch gewesen, gerade Gutverdiener zum Kinderkriegen zu ermutigen. Das Elterngeld sollte ihnen die Gewissheit geben, die ersten Monate nach der Geburt ohne gravierende finanzielle Einbußen zu überstehen - ohne nach kurzer Zeit wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren zu müssen.

Hechtners Erkenntnisse hat inzwischen auch die Politik auf den Plan gerufen. Auf eine Anfrage der Linken-Steuerexpertin Barbara Höll räumte die Bundesregierung die Gesetzeslücke ein. Der zuständige Staatssekretär im Familienministerium, Josef Hecken, betonte zwar, dass die Elterngeldstelle auch Kapitaleinkünfte berücksichtigen müsse.

"Um einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand für die Behörden zu vermeiden", solle aber grundsätzlich nur das zu versteuernde Einkommen berücksichtigt werden, das im Steuerbescheid ausgewiesen sei. Doch im Steuerbescheid, so Steuerexperte Hechtner, tauchen die Kapitalerträge nicht auf.

Nach seiner Einschätzung wird es deshalb nur zwischen 1000 und 2000 Fälle geben, in denen die Behörde das Elterngeld verweigert, weil Vater oder Mutter zu viel Geld verdienen. Im Vergleich dazu gebe es aber etwa 130.000 Langzeitarbeitslose, denen das Elterngeld gekürzt worden sei.

Elterngeld gibt es maximal 14 Monate. Seit Anfang des Jahres werden 65 Prozent des vor der Geburt des Kindes erzielten Nettoeinkommens ersetzt. Es werden mindestens 300, höchstens aber 1800 Euro gezahlt. Insgesamt hat der Staat im vergangenen Jahr knapp fünf Milliarden Euro für das Elterngeld ausgegeben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: